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Das Auto: Zeichen des Erwachsenseins

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Fast alle Stadtbewohner und Pendler leiden unter den Folgen des PKW-Mißbrauchs. Konzepte wie „Vorrang für den öffentlichen Verkehr“ oder „autoarme Innenstadt“ finden in Umfragen mehrheitliche Zustimmung (Socialdata Wien 1993). Dennoch sind 70 Prozent der passionierten Autofahrer, welche die ÖAMTC-Akademie im März 1996 befragte, selbst dann nicht zum Umsteigen auf andere Transportmittel bereit, wenn ihnen diese kostenlos angeboten werden. Dies zeigt Grenzen des Vertrauens in die Kraft vernünftiger

Selbstregulierung - es zeigt, daß oft die Ursache psychologisch tiefer liegt. Es gibt bereits eine „Psychoanalyse des Äutomobilmißbrauchs“ von Hilgers.

Das Autofahren hat für viele wichtigere Werte als seinen eigentlichen Zweck, nämlich sich fortzubewegen. Die psychologische Verkehrsursachenforschung stellt fest, daß der „Sekundärnutzen“ immer bedeutender wird: Das Auto ist Symbol des Erwachsenenstatus (letztlich ein puber-täres Motiv), definiert den sozialen Status, es verspricht Autonomie und Unabhängigkeit, dient zur Steigerung des Selbstwertgefühls und zur Verwirklichung von Größenphantasien, zum Ausleben von (meist männlichen) Kontroll- und Machtwünschen, als Ventil für Aggression und so weiter. All dies ist im täglichen Verkehr oft spürbar. Nötigt ein Fußgänger einen Autolenker, seine Geschwindigkeit zu drosseln, zeigt ihm die Reaktion oft, daß er sich einer schweren Beleidigung schuldig machte.

Diese empirisch belegten Motive machen verständlich, wieso zwischen dem allgemeinen Bewußtsein der Problematik und dem persönlichen Verhalten oft gravierende Diskrepanzen bestehen. Wissen und Fühlen divergieren gewaltig. Fahrer, die befragt wurden, warum sie ihr Auto so häufig benutzen, obwohl ihnen negative Folgen rational klar sind, geben zu zwei Dritteln „aus Bequemlichkeit“ an.

Wie irreal die Selbsteinschätzung der Autolenker ist, ergab eine Studie des Bundesministeriums für Umwelt 1993: 73 Prozent von ihnen meinen, daß sie im Vergleich eigentlich umweltfreundlich sind; 39 Prozent glauben, es gäbe keine Umweltprobleme, wenn alle sich so verhalten würden wie sie selbst. Zum Thema Sicherheit: Über 90 Prozent halten sich für überdurchschnittlich gute Fahrer.

Meist wird nicht moralisch hinterfragt, inwieweit es wirklich nötig sei, das Auto zu benutzen. Die Zahlen sprechen für sich: In Wien zum Beispiel (Socialdata 1993) werden täglich rund 790.000 PKW-Fahrten absolviert. Die Hafte davon führt nicht weiter als fünf Kilometer, 55.000 gar führen über eine durchschnittliche Entfernung von 800 Metern! Der reale Nutzen des PKW wird von Bürgern und Meinungsbildnern signifikant überschätzt: Durchschnittlich wird jedes Auto täglich 39 Minuten genutzt, und erreicht eine Geschwindigkeit von 22 Stundenkilometern.

Die Untersuchungen ergeben jedenfalls eines: Im Stadtverkehr ist das Beduzierpotential gewaltig. Schon geringe persönliche Umstellungen können eine Entlastung von 20 Prozent bringen. Für eine Stadt wie Wien ist ein Radverkehrsanteil von rund vier Prozent beschämend. Wenn nur PKW-Fahrten unter einem Kilometer Entfernung tabu wären, wäre sofort sieben Prozent weniger Autoverkehr. Wenn aber weiterhin auf eine moralisch nicht mehr zu rechtfertigende Weise Auto gefahren wird, erwartet die Stadt Wien eine jährliche Steigerung des Verkehrs um drei Prozent, während der Einpendelverkehr um sieben Prozent zunehmen wird.

Der Autor ist freier Journalist.

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