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Nicht komfortabler und schneller: sicherer!

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In Nr. 39 der „Furche“ war an dieser Stelle von dem noch immer unzureichenden Insassenschutz in Kraftfahrzeugen die Rede. Heute Wollen wir uns mit einigen konstruktiven Maßnahmen auseinandersetzen, die für die Verkehrssicherheit von noch größerer Bedeutung sind. Vieles davon ist sehr wohl bekannt, wird aber nur in den seltensten Fällen auch wirklich und sinnvoll angewendet. Die aufmerksamere Beobachtung dieser Maßnahmen würde indes nicht nur dem Schutz der Insassen de Kraftfahrzeuges dienen, sondern hätte darüber hinaus Bedeutung für die gesamte Verkehrssicherheit.

Die steigende Dichte und das wachsende Tempo des Verkehrs bringen es mit sich, daß das normale Straßennetz in Europa zum überwiegenden Teil dafür nicht mehr ausreicht. Da es aber nicht möglich ist, das Straßennetz den modernen Verkehrserfordernissen von heute auf morgen anzupassen, müssen sich eben umgekehrt die Kraftfahrzeuge den Gegebenheiten anpassen. Das ist einfacher und leichter als das andere, denn dem Konstrukteur ist es in die Hand gegeben, von vornherein mit diesen Straßenverhältnissen zu rechnen und sich auf sie in seiner Tätigkeit einzustellen. Auch dem Werbemann — und er ist ja ein maßgebender Faktor in jeder Automobilfabrik — wird es wahrscheinlich in der Folge nicht allzu schwer fallen, mit den sich daraus ergebenden Argumenten erfolgreich zu werben. Wer trägt sonst die Verantwortung dafür, daß heute Geschosse auf die Straße gebracht Werden, die in der Hand des Durchschnittsfahrers leider nur allzuoft zur Mordwaffe werden? Wir sind der Meinung, daß das Operieren mit Höchstgeschwindigkeiten von 150, 200 und mehr Stundenkilometern durch Reklame weit weniger für die technische Leistungsfähigkeit einer Firma, als vielmehr für ihre geringe Verantwortung spricht. Jedes Kind weiß heute nachgerade, daß solche Geschwindigkeiten zu erreichen sind — daß ihnen aber der Durchschnittskraftfahrer auch nicht im entferntesten gewachsen ist. Solange es daher den Konstrukteuren nicht gelingt, ein Servogerät in das Fahrzeug einzubauen, das bis zu einem gewissen Grade den Mangel an Reaktionsvermögen, Verläßlichkeit und Erfahrung des Kraftfahrers kompensiert, dürften Fahrzeuge dieser Art eigentlich nicht öffentlich verkauft werden.

Ganz abgesehen davon aber muß man sich ernsthaft die Frage vorlegen, worin denn nun wirklich der Vorteil von Geschwindigkeiten etwa über 140 Stundenkilometer zu suchen sein soll. Bei einiger Erfahrung und Sachkenntnis wird jeder Kraftfahrer bestätigen können; daß so hohe Geschwindigkeiten auch auf Autobahnen kaum noch auszufahren sind, und zwar nicht etwa wegen der fehlenden Kenntnisse der Fahrer, sondern allein schon durch die Tatsache, daß sich das Ueberholen auf der linken Fahrbahnseite im allgemeinen mit 100 bis 130 Stundenkilometer abwickelt. Die Verkehrsdichte auf der Autobahn bringt es mit sich, daß eine höhere Geschwindigkeit als 140 bis maximal 160 Stundenkilometer vielleicht ab und zu, im allgemeinen aber nicht möglich ist, da man ständig einen langsameren Vordermann, der womöglich selber gerade überholen will, vor sich hat. Ein Automobil findet also für den normalen Straßengebrauch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 140, vielleicht schon 120 Stundenkilometer, absolut das Auslangen. Schließlich kommt es ja nach wie vor bei einem Fahrzeug weniger auf die Spitzengeschwindigkeit als vielmehr auf die guten Durchschnitte an.

Wichtig sind das hohe Beschleunigungsvermögen und erstklassige Bremsen, die maximale Verzögerungswerte gewährleisten, zwei Faktoren, die für guten Durchschnitt und verkehrssicheres Fahren unerläßlich sind. Und hier hapert es bei den heutigen Fahrzeugen, deren Bremsen auch bei einer zweiten und dritten Serie nicht wesentlich verbessert wurden!

Aber auch das Problem Straßenlage ist nicht durchweg zufriedenstellend gelöst. Neben Fahrzeugtypen mit unzweifelhaft ausgezeichneter Straßenlage gibt es noch mindestens genau so viele, deren Straßenlage für die enormen Geschwindigkeiten der Type absolut unzureichend ist. Die Erfahrungen aus dem Sport- und Rennwagenbau der ganzen Welt müßten diese Firmen doch längst in die Lage versetzt haben, ihre Fahrzeuge konstruktiv diesen Erkenntnissen anzupassen, und dies selbst dann, wenn es auf Kosten eines unechten Fahrkomforts gehen sollte.

Die modernen Automobilkonstruktionen lassen sich nach ihrer Straßenlage in drei Kategorien einteilen. Es gibt Fahrzeuge mit einem langsameren Motor, als dem Fahrgestell eigentlich zukommt. Der Motor ist also nicht in der Lage, das Fahrzeug unter normalen Voraussetzungen bis an die Grenze seiner Fahreigenschaften auszufahren; Fahrzeuge, bei denen sich Motorleistung und Fahreigenschaften die Waage halten; und schließlich Fahrzeuge, bei denen der Motor absolut schneller ist, als das Fahrgestell es verträgt. Sie sind gefährlich und verleiten zu einer Fahrweise, die sich grundsätzlich an der Grenze des Unfalls bewegt.

Es sollte aber auch gewissenhafter darauf geachtet werden — und dies unter Umständen auf Kosten der Billigkeit —, die Lastvertei- u n g so vorzunehmen, daß eine Kopf- oder Hecklastigkeit unmöglich wird. Beides kann in gewissen Verkehrssituationen gefährlich werden.

Nicht zuletzt ist die G e t r i e b e ausleg u n g von großer Bedeutung, denn in der Regel muß man zum Ueberholen eines Fahrzeugs bei einem Vierganggetriebe vielfach auf den dritten Gang zurückschalten. Da die heutigen Lkw.-Geschwindigkeiten zwischen 70 und 90 Stundenkilometer liegen, müßte die Höchstgeschwindigkeit im dritten Gang bei 100 Stun-

denk’.lometer liegen, damit ein gefahrvolles Schalten während des lieberholens vermieden wird. Bei einer ganzen Reihe heutiger Konstruktionen, und zwar relativ schneller Fahrzeuge, ist jedoch die Dritte so ausgelegt, daß sie ihre Spitze kaum über SO Stundenkilometer, meist aber sogar noch darunter, erreicht. Daß hier Verbesserung möglich ist, beweist eine Reihe von relativ kleinen Fahrzeugen, die im dritten Gang ohne weiteres 95 bis 100 Stundenkilometer erreichen.

Aber nicht nur so maßgebende Momente sind bisher zuwenig berücksichtigt worden. Oft sind es Kleinigkeiten, denen in kritischen Sekunden größte Bedeutung zukommen kann. Ein kleines Beispiel: der Scheibenwischer. Man kennt heute eine ganze Reihe von Scheibenwischerkonstruktionen, die für die gute Sicht des Fahrers, die primitivste Forderung, verantwortlich wären. Um ganz ehrlich zu sein: restlos befriedigt hat bisher keine. Immer wieder tauchen Mängel auf. Die Scheibe wird nicht vollkommen gewischt, sondern es entstehen innerhalb der Wischfläche kreisförmige Rillen, die vor allem bei Nacht zu einer Verzerrung des Bildes und dadurch zu einer starken Ermüdung der Augen führen. Die Blendwirkung wird in solchen Fällen größer, als es noch zu vertreten ist. Im Winter wiederum vereisen die Scheibenwischerblätter auch bei eingeschaltetem Defroster. Man muß sich also entschließen: entweder alle paar Kilometer auszusteigen und die Blätter „vom Eis zu befreien”, oder eben in Gottes Namen unter so schlechten Sichtbedingungen weiterzufahren. Entsprechende Wischerblätter — und um sie handelt es sich bei diesen Mängeln vor allem — müßten gefunden und auch wirklich bei allen Konstruktionen verwendet werden. Hierher gehört aber auch noch ein anderer Scheibenwischer: Wenn man schon unbedingt der Meinung ist, daß der Rückspiegel ins Innere eines Fahrzeuges gehört, dann sollte man auf der anderen Seite dafür sorgen, daß die Heckscheibe ebenso wie die Windschutzscheibe von Regen, Beschlag und Eis durch entsprechende Scheibenwischer bzw. Defroster blankgehalten wird — was bisher bei keinem Fahrzeug der Fall ist.

Eine andere Frage: Wann wird endlich der Seitenträger des Daches, der mit-, unter einen sehr beträchtlichen toten Blickwinkel ergibt, zum Teufel gejagt? Wir haben uns darüber mit einigen deutschen Formgestaltern unterhalten, die es für durchaus möglich hielten, die beiden vorderen Dachträger fast vollkommen zum Verschwinden zu bringen. Trotzdem sind sie da, sind sie noch immer da und führen immer wieder zu Unfällen. Die Panoramascheibe bedeutet hier sicherlich eine gewisse Besserung, aber noch lange keine Lösung, denn der tote Blickwinkel wird durch sie nur etwas nach hinten verlegt. Nichts gegen die Rundraumverglasung an sich, aber welchen S.inn hat sie, wenn sie nicht vor allem die Sichtverhältnisse des F a h r e r s in günstiger Weise löst?

Das Belegen der Windschutzscheibe mit Dunst und Eis ist durch den Defroster zumindest gemildert, in vereinzelten Fällen behoben. Daß aber namentlich die vorderen S e i t e n f e n s t e r im Winter immer noch vereisen und der Kraftfahrer daher wie mit riesigen Scheuklappen versehen in seinem Fahrzeug sitzt, ist noch viel zuwenig beachtet worden. Einige Automobilfabriken haben hier schüchterne Versuche mit einer Warmluftführung unternommen, leider ohne nachdrücklichen Erfolg.

Dem Problem „Sicht”, einem der allerwichtigsten überhaupt, wird demnach auch heute noch bei weitem zuwenig Sorgfalt und Aufmerksamkeit gewidmet. Wir warten ja auch schon seit Jahrzehnten auf die Lösung des Problems der Blendung durch entgegenkommende Fahrzeuge. Die Zubehörindustrie hat dazu unzweifelhaft eine Menge Forschungsarbeit geleistet. Zum Ziel gelangen aber wird man erst, wenn vom Gesetzgeber ganz bestimmte Forderungen in dieser Richtung erhoben werden, und dies auf internationaler Ebene. Es gibt Vorarbeiten dazu. Wir denken zum Beispiel an das in Zusammenarbeit einiger europäischer Firmen geschaffene asymmetrische Abblendlicht, bei dem der rechte Fahrbahnrand weiter und besser ausgeleuchtet, das entgegenkommende Fahrzeug aber dennoch minimalst angeleuchtet wird.

Das heute gängige normale Abblendlicht ist absolut unzulänglich. Bei einem Fahrtempo, wie es heute auf den internationalen Verkehrsstraßen auch nachts gefahren wird, reichen 25 oder 30 m beleuchteter Straße nicht aus, um ein Hindernis im Dunkel rechtzeitig zu erkennen und das Fahrzeug zum Halten zu bringen. Wieviel tausende schwere Unfälle sind dadurch verursacht worden! Ein verantwortungsbewußter Fahrer wird, wenn er abblenden muß, seine Fahrgeschwindigkeit stark reduzieren, was wieder zu empfindlichen Schnittverminderungen führt.

Es ist bekannt, daß die Scheinwerfer namentlich weich gefederter Fahrzeuge angehoben werden, sobald diese voll belastet sind. Dadurch wird der Lichtkegel von der Fahrbahn entweder abgehoben oder zumindest weit hinausgezogen, wodurch sich auch bei abgeblendetem Licht noch eine starke Blendwirkung für den Entgegenkommenden ergibt. Der Kraftfahrer besitzt selbst keine Möglichkeit, die Scheinwerfer der Belastung des Fahrzeuges anzupassen. Obwohl es auch hier bereits entsprechende Konstruktionen gibt, werden sie nicht angewendet: zum Beispiel die mechanische Scheinwerfereinstellung von Hand aus oder die automatische. Die letztere, den sogenannten Leuchtweiteregler, fanden wir bisher noch an keinem Fahrzeug, die mechanische findet sich an einzelnen französischen Wagen.

Aber auch eine Kurvenausleuchtung steht bis heute noch aus. Alle Kraftfahrer kennen die gefürchtete Situation in engen Kurven, vor allem im Gebirge. Die Ausleuchtung der Kurve erfolgt durch die Scheinwerfer zu einem geringen Teil, und selbst bei Abblendlicht sind die Sichtverhältnisse noch unzureichend.

Nebelleuchten müßten unserer Meinung nach absolut zur Standardausrüstung eines Fahrzeuges gehören. Sie kämen, serienmäßig hergestellt, auch billiger, als wenn sie sich nur einzelne Kraftfahrer anschaffen müssen.

Die Armaturenbeleuchtung müßte bei allen Fahrzeugen mittels eines vorgeschalteten Widerstandes von hell bis fast vollkommen dunkel geregelt werden können, um die Gefahr der Eigenblendung auf nächtlichen Ueberland- Straßen zu vermeiden. So lange die Witterungsverhältnisse gut sind, ist eine Blendgefahr durch die Instrumentenbeleuchtung im allgemeinen nicht gegeben. Sobald jedoch die Sichtverhältnisse sich stark verschlechtern, tritt eine starke Eigenblendung auf, und dies vor allem bei gut beleuchtetem Armaturenbrett. Das völlige Abstellen ist im allgemeinen auch keine Lösung, denn schließlich sind die Instrumente ja zur Ueberwachung des Fahrzeuges da und müssen unter allen Voraussetzungen gut eingesehen werden können. Interessant ist allerdings, daß unter den wenigen Fahrzeugtypen, die diese Blendmöglichkeit durch die Armaturenbrettbeleuchtung berücksichtigen, sogar recht billige sind.

Gerade in den Sommermonaten fanden bei uns eine Reihe von Unfällen statt, bei denen die Insassen im Fahrzeug verbrannten. Notwendig ist also beim Kraftfahrzeug auch die sichere Anbringung des Tanks. Bei Fahrzeugen mit vorn liegendem Motor gehört der Tank auf ajle Fälle ins Heck des Fahrzeuges, um bei oft geringfügigen Karambolagen zu verhindern, daß das Benzin an der heißen Maschine, an einem zündfähigen Gegenstand oder durch Funken Feuer fängt. Der Tank über dem Motor an der Frontseite eines Fahrzeuges sollte heute eigentlich der Vergangenheit angehören. Schwieriger ist die Frage, wo der Tank bei Heckmotor-Konstruktionen liegen soll; befindet er sich nämlich im Heck, dann besteht ebenfalls die Gefahr, daß sich das Benzin an der heißen Maschine entzündet, befindet er sich aber vor dem Fahrer, dann kann bei Karambolagen das ausfließende Benzin durch Funkenbildung Feuer fangen. In solchen Fällen ist der Tank eben so anzubringen, daß jede dieser Gefahren vermieden wird. Bei Flugzeugen etwa wird der Tank durch einen wirksamen Flammenschutz vom Fahrgastraum getrennt. Zur serienmäßigen Ausstattung eines Fahrzeuges müßte aber auf alle Fälle zumindest ein Feuerlöscher gehören.

Zuwenig Aufmerksamkeit wird bei der Konstruktion eines Fahrzeuges auch der Frage zugewendet, in welcher Art bei Karambolagen die Blechverformung stattfindet. Sehr wesentliche Forschungsarbeit hat auf diesem Gebiet die Daimler-Benz-AG. geleistet.

Opfer müßten von den Fahrzeugherstellern auch dafür gebracht werden, daß die Konstruktion von Innenlenkern möglichst stabil ausgelegt wird. Beim Ueberschlagen eines Fahrzeuges muß es nicht unbedingt zu allzu großen Verformungen des Innenraumes und damit zu Verletzungen der Insassen kommen. Es gibt bereits eine Reihe von Konstruktionen, die in dieser Richtung auf recht beachtliche Erfolge hinweisen können. Allerdings müßte man fordern, daß diese Allgemeingut werden — obwohl Autos „nicht für Zusammenstöße gekauft werden".

Es ist schließlich statistisch erwiesen, daß bestimmte unauffällige Farbgebungen für Fahrzeuge und damit für ihre Insassen direkt gefährlich sind. Wir denken hierbei an verschiedene Pastelltöne, wie Grau, Graugrün, Grünlich, also Farben, die sich vielleicht im Krieg als Tarnfarben bewähren mögen, im „Zivilleben“ aber lebensgefährlich sind.

Im Interesse aller Kraftfahrer kann man nur hoffen, daß die hier kurz aufgezeigten Ziele und noch andere mit der erforderlichen Intensität angestrebt und endlich verwirklicht werden. Es ist schmerzlich, feststellen zu müssen, daß zivile Kraftfahrzeuge noch weit von jener Vollkommenheit und Sicherheit entfernt sind, wie sie kompliziertestes Kriegsgerät lange schon erreicht hat und immer wieder erreicht.

Bei den 1897 auf Grund der Wahlen in einer fünften allgemeinen Wählerkurie vollzogenen Neuwahlen in den Reichstag errangen die Christlichsozialen zehn von den zweiundsiebzig dieser fünften Kurie zugewiesenen Mandaten; das war die Anmeldung einer jungen, neuen Kraft, die bald zu außerordentlichem Erfolg schreiten sollte.

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