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Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik: Große Zukunftsaufgaben

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Fragen des Arbeitsmarktes und der Beschäftigungspolitik sind seit der Konjunkturkrise 1974/75 aber auch unter dem Eindruck der offenbar strukturellen Unterbeschäftigung bei unseren deutschen Nachbarn von besonderem privaten und öffentlichen Interesse. Dies gilt auch für Vorarlberg, das einen großen „exponierten“, das heißt dem internationalen Wettbewerb ausgesetzten Wirtschaftssektor hat und zugleich vor der nicht geringen Aufgabe steht, in den nächsten 15 Jahren - das errechnet eine Prognose- rund 40.000 zusätzliche Arbeitsplätze für die wachsende Landesbevölkerung zu schaffen. Von den strukturellen Besonderheiten des Vorarlberger Arbeitsmarktes, die im „Ländle“ teilweise Anlaß zu politischen Auseinandersetzungen liefern, seien die folgenden genannt:

• In Vorarlberg ist jeder sechste Beschäftigte Ausländer: 19.500 ausländischen Arbeitskräften stehen rund

95.0 inländische Beschäftigte gegenüber. Die seit 25 Jahren sehr dynamisch wachsende Vorarlberger Wirtschaft fand mit dem einheimischen Arbeitskräfteangebot frühzeitig nicht mehr das Auslangen. Die Betriebe behalfen sich - nachdem die Anwerbung innerösterreichischer Mitarbeiter, insbesondere aus der Steiermark und Kärnten, nicht mehr ausreichte - neben der Gründung von Zweigbetrieben außerhalb Vorarlbergs vor allem mit der massiven Hereinnahme von Gastarbeitern aus Jugoslawien und der Türkei. Gastarbeiter sind teils in Positionen eingerückt, die von Inländern aufgegeben wurden, teils ermöglichten sie erst die Ausweitung von Kapazitäten, die zur Schaffung wettbewerbsstarker Betriebsgrößen notwendige Voraussetzung war. Die Gastarbeiter üben im Kon- junkturauf- und -abschwung auf dem Arbeitsmarkt eine Pufferfunktion aus: Sie können einerseits relativ leicht rekrutiert werden und anderseits in Rezessionszeiten, wenn notwendig, wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Die derzeitige Gastarbeiterpolitik in Vorarlberg ist sehr restriktiv mit der Begründung, das Arbeitskräfteangebot zugunsten der Schulabgänger möglichst, knapp, zu halten. Die Wirtschaft würde sich - insbesondere wo vorhandene Kapazitäten nicht voll genützt werden können - eine flexiblere Bewilligungspraxis für Gastarbeiter wünschen.

• Vorarlbergs Arbeitsmarkt erfährt durch die Grenzgängertätigkeit von rund 7500 Vorarlbergern, die in die Schweiz, nach Liechtenstein und in die Bundesrepublik Deutschland auspendeln, eine Verknappung auf der Angebotsseite. Sie hat ihre Ursache neben Kaufkraftdisparitäten der Währungen vor allem in den unterschiedlichen sozialen Systemen der einzelnen Staaten.

• Besonders erfreulich ist die extrem niedrige Arbeitslosenrate in Vorarlberg, die mit 0,8 Prozent Anteil der vorgemerkten Arbeitslosen am gesamten Arbeitskräftepotential im Jahre 1976 weniger als halb so hoch war, wie in Gesamtösterreich. Grund dafür ist vor allem der hohe Anteil des produzierenden Sektors im Rahmen der Vorarlberger Wirtschaft, in welchem mit rund 55 Prozent der Beschäftigten unter allen österreichischen Bundesländern am meisten Menschen berufstätig sind, während der Agrarsektor in Vorarlberg bereits so gering ist, daß aus dieser Richtung keine Freisetzungsprobleme mehr entstehen können.

• Ein Blick auf die Beschäftigten- struktur zeigt noch einen anderen Extremwert: Vorarlberg hat die niedrig-

ste „Dienstequote“ unter allen österreichischen Bundesländern, ein Phänomen, welches neben branchenspezifischen Ursachen und einem bescheidenen Anteü der Beschäftigten im öffentlichen Dienst auch mit personell stark rationalisierten Handelsbetrieben erklärt werden kann.

• Ein Ausblick in die Zukunft ergibt eine quantitativ ungefähre Übereinstimmung zwischen der erwarteten Beschäftigtenzunahme von jährlich rund zwei Prozent und der voraussichtlichen Arbeitskräftenachfrage der Vorarlberger Wirtschaft. Bezogen auf die kommenden fünf Jahre dürften die Betriebe der Metallbranchen Spitzenreiter des Beschäftigtenzuwachses sein, während für die Sparte mit dem größten Beschäftigtenanteil, die Textilerzeugung, unterdurchschnittliche Beschäftigungszuwächse prognosti ziert werden. Hinweise auf solch unterschiedliche Tendenzen in der Be- schäftigtenentwicklung liefert eine erst kürzlich fertiggestellte Studie über den Finanzbedarf neuer Arbeitsplätze in Vorarlberg. Von dem in der Vorarlberger Wirtschaft derzeit investierten Anlagekapital von 470.000 Schilling je Beschäftigten müssen jährlich 3,1 Prozent für die Erhaltung der bestehenden Arbeitsplätze und 3,4 Prozent für die Schaffung der geplanten neuen Arbeitsplätze reinvestiert werden. Ein neu zu schaffender Arbeitsplatz wird im Durchschnitt

960.0 Schilling an Investitionsmitteln benötigen. Für die kommenden 15 Jahre werden rund 60 Milliarden Schilling Investitionskapital (allerdings ohne Berücksichtigung der Geldentwertung) erforderlich sein, um das Angebot von Arbeitsplätzen rein zahlenmäßig nachfragegerecht zu gestalten.

In qualitativer Hinsicht könnte es in den nächsten Jahren angesichts höherem schulischen Bildungsgrad der neu in den Arbeitsmarkt einströmenden Berufstätigen möglicherweise schwieriger sein, eine Entsprechung zwischen Arbeitsplatzangebot und -nachfrage zu erzielen. Verschiedene „vorbeugende“ Maßnahmen, etwa im Schulbaukonzept des Landes und auch in der Ausrichtung der Wirtschaftsförderung durch das Land ebenso wie durch den Bund sollten dazu beitragen, diese Probleme zu bewältigen. Darüber hinaus werden aber auch die Unternehmen selbst und die auf die Schul-Läufbahn der Schüler Einfluß nehmenden Verantwortlichen entsprechend auf die sich verändernden Arbeitsmarktaspekte reagieren.

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