Energiewende in Sicht?

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In Deutschland zeichnet sich ein Kurswechsel in der Energiepolitik ab. Eine Chance für Europa.

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In Deutschland zeichnet sich ein Kurswechsel in der Energiepolitik ab. Eine Chance für Europa.

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Die Sozialdemokraten und die Grünen dürften sich auf einen Ausstieg aus der Atomenergie geeinigt haben. Umstritten ist noch, wie rasch er erfolgen soll. Gerhard Schröder plädiert für eine Frist von 20 bis 30 Jahren, die Grünen peilen fünf bis acht Jahre an. Weiters wird eine Verteuerung des Benzins um rund drei Schilling und die Einführung einer Energiesteuer ins Auge gefaßt. Im Gegenzug will man die Lohnnebenkosten um einen Prozentpunkt senken.

Steigt Deutschland aus der Atomenergie aus, so ist das ein Markstein in der europäischen Energiepolitik. Das Gleichgewicht zwischen Atombefürwortern und -gegnern in der EU wäre damit verändert. Schon jetzt ist die Ablehnungsfront beachtlich, jedenfalls im Europaparlament. Dort ergab im November 1996 eine Abstimmung über eine Änderung des Euratom-Vertrags beinahe ein Gleichgewicht zwischen Atomgegnern und -befürwortern. Stößt nun Deutschland zu den mehr oder weniger ausgeprägten Atomskeptikern, so könnte sich die Frage nach der Zukunft von Euratom auch im EU-Rat neu stellen. Für Österreich als deklarierten Atomgegner ein Impuls, in diesen Fragen aktiver zu werden.

Es geht darum, aus den jahrzehntelangen Debatten über die Energiepolitik Konsequenzen zu ziehen, Umweltfreundlichkeit zu forcieren und nicht nur als werbewirksames Etikett zu tragen.

Das ist nämlich die heutige Masche. Jeder Energieträger wirbt mit seiner umweltfreundlichen Facette: Die Atomenergie kehrt hervor, sie produziere im Gegensatz zur Elektrizität aus konventionellen kalorischen Kraftwerken kein Kohlendioxid (CO2). Das stimmt - wenn man nur die Stromerzeugung selbst betrachtet -, verschweigt aber die ungelösten Probleme der Entsorgung des hochgiftigen Atommülls. Weit und breit ist keine Endlagerung für ausgediente Brennstäbe in Sicht.

Auch Erdgas präsentiert sich als Umwelthit: "Erdgas ist der optimale Energielieferant. Umweltschonend, sicher und bis weit in das nächste Jahrtausend verläßlich zur Verfügung", liest man in einer Broschüre. Tatsächlich gelang es in den letzten zehn Jahren, den Schadstoff-Ausstoß bei der Gasverbrennung bis zu 80 Prozent zu verringern. Und weltweit werden mehr Gasreserven entdeckt, als Gas verbraucht wird.

Weil es auch bei Heizöl Extraleicht große Fortschritte in der Verbrennungstechnik gegeben hat, wird auch bei diesem Brennstoff mit seiner "Umweltfreundlichkeit" argumentiert. Das Argument lautet hier: "Schaffen Sie sich einen neuen Heizkessel an, und Sie tragen wesentlich zur CO2-Verringerung bei." Stimmt - aber ...

Umweltverträglichkeit darf in Zukunft nicht ein Zusatzargument für billige Energieträger sein, sondern muß zum preisbestimmenden Merkmal werden. Und dafür hat eine zukunftsorientierte Energiepolitik zu sorgen. Sie darf die Energieversorgung nicht nur dem Spiel der Marktkräfte überlassen. Denn die Energiepreise entscheiden über wichtige Strukturen, die das Leben von jedermann beeinflussen, über Verkehrs- und Heizungssysteme, über Siedlungs- und Handelsstrukturen ...

Weil die Preise von Erdöl und Erdgas derzeit so billig sind wie in den frühen siebziger Jahre, machen sie wirtschaftlich das Rennen. Das ergibt beispielsweise für Österreich, daß 70 Prozent seiner Energie aus dem Ausland importiert wird. Wie problematisch das sein kann, haben wir zweimal in den siebziger Jahren erlebt, als die Opec-Staaten den Ölhahn zudrehten. Versorgungssicherheit bei Energie bleibt auch heute ein Thema, kommen doch beachtliche Mengen von Erdöl und Erdgas aus politisch instabilen Regionen, etwa aus dem krisengeschüttelten Rußland.

Diese vom Markt nahegelegte Präferenz für fossile Energieträger hat aber vor allem ökologische Folgen. Denn jeder fossile Brennstoff trägt zur Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre und damit zur Klimaveränderung bei. Daß damit Schluß sein soll, darauf haben sich die Staaten in Kioto geeinigt. Für Österreich liegt das Plansoll der CO2-Reduktion bei acht Prozent. Um das zu erreichen, bedarf es gezielter politischer Maßnahmen.

Denn alternative Energie kann sich nur durchsetzen, wenn die Politik auf deren Einführung setzt, entsprechende Forschung und Entwicklung begünstigt und vor allem für eine Preisbildung sorgt, die nicht dem Zufall des Spiels der Märkte überlassen bleibt. Sie haben kein Sensorium für den Klimakollaps. Dieses Manko müssen die Politiker durch gezielte Eingriffe ausgleichen - vor allem durch eine überdurchschnittlich hohe Besteuerung fossiler Energieträger. Schweden und Dänemark beschreiten diesen Weg bereits erfolgreich. Dort sind die Steuern auf Heizöl Extraleicht dreimal so hoch wie hierzulande. Die sich daraus ergebende Verteuerung begünstigt Investitionen in Alternativ-Energie.

Unter solchen Voraussetzungen wird es auch wirtschaftlich interessant, im Land erzeugte Biomasse (vor allem Holz, aber auch Stroh, Gras getrocknet und in Pellets gepreßt, sowie Ölpflanzen für Biotreibstoffe) zu nutzen. Das erhöht die Nachfrage nach land- und forstwirtschaftlichen Produkten und bringt Wertschöpfung in den ländlichen Raum, dem derzeit immer mehr das Wasser abgegraben wird.

Zugegeben, was sich jetzt in Deutschland abzeichnet, ist weit davon entfernt, von heute auf morgen eine massive Umorientierung hervorzurufen. Aber es sollte all jenen neuen Auftrieb geben, die seit Jahrzehnten für eine grundlegende Änderung der Energiepolitik Argumente gesammelt, Modelle entworfen und Techniken entwickelt haben, deren Umsetzung bisher weitgehend an den Preisen von Erdöl und Erdgas gescheitert ist.

Vielleicht kommt jetzt Bewegung in die EU-Energiepolitik, die sich in einem Weißbuch der EU-Kommission für die Verdoppelung des Anteils der erneuerbaren Energie von derzeit sechs auf zwölf Prozent bis 2010 ausgesprochen hat.

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