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Die Renaissance der Straßenbahn

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Die Großstädte ersticken im Straßenverkehr. Die Parkraumnot wächst. Daher kommt es zu einer Renaissance der Straßenbahn.

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Die Großstädte ersticken im Straßenverkehr. Die Parkraumnot wächst. Daher kommt es zu einer Renaissance der Straßenbahn.

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Will man - vor allem in den Zentralräumen- nicht im Verkehr ersticken, gilt es, die gegenwärtigen Trends umzukehren: Verringerung statt Intensivierung des Verkehrs, Verringerung der Geschwindigkeiten, damit das Uberbrücken von Distanzen aufwendiger wird und sich die Kontinente nicht in Großstädte mit Vororten verwandeln. Die wichtigsten täglichen Wege sollte man zu Fuß oder mit dem Rad erledigen können. In den Agglomerationen sollte der öffentliche Verkehr den Großteil der weiträumigen Bewegungen bewältigen. Seine Vorteile gegenüber dem Auto: Pünktlichkeit, Sicherheit, Umweltverträglichkeit, sparsame Energieverwendung und Regelmäßigkeit.

Weil der Straßenverkehr in vielen Ballungszentren oft zusammenbricht und die Parkplatznot wächst (in Wien werden täglich 1,2 Millionen km allein zum Parkplatzsuchen zurückgelegt), erlebt der öffentliche Verkehr in diesen Zentren eine Renaissance. Neue Straßenbahnlinien entstehen (sogar in Paris mit seinem großen U-Bahnnetz oder in St. Louis/USA, wo alle Straßenbahnen eliminiert worden waren) und die Bahn wird in den Nahverkehr eingebunden. Das geht soweit, daß der Großteil des täglichen Personenverkehrs der Bahn sich im Nahverkehr (in Osterreich und Deutschland über 90 Prozent) abspielt. Schnellbahnlinien verbinden die Städte mit ihrem Umland.

Neu ist die Einführung von Zweisystem-Stadtbahnen (etwa in Karlsruhe und in Hamburg). Sie sind im Stadtzentrum als Straßenbahn unterwegs, wechseln auf die Bahnschienen über und stellen so eine Verbindung zwischen der Region und dem Herzen der Stadt her. Der große Vorteil: Man erspart sich das Umsteigen. Durch die Entwicklung der Zweisystem-Technik war es möglich, das Problem der unterschiedlichen Stromsysteme von Straßen- und Eisenbahn durch automatisches Umschalten von einem auf das andere System zu bewältigen.

Was sind nun die Maßnahmen, die öffentliche Verkehrsmittel attraktiver machen? Insgesamt geht es um die Verringerung der Gesamtreisezeit von Tür zu Tür, zunächst also um die Verringerung der Anmarschwege. Das Hauptverkehrssystem sollte so gestaltet sein, daß man von den wichtigen Wohn-, Arbeits- und Einkaufsbereichen nicht mehr als fünf Gehminuten zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels hat.

Weiters ist der Auto- vom Schienenverkehr so gut wie möglich zu trennen: durch den Bau von Tunnelstrecken (meist in der Innenstadt), durch Verlegen der Schienen auf besondere, vom übrigen Verkehr getrennte Bahnkörper (eigene Schot-tertrassen oder Trennung von der Fahrbahn durch Schwellen).

Erleichterung beim Aus- und Einsteigen kann man durch Anheben des Niveaus der Haltestellen schaffen. Mit der Einführung von Niederflur-Straßenbahnen (ein österreichisches Modell wird derzeit auf der U6 in Wien getestet) kann man schon durch geringfügiges Anheben niveaugleich in die Bahn einsteigen. Das verkürzt den Aufenthalt in den Stationen.

Stark erhöht wird die Attraktivität durch einen möglichst streng eingehaltenen Taktfahrplan. Intervalle von fünf Minuten in den verkehrsstarken Zeit, von zehn Minuten am Abend wären im Hauptsystem anzustreben. Auf den Zubringerlinien im Regionalverkehr reichen Intervalle von zehn bis 15 Minuten. Sie sollten aber eine halbe Stunde nicht übersteigen. Wichtig ist eine umfassende Fahrgastinformation (Seite 10).

Eine große Rolle spielt die Zeit, die beim Umsteigen verloren geht. Je pünktlicher die Fahrpläne eingehalten werden, umso leichter ist es, rasche Anschlüsse anzubieten. Regelmäßigkeit zu gewährleisten, ist im Stadtverkehr aber schwierig. Viele Beschleunigungsmaßnahmen im öffentlichen Verkehr (Linksabbiege-verbote für Kfz, eigene Bahnkörper, Verlagerung des Kartenverkaufs vom Fahrzeug zur Haltestelle...) werden dadurch in ihrer Wirkung aufgehoben, daß die Bahn bei Am: peln warten muß. Fortschritte der Mikroelektronik haben die Einführung „intelligenter” Verkehrsampeln ermöglicht. Sie reagieren auf eine Signal der herannahenden Straßenbahn und schalten automatisch auf freie Fahrt für das öffentliche Verkehrsmittel.

Der Einsatz dieser technischen Möglichkeiten scheitert vielfach an mangelnder politischer Bereitschaft, dem öffentlichen Verkehr Vorrang einzuräumen. Zürich war eine der ersten Großstädte, die klar für den Vorrang der Straßenbahn optiert und solche Systeme eingerichtet hat. Man folgte dem Grundsatz: Die Bahn braucht nicht lange Grün, aber dann wenn sie kommt. Mittlerweile gesammelte Erfahrungen (auch in anderen Städten) zeigen, daß der In-dividualverkehr dadurch kaum beeinträchtigt wird.

Sinnvoll ergänzt werden kann ein leistungsfähiges System öffentlicher Verkehrsmittel durch eine rechnergestützte Betriebsleitung. Sie verfolgt alle Fahrzeuge und kann bei Verspätungen oder Störungen Korrekturen veranlassen und Ersatzfahrzeuge mobilisieren. Auch in dieser Hinsicht ist Zürich vorbildlich.

Eine wichtige Ergänzung des Ausbaus der öffentlichen Verkehrsmittel in den Ballungszentren stellt die Parkraumbewirtschaftung dar. Denn selbst wenn Einpendler (sie machen 40 bis 60 Prozent der Parker in den Städten aus) im Stadtzentrum noch Parkplätze finden, blockieren sie auch mit ihrem parkenden Fahrzeug die Stadt. Daher gilt es, dafür zu sorgen, daß Einpendler am Ende ihrer Autofahrt keinen Parkplatz finden. Dann werden sie gar nicht erst ins Auto einsteigen. Die Stoßrichtung der Bemühungen sollte daher dahin gehen, das Angebot an Parkplätzen im Zentrum zu verknappen und zu verteuern, im Gegenzug jedoch das Parken an der Peripherie (mit Anschluß an öffentliche Verkehrsmittel: „Park and Ride”) attraktiv zu machen.

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