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Droht strukturelle Arbeitslosigkeit?

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Bei der jüngsten Debatte über ein mehrjähriges Investitionsprogramm der Bundesregierung - das freüich lediglich eine Multiplikation der Budgetansätze für 1978 darstellt - sind zwei Gesichtspunkte überhaupt nicht oder kaum beachtet worden: Es fehlt die Projektbezogenheit der Investitionen und damit auch der Regionalisie-rung.

Gerade der letztere Gesichtspunkt ist aber für die Entwicklung des österreichischen Arbeitsmarktes und damit auch für Wien von großem Interesse. Und zwar deshalb, weil in Wien am leichtesten und am billigsten jene zusätzlichen Arbeitskräfte untergebracht werden können, für die in anderen Regionen Arbeitsplätze zu schaffen ungemein schwierig ist.

Denn in Österreich ohne Wien wird die Bevölkerung bis 1991 leicht zunehmen, in der Bundeshauptstadt hingegen deutlich abnehmen. Bei der Zahl der erwerbsfähigen Personen -von 15 bis 59 Jahre - ist ebenfalls bis 1991 eine Zunahme zwischen 350.000 und 500.000 zu erwarten, in Wien wird mit einer leicht fallenden Tendenz gerechnet. Dies entspricht insgesamt einer Vermehrung der Arbeitswilligen um 280.000 bis 350.000 Menschen.

Wenn man nun die zur Erhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft notwendige Produktivitätssteigerung berücksichtigt und, wie dies die Wirtschaftsforscher tun, bloß mit einem geringen Wirtschaftswachstum rechnen darf, so ist mit Sicherheit nicht eine Vermehrung der Arbeitsplätze im gleichen Ausmaß wie bei den Arbeitskräften zu erwarten. Das Fazit: Österreich stünde vor einer noch nicht gekannten strukturellen Arbeitslosigkeit.

Die spezielle Entwicklung Wien verläuft parallel zu der Österreichs, da in der Relation zur Bevölkerung die Zahl der Erwerbsfähigkeit auch zunehmen wird. Bei einem Absinken der Einwohnerzahl bis 1991 auf etwa 1,43 Millionen Wiener ist mit rund 880.000 Erwerbsfähigen - geringfügig weniger als heute - zu rechnen. Das heißt, für die Wiener werden genügend Arbeitsplätze in ihrer Heimatstadt vorhanden sein. Mehr noch: In der Bundeshauptstadt könnten zusätzliche Arbeitsplätze für Zuwanderer angeboten werden.

Selbstverständlich können auch in anderen österreichischen Regionen Arbeitsplätze auf der „grünen Wiese“ geschaffen werden. Alle Experten sind sich jedoch darüber einig, daß dies die teuerste Lösung wäre. Und zudem jene, die sich Österreich in einer so angespannten wirtschaftlichen Situation wie der jetzigen und der in den nächsten Jahren gar nicht leisten kann. Dies geht aus einer gründüchen Analyse des Instituts für Standortberatung deutlich hervor. Die wichtigste Aussage: Die Schaffung neuer infrastruktureller Einrichtungen außerhalb der vorhandenen Ballungsräume ist natürlich wesentlich teurer als die Modernisierung und der Ausbau der vorhandenen Infrastrukturen in den Ballungsräumen.

Der Einsatz öffentlicher Investitionsmittel müßte aber - soll er optimal erfolgen - in den Ballungsräumen und da vornehmlich in Wien erfolgen. Denn hier wird ein höherer volkswirtschaftlicher Nutzen zufolge höherer Produktivitätszuwachsraten gewährleistet.

Natürlich würde ein solches gezieltes Vorgehen die innerösterreichische Bevölkerungswanderung stärker als bisher anregen. Mir ist klar, das kein Landespolitiker gern „seine“ Landeskinder ziehen lassen wird. Aber die Alternative ist die Gefahr der Arbeitslosigkeit, vor allem von Jugendlichen in vielen Regionen Österreichs. Die Wiener Handelskammer hat diese Überlegungen wiederholt gegenüber der Stadtverwaltung vertreten und auch angeregt, ganz zielbewußt die Zuwanderung inländischer Arbeitskräfte noch stärker als bisher zu fordern.

Solchen Bemühungen müssen freilich gewisse Gegebenheiten entsprechen. Dazu gehören der Wohnungsmarkt und die Situation bei den Arbeitsplätzen. Derzeit gibt es in Wien rund 800.000 Wohnungen, denen etwa 734.000 Haushalte gegenüberstehen. Und das, obwohl die Zahl der Haushalte zweifelsohne ihren Zenit erreicht hat, weil ja die geburtenstarken Jahrgänge aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg absterben. Wien wird also in den nächsten Jahren immer einen deutlichen Uberhang an Wohnungen -wenn auch vielfach geringer Qualität -aufweisen. Derzeit sind es etwa200.000 Wohnungen, die ungenügende sanitäre Einrichtungen aufweisen. Da aber in den nächsten Jahren noch immer mit der Fortsetzung der Stadterweiterung - zahlreiche große Projekte werden fertiggestellt - zu rechnen ist, wird der Uberhang an Wohnungen noch größer werden. Schon heute verfügt die Gemeinde Wien mit rund 200.000 Wohnungen bereits über jede vierte Wohnung (in der nächstgrößten österreichischen Stadt, in Graz, gibt es derzeit rund 95.000 Wohnungen).

Die Grundsätze, die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in ganz Österreich gelten sollten, müßten natürlich auch für die Wiener Stadtentwicklung richtungsweisend sein: Der Wohnungsbau an der Peripherie ist teuer und daher unwirtschaftlich. Die bessere Ausnützung der vorhandenen infrastrukturellen Einrichtungen in den zentralen Bereichen der Stadt und deren Ausbau ist natürlich wesentlich wirtschaftlicher. Dazu gehört nicht zuletzt auch das Problem der Nahversorgung.

Eine vernünftige Stadtentwicklung wird also zwangsläufig zu einer drastischen Reduktion des kommunalen Wohnungsbaues und damit zu einem Stopp der Stadterweiterung führen müssen. Die freiwerdenden Mittel sind der Stadterneuerung zu widmen, der unbedingt - und nicht nur in Sonntagsreden - der Vorrang eingeräumt werden muß. Dazu gehört selbstverständlich auch die Modernisierung der Betriebsstätten. Denn schließlich soll ja auch die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze verstärkt gefordert werden.

In diesem großen Rahmen soll sich nach Meinung der Wiener Handelskammer die Wirtschaftspolitik des Bundes und der Stadtverwaltung in den nächsten Jahren orientieren. So wie schon in den vergangenen Jahren wird die Kammerorganisation auch künftig jederzeit gerne zu einer vernünftigen Zusammenarbeit mit dem Rathaus und den Bundesdienststellen bereit sein.

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