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Viele neue Wege für den Stadtverkehr

Die Förderung des öffentlichen Verkehrs wird dann erfolgreich sein, wenn sie von einer umfassenden Betrachtung der Problematik ausgeht. Was ist zu berücksichtigen?

- Anbindung an neue Siedlungen: Vielfach wurde dies in der Vergangenheit schlecht geplant. Ein Beispiel dafür ist die Großfeldsiedlung in Wien, die nicht an, sondern neben die Bahnlinie gebaut worden ist. Man dachte bei der Planung einfach nicht an die günstige Bedienung durch die Schnellbahn, hoffte vielmehr auf eine Verlängerung der U- Bahn.

Andere, aber ebenfalls problematisch war die Anbindung der Gartenstadt Puchenau bei Linz. Sie liegt zwar günstig an der Bahn. Diese hatte aber bis vor kurzem keine halbwegs brauchbare Verbindung eingerichtet. Die Einbindung in den inneretädtischen Tarif und ein erster Taktverkehr brachten im Vorjahr auf Anhieb große Erfolge.

Es gilt also neue Siedlungen an Achsen des öffentlichen Verkehre zu planen, wodurch auch der allgemeinen Zereiedelung entgegengewirkt würde. Bei bestehenden Siedlungen abseits der Bahn sind geeignete Zubringermöglichkeiten zu den Stationen ohne Wartezeiten vorzusehen.

- Entscheidende Bedeutung kommt der Fahrplangestaltung zu: Die bedeutendste Neuerung auf diesem Sektor ist der “integrierte Taktfahrplan“. Er bringt eine Abstimmung der verschiedenen Verkehrsmittel (Femzüge, Nahverkehrezüge, Busse) aufeinander Die ÖBB unternimmt gezielte Anstrengungen in diese Richtung. Die Erfolge dieser Bemühungen zeigen sich gerade im Großraum Wien: Hier ist die Zahl der Fahrgäste im Verkehreverbund Ost-Region laufend weiter gestiegen. Im Vorjahr gab es eine Steigerung von 1,6 Prozent auf 648 Millionen Fahrten.

Bewährt hat sich die Differenzierung von Regionalzügen, nachdem das Führen von Schnellbahnen, die durchgehend in allen Haltestellen stehen bleiben, mit zu langen Fahrzeiten verbunden war. An folgende Formeln sollte dabei gedacht werden:

- Regionalexpreß: für Pendler- Schnellverbindungen im Spitzenverkehr sind Züge, die außerhalb des Takts fahren, vorzusehen und - innerhalb des Takts könnten Regionalschnellbahnen geführt werden, die im näheren Stadt-Umland beschleunigt geführt aber in die S-Bahn-Stammstrecke eingebunden werden.

Jedenfalls zeigt der Erfolg des Verkehrsverbunds-Ostregion, in welche Richtung zukunftsträchtig Anstrengungen gehen müßten. Als Schlüssel erweist sich immer wieder die einheitliche Tarif gestaltung.

Jumbo-Tram ,

In Nantes an der französischen Atlantikküste gibt es seit wenigen Jahren wieder zwei Straßenbahnlinien. Erst vor kurzem, am 22. April, wurde die Verlängerung einer der Linien feierlich eröffnet.

Zum Einsatz kommen Gelenkwagen, die aus zwei Teilen bestehen. Diese neuentwickelten Fahrzeuge haben jedoch den auch hierzulande bekannten Nachteil, daß das Ein- und Aussteigen von älteren und behinderten Menschen schwer leistbare gymnastische Übungen verlangt.

Um diesem Mangel abzuhelfen, ist im Zuge der mittlerweile erforderlich gewordenen Umrüstung an den Einsatz einer “Jumbotram“ gedacht, eines Gelenkwagens, der aus drei Elementen besteht, und dessen mittlerer Teil so abgesenkt ist, daß er nur etwa zehn Zentimeter über dem Randstein der Haltestellen liegt.

Die Länge dieser Straßenbahn beträgt 40 Meter und bietet 340 Passagieren Platz.

Zwar bietet dieser mittlere Teil nur etwa 20 Prozent der Plätze. Dieser Anteil dürfte jedoch ausreichen, da nur ein geringerer Prozentsatz der Passagiere auf diese Annehmlichkeit wirklich angewiesen ist.

Milliarden für den Nahverkehr

Mit Ministerratsbeschluß vom 21. Mai 1976 wurde die Kfz-Steuer verdoppelt, um die sogenannte “Nahverkehremilliarde“ aufzubringen. Diese sollte zu 60 Prozent dem OBB-Nahverkehr, zu 25 Prozent dem Wiener U-Bahnbau und zu 15 Prozent anderen öffentlichen Nahverkehrsmitteln zugute kommen.

Die Gebietskörperechaften (Länder) sollten geeignete Projekte einreichen und eine 20prozentige Kostenbeteiligung übernehmen. Auf diese Weise wurden mit Kostenbeiträgen der Länder von rund 2,5 Milliarden Schilling und mit zehn Milliarden aus Mitteln der “Nahverkehremilliarde“ im Bereich der ÖBB zwischen 1976 und 1988 Investitionen von insgesamt 18 Milliarden Schilling ausgelöst.

Das ist beachtlich und erfreulich. Im Vergleich dazu schnitten aber die städtischen Verkehrsbetriebe schlecht ab. Ihnen flössen bis einschließlich 1986 nur sechs Milliarden Schilling zu.

Seit 1987 sind jedoch nur mehr 7 0 Prozent des Bundesanteils an der Kfz-Steuer für die “Nahverkehremilliarde“ zweckgebunden, also rund 1,9 Milliarden Schilling.

Modell Zürich

Seit Mitte der achtziger Jahre hat sich in Zürich das Blatt zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs gewendet: Die Verkehrsbetriebe (VBZ) gingen erfolgreich in die Offensive. Ihr Motto: “Wir sind Nr 1“.

Im Jänner 1985 wurde die “Regenbogenkarte“ eingeführt. Ihr Preis: 45 Franken oder 360 Schilling im Monat. Angepeiltes Ziel war der Verkauf von 60.000 solcher Karten, eine Marke, die dank einer fulminanten Werbekampagneschon im ersten Monat mit 72.000 Stück überboten werden konnte. Ende 1988 lagen die Verkaufszahlen bei 154.000, das Fahrgastaufkommen bei 260 Millionen: um 25 Prozent mehr alsl984.

Was wird geboten? Auf den 25 wichtigsten Linien gibt es zwischen sechs und 24 Uhr einen 12 Minuten- Takt und zwischen sieben und 20 Uhr sogar fünf bis acht Minuten- Takte. Innerhalb der Stadt sind die Tramlinien zu einem dichten Netz aufgefächert und erreichen alle wichtigen Adressen. 217 von Bussen und Straßenbahnen benützte Kreuzungen werden durch ein elektronisches Systembevorzugt für die öffentlichen Verkehrsmittel geregelt, was meist Wartezeit null für diese bedeutet.

In derBevölkerunghat die “Züri- Linie“ ein gutes Image. Das Auto stellt kein Status-Symbol mehr dar. Bankdirektoren und Manager benützen ganz selbstverständlich die Tram Der Marktanteil der öffentlichen Verkehrsmittel macht rund 80 Prozent des motorisierten Verkehrs aus.

Kontakte zu Unternehmen, zahlreiche Aktionen mit Warenhäusern, ja sogar Sportklubs, Vergünstigungen für Mitarbeiter von Banken und Versicherungen sowie für Jugendliche machten die Regenbogenkarte zum Reimer.

Derzeit ist zwar die Kemzone von Zürich (mit 360.000 Einwohnern) sehr gut erschlossen. Die Verbindungen in die Peripherie sind jedoch ausbaubedürftig. Bis 1990 soll die Inbetriebnahme eines S- Bahnnetzes mit fünf Radial- und sieben Durchmesserlinien das Angebot stark verbessern.

Mit diesen Erfolgen steht Zürich jedoch nicht allein da. Schon 1984 hatte Basel eine Offensive für den öffentlichen Verkehr mit der Einführung einer übertragbaren Monatskarte um 280 Schilling gestartet. Die Folge: Anstieg der Fahrgastzahl von 115 auf 128 Millionen in nur einem Jahr. Ähnliche Entwicklungen gab es auch in Bern, St. Gallen, Solothurn und anderen Städten.

Schnellbahn - eine Erfolgsstory

Nachdem die ersten Vorstudien für die Einrichtung der Schnellbahn im Raum 1955 in Angriff genommen worden sind, erfolgte am 17. Jänner 1962 die Eröffnung der Stammstrecke Meidling-Florids- dorf-Gänsemdorf, sowie der Strek- ke Floridsdorf-Stockerau. Insgesamt waren das 61 Kilometer.

Im August 1976 wird auf der Strecke Wien-Südbahnhof-Stadlau

(die vorher schon in langen Intervallen mit Dieseltriebwagen befahren worden war) der Betrieb mit Elektro triebwagen in 15- Minuten- Intervallen aufgenommen. Drei Jahre später wird die Strecke von Stockerau bis Hollabrunn verlängert und im Jahr 1985 die neue Schnellbahnlinie Leopoldau-Mistelbach eröffnet.

Schon 1982 war in Richtung Süden ein starrer Taktfahrplan mit 15-Minuten-Intervall nach Liesing eingeführt worden und in unregelmäßigen Abständen Garnituren bis Mödling geführt.

Wie rege die Schnellbahn von Anfang an vom Publikum in Anspruch genommen worden ist, zeigt folgender Bericht aus der “Presse“ vom 19. Jänner 1962:

“Am Donnerstag, dem 18. Jänner 1962… kam es im Bahnhof Leopoldau zu einem Massentumult.

Die Schnellbahn fuhr zunächst noch fahrplanmäßig um 6.05 Uhr von Gänserndorf ab, war allerdings bereits dort voll besetzt. Durch den starken Andrang in den weiteren Stationen kam der Zug verspätet in Leopoldau an, wo etwa weitere 300 Personen in den vollbesetzten Zug einsteigen wollten. Das Ersuchen des Fahrdienstleiters, die Trittbretter zu räumen, blieb erfolglos und veranlaßte sogar einen Arbeiter, der sich zum Sprecher der aufgebrachten Reisenden deklariert hatte, den Fahrdienstleiter zu beschimpfen. Als er den Beamten dann aber in den Unterleib trat, wurde der Arbeiter durch die Abwehrbewegung des Fahrdienstleiters selbst leicht verletzt. Während der Unruhestifter daraufhin von der Rettung ins Krankenhaus gebracht werden mußte, brauchte sich der Beamte bloß in häusliche Pflege begeben….

(zitiert in “Zug um Zug“ von Reinhard Linke und Harmes Schopf, Nö-Pressehaus, St Pölten 1987)

Graz bremst das Auto ein

Graz hat dem Konzept, sich als autogerechte Stadt zu entwickeln abgeschworen. Seit dem Stadtentwicklungskonzept 1975 wurde die gezielte Verschiebung der Anteile von motorisiertem und öffentlichem Verkehr, hin zu letzterem angestrebt. Das Straßenverkehrenetz und die Parkraummöglichkeiten sollten nur mehr für den “notwendigen Kfz-Verkehr“ ausgestaltet werden.

Interessant ist nun die Frage, wie die Grazer Bevölkerung dieses Angebot angenommen hat. Einer Erhebung im Jahr 1984 zufolge ergab sich folgende Verteilung:

44 Prozent der Wege mit Kfz, 29 zu Fuß, 19 mit öffentlichen Verkehrsmitteln und neun mit dem Fahrrad. Stark fallend ist seit 1960 der Anteil des Fußgängerverkehrs. Die wichtigsten Ursachen dafür sind: Einführung der Schülerfreifahrten, Entstehung von Großmärkten, die dezentrale Siedlungsstruktur mit Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz und vor allem die enorm gestiegene Motorisierung.

Bis in die Mitte der siebziger Jahre ist auch der Anteil des Radfahrverkehre deutlich gesunken. Er weist aber seither wieder eine steigende Tendenz auf. Die Ursachen hierfür sind vor allem auf die systematische Förderung des Radverkehrs und auf die deutlich stärker radf ahrfreundliche Atmosphäre in Graz zurückführen.

Fallend war auch die Tendenz beim öffentlichen Verkehr. Sie konnte allerdings durch gezielte Maßnahmen wie Schülerfreifahrten, Angeb otserweiterungen, Beschleunigungsprogramme und gezielte Öffentlichkeitsarbeit abgefangen werden.

Durchgehend steigend, allerdings mit einer Tendenz zur Abflachung, ist der motorisierte Individualverkehr. Gezielte Maßnahmen sollen seinen Anteil in den kommenden Jahren wieder senken. Folgende Struktur des Verkehregeschehens wird dabei für das Jahr 1995 angepeilt: 34 Prozent Kfz, 30 zu Fuß, 21 öffentliche Verkehrsmittel und 15 Fahrrad. Befragungen ergaben, daß lediglich das Stabilisieren des Fußgeher-Anteils auf 30 Prozent schwer zu verwirklichen erscheint.

Welche Maßnahmen sollen mm diese zukünftige Verkehrsstruktur fördern?

- Maßnahmen für eine fußgänger- freundliche Stadt sollen der Sicherheit der Fußgeher Priorität einräumen. So werden in Zukunft die Ampeln nicht mehr vorrangig auf die Leistungsoptimierung für die Kfz auf Kosten knapp bemessener Grün-Phasen für Fußgänger eingestellt werden. Die gesamte Altstadt und die Nebenzentren sollen zu fußgängerfreundlichen Zonen umgestaltet werden und durch ein stadt- übergreifendes Fußgängemetz verbunden werden.

- Zwar ist das Radverkehrenetz in der Grazer Innenstadt relativ dicht, die äußeren Bezirke sind jedoch relativ schlecht erschlossen. Daher soll vor allem das geplante Gesamtnetz von 170 Kilometern Länge (bisher zu 20% erschlossen) forciert ausgebaut werden.

- Behinderungen durch den Kfz- Verkehr führen immer noch zu einer niedrigen Reisegeschwindigkeit bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ihr Fahrplan weist keinen integrierten Takt auf und es mangelt an Koordination zwischen städtischen und regionalen Verkehrsmitteln. Relativ unübersichtlich ist derzeit auch noch das Tarifsystem. An diesen Punkten ist anzusetzen: Beschleunigungsprogramme für Bus und Straßenbahn und Verhandlungen über einen “echten“ Verkehrsverbund sind die Hauptanliegen zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Verkehre in Graz.

- Schließlich geht es noch um Maßnahmen, die den Kfz-Verkehr umweltverträglicher machen sollen. Das bedeutet vor allem Einschränkung des motorisierten Individualverkehre auf das notwendige Minimum vor allem durch das Angebot attraktiver Alternativen. Verkehreberuhigung und Parkraumbewirtschaftung sind weitere Ansatzpunkte.

Entscheidend für den Erfolg des Projekts wird aber erst die Annahme der Angebote durch die Bevölkerung sein. Daher kommt der Öffentlichkeitsarbeit auf diesem Gebiet besondere Bedeutung zu.

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