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Wien: ein Paradies für Arbeitsplatzsuchende?

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Während der Sommermonate arbeiteten in Wien über 15.000 Menschen, die nicht in der Bundeshauptstadt wohnten, und 80.000 Ausländer. Obwohl die Zahl der sogenannten „Einpendler“ im Herbst und Winter auf Grund der extremen Witterungsverhältnisse, die besonders die rund 4000 unter freiem Himmel arbeitenden Pendler betrag, auf knapp 9000 sank, beträgt sie derzeit schon wieder 12.000.

Zweifellos stellen diese Zahlen erfreuliche Werte für das kommunale Arbeitsplatzressort dar, das auf Grund dieser Beschäftigungslage den Wiener Arbeitssuchenden und vor allem auch den jungen Bürgern mit verschiedenen Berufsmöglichkeiten aufwarten kann. Derzeit stehen 840 offene Lehrstellen 728 Werbern gegenüber;

Wien befindet sich demnach in einer beneidenswerten Situation, sieht man zunächst von der Problematik ab, ob die Wiener selbst jene Arbeiten überhaupt übernehmen würden, die derzeit von Gastarbeitern verrichtet werden; und wenn, dann zumindest nicht zu denselben Löhnen.

Zwischen einem Fünftel und einem Viertel aller Arbeitnehmer sind Gastarbeiter - drei Viertel von ihnen kommen aus Jugoslawien, zehn Prozent aus der Türkei. Beschäftigt sind sie in Hauswartung, Eisenbahnverkehr (Streckengeher, Klosettfrauen), Landwirtschaft, Kunststoffwarenerzeugung, Beherbergungs- und Gaststättenwesen und Körperpflege, Reinigung und Bestattung. All diese Sparten könnten zu ihren drei Viertel Inländern noch eines aufnehmen; allein in den genannten Berufsgruppen bestehen also noch 7000 Arbeitsplätze, die Wiener ausfüllen könnten.

Dennoch: Die Zahl der Arbeitslosen in Wien nimmt zu; vom Jahresdurchschnitt 1977 zu jenem aus 1978 um 28 Prozent. Das stellt die mit Abstand größte Zuwachsrate in ganz Österreich dar: die durchschnittliche Zunahme der Arbeitslosen betrug in Österreich 14 Prozent. Trotzdem hatte aber die Bundeshauptstadt sogar im „schlechten“ Monat Dezember bei einer gesamtösterreichischen Arbeitslosenrate von 2,8 Prozent nur 1,6 Prozent. Der Prozentsatz der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt des Vorjahres betrug in der Bundeshauptstadt 1,4 Prozent, in ganz Österreich 2,1 Prozent.

Mögen sich auch die politischen Verantwortlichen dieser Zahlen rühmen, die Opposition sieht die Sache anders: VizebürgermeisteV Dr. Erhard Busek findet die Werte nicht so phänomenal wie sie dem unkritischen Beobachter erscheinen mögen. Die Geburtenfreudigkeit der Wiener sei äußerst gering, und die Bevölkerungszahl sinke ständig; nach dem Motto: Kein Wunder, wenn es da Arbeitsplätze in Hülle und Fülle gebe.

Auch das Landesarbeitsamt Wien hat Sorgen. Amtsdirektor Josef Gansbiller, der stellvertretende Landesarbeitsamtsleiter, sieht Probleme bei den arbeitslosen Angestellten, deren Zahl ständig zunimmt. Bestand nämlich 1973/74 ein dringender Bedarf an Angestellten und wurden damals Menschen, die nur in Teilbereiche eingearbeitet waren und keine umfangreiche Ausbildung besaßen, als Angestellte beschäftigt, so finden diese Menschen - einmal entlassen -nur schwer eine ähnliche Arbeit.

Zur Beseitigung dieses Problems werden Schulungsmaßnahmen für „Motivier- und Schulbare“ (Gansbiller) abgehalten, ein zweiter Bildungsweg, der nach einem Einstufungstest individuell für den einzelnen zusammengestellt wird.

Der starken Überalterung der Wiener Erwerbsbevölkerung wird vom Landesarbeitsamt durch die Forcierung von pendelnden Arbeitnehmern aus anderen Bundesländern

begegnet. Hier bestehen auch weiterhin Chancen für mobile Angestellte mit guten Qualifikationen, Fachkräfte und Arbeiter aus der Baubranche.

Um Arbeitnehmer aus den Bundesländern zu motivieren, in die Bundeshauptstadt arbeiten zu kommen, wurde im März und April vergangenen Jahres eine Aktion gestartet, mit der Arbeitswillige aus der Steiermark und Kärnten mit Hilfe von „Schnupperzügen“ nach Wien gebracht, beraten, betreut und untergebracht wurden. Der Erfolg war beachtlich: von den 709 Teilnehmern haben 420, das sind 59 Prozent, die Arbeit in Wien angetreten. Der Wiener Züwanderer-fonds, der die „Schnupperzügler“ betreut, steht weiteren derartigen Aktionen positiv gegenüber: für den 1. März ist schon eine weitere vorgesehen.

Ein Problem stellen auf der anderen Seite die „Auspendler“ dar, die

zumeist im niederösterreichischen Umland, in den aus Wien abgewanderten Großbetrieben arbeiten. Ist es auch für den Arbeitnehmer egal, ob er in Richtung Stadtinneres oder in die Gegenrichtung zur Arbeit fährt, der Gemeinde Wien gehen große Summen der Lohnsummen- und Gewerbesteuer verloren, bemerkte Vizebürgermeister Busek dazu.

Gleichzeitig mit der Gründung eines eigenständigen Fonds für for-schungs- und entwicklungsintensive Arbeitsplätze urgiert Busek bei der Flächenwidmung die Förderung kleiner Gewerbe- und Mittelbetriebe in Wohngebieten. Die höheren Infrastrukturkosten, die in städtischen Ballungszentren zweifellos gegeben seien, müßten durch steuerpolitische Maßnahmen ausgeglichen werden: damit große Betriebe die Bundeshauptstadt nicht noch in größerer Zahl verlassen.

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