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Wir brauchen neue Ideen

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Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und steigender Lebensstandard sind unvermeidbar mit dem Mehreinsatz von Energie verbünden. Daran ändern auch die neuen Betrachtungsweisen, die in den letzten Jahren unter dem Schlagwort „Qualität ;des Lebens“ mehr und mehr in der Diskussion um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt Platz gegriffen haben, der Tendenz nach kaum wirklich etwas. 18 Vom'Beginn der Industrialisierung im vorigen Jahrhundert an bis in die heutige Zeit war der vermehrte Energieeinsatz die Basisvoraussetzung für jeden wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß.

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Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und steigender Lebensstandard sind unvermeidbar mit dem Mehreinsatz von Energie verbünden. Daran ändern auch die neuen Betrachtungsweisen, die in den letzten Jahren unter dem Schlagwort „Qualität ;des Lebens“ mehr und mehr in der Diskussion um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt Platz gegriffen haben, der Tendenz nach kaum wirklich etwas. 18 Vom'Beginn der Industrialisierung im vorigen Jahrhundert an bis in die heutige Zeit war der vermehrte Energieeinsatz die Basisvoraussetzung für jeden wirtschaftlichen Entwicklungsprozeß.

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Es war kein Zufall, daß In der ersten Industrialisierungsphase des vorigen Jahrhunderts die Schwerpunkte der neuen Entwicklung dort anzutreffen waren, wo von Natur aus die besten Energiegrundlagen vorhanden waren. Nach dem damaligen Entwicklungsstand der Technik waren das die wichtigsten Kohlengebiete Europas. Mangel an Energie (damals gleichzusetzen mit Mangel an eigenen Kohlevorkommen) war denn auch bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges ein entscheidender Strukturnachteil und ein Handikap der industriellen Entwicklung. Auch in der wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs spielte dieses Element, besonders in der Phase der größten Strukturprobleme zwischen den beiden Weltkriegen, eine entscheidende Rolle. Relativ — im Vergleich zu anderen Ländern — höhere Energiekosten haben damals, natürlich neben anderen Elementen, die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs stark beeinträchtigt.

Europaweit gesehen war die Kohle bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der entscheidende Primärenergieträger, der auch das Niveau der Energiekosten bestimmte.

Erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre bahnte sich, vorerst unbemerkt, eine grundlegende Änderung der europäischen Energiesituation an, deren Tendenz im Grunde jener Entwicklung entsprach, die auf dem amerikanischen Kontinent schon Jahrzehnte vorher zu einer Änderung der Struktur der Energieversorgung geführt hatte; nämlich zum Vordringen des Öls nicht nur als Kraftstoff für Verkehrszwecke, sondern auch als Energieträger für industrielle und private Verwendung.

In Europa wurde diese Tendenz erst wirksam, als im Verlaufe der fünfziger Jahre in den Staaten des Nahen Ostens eine geradezu explosionsartige Entwickung einsetzte. Mit der Entdeckung neuer, unerhört reicher Erdöllager, die alle bisher bekannten weit übertrafen, trat nicht nur eine grundlegende Änderung der Angebo'tssituation für Erdöl auf dem Weltmarkt ein, sondern auch eine völlig neue Kpnkurrenzsituation gegenüber der traditionellen Kohle.

Am Beginn dieser Entwicklung stand ein rasch zunehmender Angebotsdruck für Rohöl auf dem europäischen Kontinent bei beträchtlich sinkenden Preisen, die ihrerseits die Nachfrage schlagartig anregten und zu einer raschen Substitution von Kohle durch Erdöl führten. Aus dem Kohlenmanigel in Europa, der den Wintschaftspolitikern noch bis zum Jahre 1957 erhebliche Sorgen bereitete und in den Jahren vorher zu einer bedeutenden Expansion des amerikanischen Kohlenexportes nach Europa geführt hatte, wurde an der Wende von 1957 auf 1958 schlagartig die europäische „Kohlenkrise“. Sie führte in der Folge zu schwierigen Anpassungsproblemen im europäischen Kohlenbergbau, zur Reduktion der Produktion und zur Schließung von Kohlengruben mit höheren Produktionskosten. In den folgenden Jahren bis 1973 wurde das Wachstum des europäischen Energieverbrauches fast ausschließlich durch die Mehrverwendung von Erdölprodukten gedeckt. In knapp 15 Jahren wurde nun Erdöl zum wichtigsten Energieträger der europäischen Wirtschaft. Damit aber wurde Europa von einem bis dahin weitgehend auf eigenen Energiegrundlagen basierenden Wirtschaftsraum zu einem in entscheidendem Maße von Energieimporten abhängigen. Gleichzeitig wurden die beträchtlichen Unterschiede in der energiewirtschaftlichen Ausigangssituation (Kohlenreichtum, Kohlenarmut) weitgehend eingeebnet. Erdöl war in allen europäischen Ländern zu annähernd gleichen Bedingungen verfügbar.

Die Ölkrise vom Herbst 1973 hat diese europäische Energiesituation schlagartig beleuchtet. Die weltpolitischen Aspekte der neuen Lage sollen hier unberücksichtigt bleiben. Die wirtschaftlichen sind schwierig genug. Denn abgesehen von der Frage des Umfanges und der Verfügbarkeit der Ölvorkommen zur Dek-kung des wachsenden Energiebedarfes, die vor allem die Zukunftsforscher seit geraumer Zeit immer wieder aufgeworfen haben, interessieren hier zumindest die mittel- und längerfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen. Es steht fest, daß erstens die Periode weitgehend niedriger und stabiler ölpreise bei gleichzeitigem starken Nachfragewachstum in den letzten Monaten zu Ende gegangen ist. Zweitens, daß wir in eine Phase eintreten, in der mit erheblich höheren ölpreisen und damit mit strukturellen Auswirkungen auf den Energieverbrauch gerechnet werden muß. Der erste Faktor, Tendenz höherer und steigender ölpreise (und damit allgemein steigender Energiekosten), wird auf der einen Seite die Kosten- und Preisstruktur zu Ungunsten von energieintensiven Wirtschaftszweigen verändern, aber die Konkurrenzpositionen zwischen den europäischen Industrieländern kaum wesentlich verändern.

Anders ist der zweite Faktor, das strukturelle Element, zu beurteilen. Höhere ölpreise werden nicht nur bei den einzelnen Produkten unterschiedliche Nachfragereaktionen auslösen, die im Verkehrsbereich sicherlich anders als in der Verwendung im Haushalt ausfallen werden. Sie werden darüber hinaus aber neue Bedingungen für die Substitutionskonkurrenz zwischen den Energieträgern schaffen und damit möglicherweise einen neuen Strukturprozeß in der Energiewirtschaft auslösen.

Welchen Umfang und welches Ausmaß diese neue Substitutionsphase erreichen wird, kann heute kaum ernsthaft beurteilt werden, weil das tatsächliche und längerfristige Ausmaß der Preisänderungen noch nicht abgeschätzt werden kann. Zweifellos werden auch die ölprodu-zierenden Länder kein besonderes Interesse daran haben, den ölpreis so weit anzuheben, daß sich die Konkurrenzverhältnisse zu anderen Primärenergiearten (Kohle, Gas) entscheidend zu Ungunsten des Erdöls verändern.

Auf lange Sicht bleibt Österreich, gleichgültig wie sich die internationalen Energiemärkte entwickeln, ein überwiegend auf Energieimporte angewiesenes Land.

Auch eine verstärkte Nutzung der heimischen Energiequellen kann an dieser naturgegebenen Grundsituation nichts ändern. Deshalb wird eines der vordringlichen Anliegen der Wirtschaftspolitik eine entsprechende Vorsorge für Krisensituationen sein müssen. Die Notwendigkeit der Bevorratung ist in den letzten Monaten wohl eindringlich genug bewiesen worden. Der enorme finanzielle Aufwand dafür wird Priorität erhalten müssen.

Der zweite entscheidende Einfluß der Energiekrise zeigt sich in der österreichischen Zahlungsbilanz. Schon im letzten Jahr haben Export-und Dienstleistungssektor den österreichischen Bedarf an ausländischen Zahlungsmitteln nicht decken können. Mit der entscheidenden Verteuerung der Energieimporte entsteht nunmehr eine fast strukturelle Defizitposition in der österreichischen Leistungsbilanz, die auf die Dauer wohl kaum durch Kapitalimporte ausgeglichen werden kann. Damit steht aber als Folge der Energiekrise die Notwendigkeit entscheidender Anstrengungen zur Verbesserung der österreichischen Leistungsbilanz im Vordergrund. Kurzfristige Hilfen zur Verbesserung der Exportfinanzierung und steuerliche Erleichterungen allein werden das Problem kaum lösen können. Es wird neuer Anstrengungen auf dem Gebiet der industriellen Strukturpolitik bedürfen, um auf längere Sicht eine quantitative und qualitative Steigerung des Exportanteiles der österreichischen Produktion herbeizuführen. Ähnliches gut für die qualitative Verbesserung der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft. So wie in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre die Strukturpoli-tik in der Wirtschaftspolitik Vorrang hatte, wird sie nun in den nächsten Jahren wieder mit neuen Ideen und Instrumenten neue Impulse auslösen müssen.

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