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Wien vor Verkehrskatastrophe?

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Ein „Pfadfinderbus“ der Wiener Verkehrsbetriebe rollte am vergangenen Sonntag mit Polizeieskorte durch die nahezu verkehrsfreien Straßen der Innenstadt. Er sollte eine Route ausfindig machen, die auch noch nach Umwandlung der City zur größten U-Bahn-Baustelle Wiens befahren werden könnte. Das Ergebnis war niederschmetternd. Der Wiener Innenstadt droht das Chaos, und das „Verkehrskonzept“ der Bundeshauptstadt, erst vor wenigen Wochen veröffentlicht, warnt freimütig vor dem totalen Chaos, in das Wien auch aus internationaler Sicht auf dem Verkehrssektor hineinzuschlittern droht.

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Ein „Pfadfinderbus“ der Wiener Verkehrsbetriebe rollte am vergangenen Sonntag mit Polizeieskorte durch die nahezu verkehrsfreien Straßen der Innenstadt. Er sollte eine Route ausfindig machen, die auch noch nach Umwandlung der City zur größten U-Bahn-Baustelle Wiens befahren werden könnte. Das Ergebnis war niederschmetternd. Der Wiener Innenstadt droht das Chaos, und das „Verkehrskonzept“ der Bundeshauptstadt, erst vor wenigen Wochen veröffentlicht, warnt freimütig vor dem totalen Chaos, in das Wien auch aus internationaler Sicht auf dem Verkehrssektor hineinzuschlittern droht.

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„In der Gegenwart stehen wir vor der schweren Aufgabe“, so heißt es gleich am Beginn dieses Konzepts, „sowohl den großen Erneuerungsund Nachholbedarf zu decken, der sich im vergangenen halben Jahrhundert aufgestaut hat, als auch Vorsorge für cfle künftigen’Erfordernisse zu treffen und dabei einen größtmöglichen Spielraum für heute noch nicht erkennbare Entwicklungen offenzuhalten." Es geht dabei nicht nur um kleine Sorgen, die jeder Wiener im Zusammenhang mit dem öffentlichen Verkehr, dem Straßenverkehr, der Parkplatzsuche und als Fußgänger hat. Es geht vor allem auch um Konsequenzen, die sich aus deutlich erkennbaren Umgehungstendenzen für Wien als wirtschaftliches, gesellschaftliches und kulturelles Zentrum im Herzen Europas ergeben:

■ Großzügige Ausbaupläne für die Flughäfen in München und Prag bringen die Gefahr einer „Über- springung“ Wiens in der Luftfahrt mit sich. •

■ Im Eisenbahnverkehr wird die Tauernroute von Nordwest- und Westeuropa über München—Salzburg nach Südosteuropa und in den Adriaraum gegenüber der Route durch das Donautal über Linz, Wien und Budapest begünstigt, was die Position Münchens stärkt und Wien schwächt.

■ Das gleiche gilt für die Autobahnplanung. Sowohl im Eisenbahnverkehr als auch durch die Autobahnplanung der Oststaaten kommt immer stärker auch eine nördliche Umgehung Wiens auf der Route Berlin—Prag—Brünn—Preßburg—Budapest zum Tragen. Die Umgehung Wiens droht schließlich auch im europäischen Nord-Süd-Verkehr.

■ Parallelen dazu ergeben sich in der Planung des mitteleuropäischen W asser Straßennetzes.

Auch im Verkehr der Wiener Region fehlt es bisher an zielführenden Kontakten mit Niederösterreich und dem Burgenland. Es wurden nicht nur die hochwertigen Verkehrsachsen zu den Viertelhauptstädten St. Pölten, Wr. Neustadt und Krems sowie nach Eisenstadt und dem burgenländischen Kernraum Eisenstadt-Matters- burg vernachlässigt, es wurden sogar die wenigen Linien öffentlicher Verkehrsmittel, mit denen die Stadtgrenzen überschritten wurden, am Stadtrand brutal gekappt. Ein großzügiges Schnellbahnkonzept, vor der Wiener Gemeinderatswahl im Jahre 1964 vom damaligen SPÖ-Verkehrs-

minister Probst lautstark präsentiert, wurde unmittelbar nach der Wahl wieder vergessen und dürfte erst jetzt wieder von der Gemeinde Wien aus der Versenkung geholt werden. Im Stadtgebiet selbst wird es in den nächsten Jahren drunter und drüber gehen. Der um viele Jahre verspätete U-Bahn-Bau wird den Verkehr in weiten Teilen der Stadt und praktisch im gesamten Stadtzentrum lahmlegen, wenn man sich nicht auf allen Linien ohne Ausnahme für die teure „Maulwurfbauweise" entscheidet.

Für den „ruhenden Verkehr“ werden bis zum Jahre 1980 rund 250.000 neue Park- und Garagenplätze benötigt. Diese Prognose ist bereits mehrere Jahre alt, doch außer einem Entwurf für die Besteuerung des Parkens mit Parkometern mangelte es bisher an größeren Initiativen der Stadtverwaltung zur Behebung der Parkraumnot. Schon jetzt reichen die vorhandenen Abstellplätze auf öffentlichen Flächen in zahlreichen Stadtteilen nicht mehr aus, um den Parkraumbedarf der Wohnbevölkerung zu decken. Und schon seit langem kann der Parkraumbedarf der arbeitenden Bevölkerung in der Nähe der Arbeitsplätze nicht mehr befriedigt werden. Während beispielsweise im Jahre 1965 in Wien für die Anschaffung neuer Kraftfahrzeuge 2,7 Milliarden Schilling und für den Fahrzeugbetrieb weitere 4 Milliarden Schilling ausgegeben wurden, betrug der Aufwand für Ausbau und Erhaltung von Verkehrsflächen nur rund 600 Millionen Schilling. Nur 100 Millionen Schilling wurden darüber hinaus für den Neubau und die Erhaltung von Abstellplätzen außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen auf gewendet.

Die Abteilung für Wiener Stadt- und Landesplanung, federführend beim vorgelegten Entwurf für das Wiener Verkehrskonzept, scheute nicht davor zurück, die katastrophale Lage drastisch zu schildern. Sie bietet eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Minderung der augenblicklichen Not und zur Vorbereitung auf die Zukunft an. Doch von einem Wandel der Verkehrsgesinnung der führenden Gemeindepolitiker, die bis in allerjüngste Gegenwart im Verkehrsaufwand für Straßen, Luft- und Wasserwege einen Luxus für die „Reichen“ sahen, wird es abhängen, ob Wien den Anschluß doch noch finden kann.

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