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Explosion des Kfz-Verkehrs

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Vertraut man den Selbstdarstellungen der Automobilindustrie, so ist das Auto nicht mehr länger als Umweltverschmutzer einzustufen. Verbesserte Abgaswerte, geringerer Treibstoffverbrauch und eine Reduktion der Lärmemissionen sollen dazu beitragen, daß der Straßenverkehr nicht nur die bequemste Verkehrsart sondern zunehmend auch zur umweltschonenden Fortbewegungsform wird. Das Auto als Beitrag zum Umweltschutz ?

Es ist heute unumstritten, daß die Automobilindustrie in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte in der Fahrzeugtechnologie erreichen konnte. Moderne Autos verbrauchen weniger Treibstoff, geben weniger Abgase an die Umwelt ab und verursachen auch zunehmend weniger Lärm. In einer erst kürzlich erschienenen Presseaussendung der „Automobil-Importeure in der Industriellen Vereinigung” meint deren Vorsitzender, Martin Pfundner: „Wir erwarten uns endlich auch von den Umweltschützern, daß sie die Erfolge der Automobilindustrie in der Schadstoffreduktion anerkennen.”

Anerkennung, wem Anerkennung gebührt - ein dreifaches Hurra auf die Leistungen der Automobilindustrie. Was aber bewirken diese Leistungen in der Bealität ? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Nichts oder fast nichts. Die Begründung dafür ist ebenso einfach: Wir fahren mit zu vielen Autos zu oft und zu weit.

Blicken wir in einem ersten Schritt einer über diese Grobeinschätzung hinausgehenden Analyse in die Historie des Autoverkehrs. Im Jahr 1937 gab es in Osterreich die satte Anzahl von 32.370 zugelassenen Pkws (einschließlich Kombis). 1965, rund dreißig Jahre später, waren es bereits 790.600 Zulassungen. Weitere dreißig Jahre später, im Jahr 1995, konnte sich Osterreich einer Pkw-Ausstattung in der stolzen Höhe von 3.594.000 Fahrzeugen erfreuen, wobei alleine zwischen 1985 und 1995 mehr als eine Million Pkws hinzugekommen sind.

Alleine diese Entwicklung der Kfz-Zulassungen demonstriert das Umweltproblem Autoverkehr auf eindrucksvolle Art und Weise. Heute kommt praktisch auf jeden zweiten Staatsbürger ein PKW oder Kombi, ganz gleich ob er sich erst im Säuglingsalter befindet oder im weit fortgeschrittenen Alter eher weniger bis gar nicht mit dem eigenen Automobil unterwegs ist. Und was machen all diese Fahrzeuge? Sie fahren, und wie

Abgase und Lärm sind nicht die einzigen Sorgen, die uns die Autos trotz technischer Verbesserungen bereiten. Beachtlich sind auch die Raumprobleme. uns die Statistik lehrt, immer mehr und immer weiter.

Das Umweltbundesamt vermeldete im Dezember 1995 einen Zuwachs der Personentransportleistung auf der Straße von 19 Prozent im Zeitraum zwischen 1988 und 1994. Dieser Zuwachs ist vergleichsweise gering gegenüber den Zuwachsraten im LKW-Verkehr (+38 Prozent) und im Sattelschlepperverkehr (+79 Prozent!). In Summe können die gestiegenen Technologiestandards diese Zuwächse nicht einmal mehr egalisieren. Die aktuelle C02-Emissionsbilanz für den Zeitraum 1988 bis 1994 zeigt einen Anstieg der durch den Autoverkehr verursachten C02-Emissionen. Insgesamt stiegen die jährlichen C02-Emissionen zwischen 1988 und 1994 um rund 4 Millionen Tonnen an, drei Viertel dieser Steigerung sind dem Straßenverkehr zuzurechnen.

Mit einem Anteil von 30 Prozent nimmt der Autoverkehr die unumstrittene Führungsposition in der nationalen Hitliste der Klimagefährder ein. An die Erfüllung des Torontozieles, welches eine 20prozentige Be-duktion der C02-Emissionen bezogen auf 1988 bis ins Jahr 2005 vorsieht, glauben aufgrund dieser Entwicklung nur mehr Berufsoptimisten.

Immer häufiger hört man deshalb auch von offiziellen Stellen, daß dieses Ziel wahrscheinlich nicht erreicht werden kann. Der Hauptverursacher schlechthin für diese Misere ist der Straßenverkehr.

Der Vierte Umweltkontrollbericht des Umweltministers an den Nationalrat bestätigt eine ähnliche Bedeutung des Straßenverkehrs für zahlreiche andere Schadstoffemissionen. In

Autos über Autos - fahrend, stauend, stehend Foto Wodicka etwa sind rund 65 Prozent der Stickstoffoxid-Emissionen (NOx) auf den Straßenverkehr zurückzuführen, bei den flüchtigen organischen Verbinden (VOC) kann sich der Straßenverkehr immerhin noch 27 Prozentanteile sichern.

Zwar konnten für beide Schadstoffgruppen Beduktionen von 20 bzw. 25 Prozent bis zum Jahr 1993 erreicht werden. Die im Ozongesetz enthaltene Zielvorgabe von minus 40 Prozent bis 1996 ist jedoch nicht mehr wirklich realistisch. Im Umweltkontrollbericht wird sogar davon ausgegangen, daß bei Fortschreibung der bestehenden Trends und bei Ausbleiben weiterer emissionsmindernder Maßnahmen im Kfz-Verkehr „in wenigen Jahren nach weitestgehender Um-: Stellung des Fuhrparkes auf emissionsarme Fahrzeuge die Emissionen der Ozonvorläufersubstanzen aus dem Kfz-Verkehr erneut ansteigen werden.”

Aber gehen wir - ganz im Sinne der Automobilindustrie — ab von diesen Horrorszenarien. Versuchen wir doch die Entwicklung einer positiven Vision, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt. Diese Vision lautet: Der technologische Fortschritt erlaubt die Entwicklung des absolut schadstofflosen, ohne Lärm fahrenden Automobils. Wir gehen sogar einen Schritt weiter: Zukünftig wird nicht mehr die Bede vom 3-Liter-Auto sein, wir entwickeln das 0-Liter-Auto. Eine lohnende Perspektive, die die Klimaschützer weltweit jubeln lassen könnte. Doch bei all diesen Zukunftsträumen bleibt ein wesentlicher, und für unsere Lebensqualität vielleicht sogar der wichtigste Faktor übrig. Dieser Faktor nennt sich schlicht und einfach „Baum”.

Der Platzbedarf für unsere vierrädrigen Freunde ist eines der größten Verkehrs-Probleme, das uns immer mehr in unserer Bewegungsfreiheit einschränkt. Man braucht nicht sehr viel Phantasie entwickeln, damit man versteht, wie sich die wahre vom Kfz-Verkehr ausgehende Bedrohung darstellt.

Man braucht bloß aus dem Fenster zu schauen. Autos über Autos - fahrend, stauend oder stehend. Einhergehend damit ist der Verlust an Lebensraum. Unsere Städte und Dörfer ersticken im Auto-Blech, welches neuerdings aus Kunststoffen besteht. Und befinden wir uns mit dem Pkw nicht auf der Straße, so fahren wir mit ihm buchstäblich bis zu unseren intimsten Lebensräumen.

Wir haben den Pkw zum fixen Bestandteil unseres Lebens gemacht, wir gestehen ihm sogar sein eigenes Wohnzimmer in Form dör den Häusern zugeordneten Garage ein. Daß diese Entwicklung des Autowohnkults bis ins Perverse gehen kann, wurde dem Autor dieser Zeilen bei seinen zahlreichen Aufenthalten auf dem Lande bewußt. Entdeckt wurden dabei vermeintliche Wohnhäuser, mit exorbitant teuren Kastenfenstern aus Massivholz, Gardinen, Dachge-schoßen unter ziegelbedeckten Giebeln und mit einer Grundfläche von rund 100 m2. Nur die Eingangstüren dieser schmucken „Einfamilienhäuser” machen sich etwas überdimensioniert aus, denn in ihnen residieren zwei'Kraftfahrzeuge der gehobenen Mittelklasse. Daß der Faktor „Baum” aber nicht nur aus Polemik besteht, soll durch ein kleines Bechenbeispiel demonstriert werden.

In Wien gab es im Jahr 1995 sagenhafte 593.800 Pkw (einschließlich Kombi). Gesteht man diesen Fahrzeugen eine Aufbewahrungsfläche von durchschnittlich 25 m2 zu, so nehmen die Wiener Pkws im Buhezustand eine Gesamtfläche von rund 14,85 Millionen Quadratmetern ein. Diese Fläche entspricht bei einer komfortablen Wohnungsgröße von 100 m2 der Anzahl von knapp 150.000 Wohneinheiten. Oder 15.000 Kinderspielplätzen mit einer Größe von jeweils 1.000 m2 oder 1.500 Parkanlagen mit einer Größe von jeweils ein Hektar. Statistisches Detail am Bande: 1985 gab es in Wien um rund 100.000 Pkw weniger. Da ist noch festzuhalten, daß Wien eine Stadt ist, deren Kfz-Dichte weit unter dem österreichischen Durchschnitt liegt.

Zusammenfassend bleibt also festzustellen, daß auch die größten Bemühungen der Automobilindustrie zur Hebung der Umweltstandards uns bestenfalls Teilerfolge bescheren. Das Problem des Straßenverkehrs ist nicht etwa der fehlende oder zu gering ausfallende Technologie-Schub in der Autoindustrie.

Das Problem besteht in der Masse der vorhandenen Fahrzeuge und in den gestiegenen Verkehrsleistungen. Die Bolle der Automobilindustrie ist hier einfach tu benennen: Sie lebt von dieser Masse. Und selbst wenn es einmal das absolut emissionsfreie Vehikel geben sollte, beeinträchtigt der Platzbedarf des Automobils unsere Lebensqualität nachhaltig.

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