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Die Zukunft des Autos

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Wer aufmerksam die Wirtschaftsseiten der Zeitungen liest, merkt, daß die Meldungen über ernste Probleme in der Automobilindustrie zahlreicher werden. Energie- und Umweltprobleme tragen ebenso dazu bei wie Parkplatzsorgen und verstopfte A utobahnen. Langsam verblaßt das Image dieses Statussymbols. Die Industrie wird sich darauf einstellen müssen.

Mit besonderen Schwierigkeiten kämpfen die Automobilgiganten in den USA: Chrysler „hofft” heuer einen Verlust von „nur” 750 Millionen Dollar zu erwirtschaften. Im Vorjahr waren es noch 1,1 Milliarden. Da Ford und General Motors auch mit Absatzproblemen kämpfen, erreicht die Zahl der Entlassungen in der gesamten US-Autoindustrie die stattliche Summe von 205.000.

In Europa ist die Situation derzeit noch günstiger: Der weltweit im Jahre 1979 registrierte Rückgang der Auto-produktion um 500.000 Einheiten betrifft vor allem die US-Hersteller. Dies zeigt z.B. das Jahresergebnis von Ford: Erfolge im Auslandsgeschäft konnten die Riesenverluste (in der Gegend von 1 Milliarde Dollar) auf dem US-Markt auf einen Gesamtverlust des Konzerns von „nur” 41 Millionen Dollar reduzieren.

Aber auch in Europa werden die Anzeichen für zunehmende Schwierigkeiten auf dem Automarkt erkennbar: in Frankreich etwa ist heuer sowohl der Inlandsabsatz als auch der Export zurückgegangen. Und vor kurzem haben sich 6 Automobilhersteller aus 5i europäischen Ländern, die bisher in einem massiven Konkurrenzkampf engagiert waren, zusammengetan, um zunächst einmal im Bereich der Grundlagenforschung gemeinsame Sache zu machen.

Es spricht vieles dafür, daß die Kernaussage eines kürzlich erschienenen Buches des „Worldwatch Institute”, einer amerikanischen Forschungseinrichtung, die sich mit Fragen globaler Entwicklungstendenzen beschäftigt, zutrifft: Die Autoindustrie, vor allem die PKW-Erzeugung wird in den 80-er Jahren mit einer Fülle großer Probleme zu kämpfen haben und ihre Bedeutung wird abnehmen.

Zunächst kommt jedermann natürlich die Energieproblematik in den Sinn, wenn Überlegungen über die langfristigen Aussichten der Autos angestellt werden. Und zu Recht: Denn die Automobilweltflotte (sie beträgt etwa 320 Millionen Fahrzeuge) verbraucht ungefähr ein Fünftel des weltweit geförderten Erdöls.

Es ist daher verständlich, daß seit dem Jahr 1973, dem Jahr der ersten massiven Erhöhung des Erdölpreises, die Kosten der Automobilhaltung stark angestiegen sind und sich zunehmend auch auf die Nachfrage nach diesem immer teureren Gebrauchsartikel auswirken.

Um eine Vorstellung von der Größenordnung dieser Aufwendung zu bekommen, muß man sich vor Augen halten, daß der Durchschnittsamerikaner etwa 15 % seines Gesamteinkommens für sein Auto aufwendet. In Europa liegen die Zahlen sicher in der gleichen Größenordnung.

Diese 15 % geben aber nicht nur darüber Auskunft, wie teuer uns das Auto zu stehen kommt, sondern sie bringen auch zum Ausdruck, welchen wirtschaftlichen Stellenwert die Automobilherstellung und die nachgelagerten Wirtschaftszweige (wie Benzinversorgung, Service, Reifenerzeugung, usw ...) haben.

Die enorme wirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors läßt sich auch ah anderen Zahlen illustrieren: in Europa sind die Arbeitsplätze von rund 5 Millionen Menschen direkt oder indirekt vom Auto abhängig, in den USA sind es rund 22 % aller Beschäftigten. Ja, und weltweit verdienen ungefähr 30 Millionen Menschen ihr Geld in Berufen, die mit dem Auto in enger Verbindung stehen.

Kein Wunder also, daß die Wirtschaftspolitiker mit größter Aufmerksamkeit die Entwicklung dieses Sektors verfolgen. Sehr oft hängt sogar ein großer Anteil der Staatseinnahmen vom Auto ab: Frankreich bezieht etwa 16 % seiner Staatseinnahmen aus Steuererträgen, die direkt oder indirekt von der

Erzeugung und dem Betrieb von Autos herrühren.

Wenn man dies bedenkt, wird auch klar, warum es heute vielfach zu einer einigermaßen schizophrenen Haltung dem Auto gegenüber kommt: Einerseits ist es durch seinen enormen Energieverbrauch Quelle wachsender Besorgnis und zunehmender Kritik. Andererseits hat es in sehr vielen Ländern einen so großen Stellenwert im Wirtschafts-gefüge, daß eine rückläufige Nachfrage ernste Beschäftigungsprobleme nach sich ziehen würde.

Kurzfristig sind wir an hohen Absatzziffern interessiert, langfristig müssen wir die Bedeutung dieses Großenergieverbrauchers reduzieren. Ein Dilemma, aus dem es zu entrinnen gilt.

Der eine Ausweg, der sich anbietet, besteht darin, drastisch den Treibstoffverbrauch der Autos zu reduzieren. Hier zeichnet sich eine Reihe von technischen Möglichkeiten ab.

So wäre es an der Zeit, die Leistung der Motoren an die bestehenden Geschwindigkeitsbegrenzungen anzupassen und das positive Image des großen Beschleunigungsvermögens abzubauen. Auch die Größe und das Gewicht der PKWs könnte erheblich reduziert werden, wenn man dem Umstand Rechnung trägt, daß bei einem Großteil der Reisen nur kurze Distanzen zurückgelegt werden (80 % der Fahrten sind kürzer als 15 km).

Weitgehend verzichtet werden sollte auch auf die automatische Schaltung: eine 3-Gang-Automatik verbraucht etwa 10 % mehr Treibstoff als ein 4-Gang-Getriebe. Einsparungen ergeben sich auch durch den Einbau von Dieselmotoren, die um rund 20 bis 25 % weniger verbrauchen als entsprechende Benzinmotoren.

Gerade am Beispiel des Dieselmotors wird aber auch offenkundig, daß -so sinnvoll und hoffnungsversprechend ein Nützen der technischen Einsparungsmöglichkeiten auch ist - es langfristig doch zu einem tiefergehenden Umdenken notwendigerweise kommen muß. Einem Umdenken, das auf lange Sicht zu einer Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs führen wird. Denn Dieselmotoren belasten durch ihre Lärmentwicklung und ihre Abgase die Umwelt weitaus stärker als Benzinmotoren. Und gerade Umweltaspekte müssen bei Überlegungen über die Zukunft der Motorisierung besonders berücksichtigt werden. Wir müssen den Fahrzeugbestand stabilisieren und langfristig sogar reduzieren, sonst brauchen wir die Einsparungen, die technische Entwicklungen am einzelnen Fahrzeug ermöglichen, durch die steigende Zahl der Fahrzeuge auf. Ja, langfristig käme es sogar zu weiterhin steigendem Treibstoffbedarf! Schließlich ist ja die Automobildichte in den meisten Industrieländern schon enorm hoch: ein Auto auf zwei Einwohner in den USA, auf 2,5 in Kanada, auf 4 in Westeuropa, auf 5 in Japan. Wir spüren es ja in unserem Alltagsleben: die total vom Autoverkehr blockierten Stadtzentren und die von heimreisenden Urlaubern verstopften Autobahnen bereiten uns auf das Akzeptieren einer Zukunft mit weniger Autoverkehr vor.

Eine Verringerung des Autoverkehrs ist nämlich langfristig der zweite Ausweg: z.B. Verzicht auf einen Teil der Ortsveränderungen durch seßhaftere Lebensgestaltung, Reduzierung der Entfernung von Lebens- und Arbeits* platz, Entwicklung neuer sparsamerer Arten der Beförderung, etwa durch das Einrichten von Mitfahrergemeinschaften.

Besondere Chance aber wird einem Verkehrsmittel eingeräumt, das in der letzten Dekade einen ganz besonders gigantischen Aufschwung genommen hat: Das Fahrrad erfreut sich wachsender Beliebtheit. Es hat den Vorteil, daß seine' Benützung kaum zusätzliche öffentliche Investitionen erfordert.

So wurden etwa in den USA im vergangenen Jahrzehnt um eine Million mehr Fahrräder als Autos verkauft, bei einem Absatz von etwa 100 Millionen Stück. Das Paradeland des Fahrradverkehrs aber ist Holland. Dort gibt es Städte, in denen sich rund 50 % des Alltagsverkehrs auf Fahrrädern abspielt! Wo aus örtlichen Gegebenheiten das Fahrrad nicht eingesetzt werden kann, bieten Mopeds eine günstige Lösung. Zwei Aussagen zeichnen sich also für die Zukunft des Automobils ab: Langfristig gilt es die Bedeutung des PKW-verkehrs zu reduzieren. Die Weichen der Wirtschaftspolitik wären in diese Richtung zu stellen. Parallel dazu ist es aber notwendig, einen Prozeß des technischen Wandels in der Automobilindustrie zu begünstigen: Wir brauchen sparsamere und umweltschonendere Autos. Je teurer der Treibstoff und je strenger die Umweltschutzauflagen, umso eher wird sich der Verbraucher und die Industrie auf diese Notwendigkeiten einstellen.

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