Bis das Öl ausläuft

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Noch dominiert Erdöl in den Energiebilanzen. Es mehren sich aber die Hinweise darauf, dass sich das Erdölzeitalter seinem Ende zuneigt. Eine Analyse.

Das Weltenergiesystem ist vernetzt, kompliziert und vor allem verletzlich. Nach jahrelanger Sorglosigkeit, die durch niedrige Rohöl- und Gaspreise und wohltönende Prognosen über die angeblich überwältigenden Vorratsmengen an Weltenergiereserven, hervorgerufen worden war, ist die Frage nach der Energiezukunft um die Jahrtausendwende nicht mehr überhörbar. Ja, sie wird allem Anschein nach sogar schneller dringlich, als dies in den Köpfen der Energiestrategen bislang vorstellbar war.

Die Anschläge vom 11. September 2001 haben zu einer weiteren Aktualisierung dieser Fragestellung geführt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, gibt es zwei wichtige Strömungen, mit denen man sich der Energiefrage nähert. Da ist einmal die Rebellion gegen eines der zentralen Dogmen des Industriezeitalters, das besagt, dass Zentralisation und optimiert-intensive Produktion mit "Fortschritt" gleichzusetzen sei. So kam die Menschheit bei der Energienutzung von Holz über Kohle zu Öl und Gas, weiter zur Atomkraft und sucht jetzt reflexartig nach der noch stärkeren Kernfusion.

Die Gegenbewegung ist aber auch schon unüberhörbar. Jene Widerständler, die die kleine dezentrale Produktion aus erneuerbaren Energieträgern, also aus Wasser, Sonne, Wind, Biomasse usw., für den richtigen und erfolgversprechenden Weg in die Zukunft halten, stören die Kreise der Traditionalisten bereits gewaltig.

Derzeit kann man ihnen zwar noch eine mengenmäßig geringe Ausbeute und den dadurch etwas höheren Preis entgegen halten. Anderseits überzeugen sowohl die ökologische Argumentation der nachhaltigen Umweltverträglichkeit, als auch der Hinweis auf die zumindest theoretisch fast unendliche Verfügbarkeit dieser Energieformen. Jedenfalls sind die Zuwachsraten durchaus sauber und respektabel.

Die EU-Pläne für die nächsten zehn Jahre streben eine Verdoppelung von derzeit sechs im europaweiten Durchschnitt auf zwölf Prozent an. Dies ist ein gigantisches Vorhaben, weiß doch jeder Analytiker, dass nach einer gewissen Zeit auf ein linear verlaufendes Wachstum, bei brauchbaren Rahmenbedingung ein exponentieller Anstieg zu erwarten ist. Dies könnte durchaus auch auf die Erneuerbaren Energieträger zutreffen und ihnen nach eine gewissen Zeit allein durch reine Marktparameter, wie Massenproduktion der Anlagen, Reifung der eingesetzten Technologien und Entwicklung neuer Anwendungsgebiete, den Durchbruch ermöglichen.

Bis zur bitteren Neige

Entscheidend für den Wettlauf zwischen fossilen (Kohle, Öl, Gas) und atomaren Energiequellen auf der einen und den Erneuerbaren auf der anderen Seite werden vorwiegend die politischen Rahmenbedingungen sein. Kommt es zu einer echten ökologischen Steuerreform, einer ehrlichen Internalisierung externer Kosten bei der fossilen und atomaren Energienutzung (von der EU-Kommission bereits angekündigt), werden die staatlichen Beihilfen in Form von steuerfreien Rückstellungen (Deutschland) oder der Nichtentnahme von Dividenden (Frankreich) aufgegeben und die gigantische Förderung der Kernfusionsforschung, die nach neuesten Erkenntnissen ohnehin erst in 100 Jahren einsatzfähig wäre, eingestellt, so sind die erneuerbaren Energieträger Sieger.

Ohne diese Maßnahmen werden vor allem die wichtigen Rohstoffe Kohle, Gas und Öl bis zu bitteren Neige verbrannt werden, mit allen nachhaltigen Folgen für die Erdatmosphäre. Die Stunde der Erneuerbaren würde erst danach kommen. Aber wie man es auch dreht und wendet: An ihnen führt früher oder später kein Weg vorbei. Es wir wesentlich von der Überzeugungsarbeit von Umweltgruppen, aber auch von Einzelpersonen, des Gewerbes, der Wirtschaft, der Politik abhängen welches Szenario wirksam wird.

In letzter Zeit mehren sich die Anzeichen, dass zusätzliche Kriterien und Ereignisse ungewollt Bewegung in den Energiemarkt bringen könnten. Auf der einen Seite dürfte sich der Zugriff auf die Restreserven der Erde verändern, auf der andern Seite mehreren sich die Stimmen, dass mit den kalkulierten Reserven - sie werden bei billigem Öl mit 30 bis 40 Jahren und bei Erdgas mit 50 und 60 Jahren angenommen -- etwas nicht stimmt.

Nach dem 11. September 2001 herrschte in weiten Teilen der Welt inklusive China, Russland und den USA Einigkeit darüber, dass der internationale Terrorismus in Afghanistan - personifiziert durch Osama Bin Laden, Mullah Omar und die Taliban - zu bekämpfen sei. Inzwischen regen sich bereits äußerst kritische Stimmen, dass das befreite Afghanistan zum mindestens ebenso großen Zankapfel zwischen den kurzfristig in der Sache einigen Weltmächten USA, China und Russland werden könnte, wie es das Terrorland war.

Dieser Konflikt wird nämlich dann aufbrechen, wenn die Auseinandersetzung um den Zugriff auf die in Zentralasien vorhandenen beziehungsweise vermuteten Öl- und Gasreserven eskalieren. Keine der drei Mächte - alle wiederum sekundiert von Juniorpartnern - glaubt auf diesen Reichtum verzichten zu können. Prominente Weltblätter wie der "Economist" schreiben bereits von der "Gefahr des Dritten Weltkrieges".

Schwankende Preise

Ein Alarmsignal vor etwas mehr als einem Jahr wurde systematisch ignoriert. Der Erdölpreis stieg innerhalb von eineinhalb Jahren von unter zehn auf weit über 30 Dollar pro Barrel. Die Kommentatoren hielten diesen rapiden Anstieg wohl für eine grimmige Laune der Weltwirtschaft ohne konkreten Hintergrund. Inzwischen ist der Ölpreis (der Gaspreis ist daran gekoppelt) wieder auf etwas über 20 Dollar gesunken. Die Spannung hat nachgelassen, die Luft ist heraußen. Nichts passiert?

Keineswegs: Erstens ist es ein Unterschied, ob der Ölpreis die 20 Dollarmarke bei Hochkonjunktur oder bei Niedrigkonjunktur erreicht. Für letztere ist es ein relativ hoher Preis. Zweitens war für eine Gruppe von Erdölexperten bereits der erste rasche Preisanstieg bei Rohöl ein Anzeichen für die dramatische Verknappung der tatsächlichen Vorräte, über die die Welt unter Aufwand gigantischer Werbesummen regelmäßig unkorrekt informiert wurde.

Berechnungen, wie lange Öl und Gas tatsächlich reichen werden, hat man total vernachlässigt und tut es heute noch. Es gibt praktisch nur vier Gruppen, die sich kritisch mit dieser Frage beschäftigen: Jörg Schindler und Werner Zittel vom Ludwig-Bölkow-Institut in München, Colin Campell und Jean Laherrere, zwei vormals höchst erfolgreiche Erdölexplorateure, das Basler Prognos-Institut und die IHS-Energy Group in Genf.

Diese Gruppen kommen einhellig zum Ergebnis, dass derzeit von den Ölmultis und ölproduzierenden Ländern nicht ordentlich gezählt werde. Billiges Öl könne sich daher bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren dramatisch verknappen. Die Zahlen, die diese Gruppe präsentieren, sollten die Alarmglocken läuten lassen. Demnach sei das Maximum der Erdölfunde bereits in den sechziger Jahren erreicht worden. Die Neufunde seien seither dramatisch zurückgegangen und könnten nur 20 bis 25 Prozent des jährlich verbrauchten Öls ersetzen.

Über die Auffindung einzelner größerer Ölfelder wie zum Beispiel in Angola, werden Jubelmeldungen verfasst, tatsächlich könnten die Fundstätten den Weltbedarf jedoch für nur etwa zehn Tage decken. Solche Jubelmeldungen ergeben also ein völlig verzerrtes Bild. Die USA haben ihr eigenes Fördermaximum längst überschritten und spekulieren massiv mit "fremden" Ölquellen. Norwegen steht ebenfalls vor dem Überschreiten des Förderhöhepunktes.

Die weltweite Ölproduktion für billiges Öl (teuer explorierbares ist zwar vorhanden, kann aber nur um ein Mehrfaches des derzeitigen Preises gefördert werden) beschränkt sich heute zu 90 Prozent auf Ölfelder, die älter als 20 Jahren sind und zu 70 Prozent auf solche, die älter als 30 Jahre sind.

Das Risiko, dass es zu einer deutlichen Verengung des Angebots an Öl und Gas kommt, ist hoch. Ob dies dann durch Streitigkeiten über den Zugriff auf Ölfelder, durch Preisschwankungen oder durch die tatsächliche Verknappung der Ressourcen ausgelöst werden wird,ist dann zweitrangig. Eines steht fest: Die Knappheit von Erdöl und Erdgas ist eine Gefahr, von der sicher ist, dass sie auf die Menschheit ohnehin zukommt. Nur der genau Zeitpunkt bleibt vorläufig noch den Propheten überlassen. Ein Grund das Energieversorgungsproblem absolut vorrangig zu sehen.

Der Autor ist Energieexperte und österreichischer Abgeordneter im Europaparlament.

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