Methan - © Foto: Pixabay

Energiewende: Die grüne Methan-Formel

19451960198020002020

Im Winter könnten wir frieren. Doch der Ukrainekrieg sollte uns nicht davon abhalten, langfristig zu denken. Warum gerade Erdgas für die Energiewende entscheidend ist. Eine Analyse.

19451960198020002020

Im Winter könnten wir frieren. Doch der Ukrainekrieg sollte uns nicht davon abhalten, langfristig zu denken. Warum gerade Erdgas für die Energiewende entscheidend ist. Eine Analyse.

Werbung
Werbung
Werbung

Seit Jahrzehnten sorgen fossile Kraftwerke in Europa für ein Energieangebot aus dem Netz, das ununterbrochenen den Energiehunger der Verbraucher befriedigt. Dazu musste die EU 2019 um 320 Milliarden Euro Energieprodukte einführen. Auch der Gasnetzbetreiber sorgt dafür, dass Gas bedarfsgerecht geliefert wird. Damit hat der Ukrainekrieg wenigstens eine gute Seite. Denn der Bevölkerung wird bewusst: Wenn fossile Primärenergie in Form von Öl oder Gas für die Industrie oder die Kraftwerke zur Stromerzeugung plötzlich nicht mehr vorhanden ist, entsteht allseits großer Schaden.

Traurig, dass der Stimulus „hohe Energiepreise“ und „wir werden im Winter frieren“ notwendig war, bis die Mehrheit der Bevölkerung die dramatischen Auswirkungen erkannt hat, die der Umstieg von einem verbraucherorientierten zu einem angebotsorientierten Energiesystem hervorruft. Wenn Putin das Gas abdreht, haben wir keinen „Plan B“, um den Energiehunger zu stillen, wenn Energie benötigt wird. Genau das darf durch die Energiewende nicht passieren. Bedauerlicherweise ist das aber durch die politisch propagierten Maßnahmen vorgezeichnet.

Bestehende Infrastruktur nutzen

Wind- und Sonnenenergie haben 2019 nur ca. drei Prozent zur globalen Primärenergie beigesteuert. Sie müssen aber zum Gelingen der Energiewende nicht nur den gesamten Strombedarf, sondern auch den signifikant größten Teil – ca. 85 Prozent – der fossilen Primärenergie ersetzen. Wasserkraft, Atomenergie, Biomasse und Geothermie machen weltweit weniger als 15 Prozent der Primärenergie aus. Auch künftig können sie nur noch wenig ausgebaut werden. Wie soll das dann funktionieren?

Die Regierung erklärt, dass man auf andere Energieträger wie Kohle umstellen muss. Doch das ist Gift für eine erfolgreiche Energiewende – und nach Kriegsende bald obsolet.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Man könnte auf „Wunder“ hoffen, wie die seit 50 Jahren versprochene Kernfusion als nahezu unerschöpfliche Energiequelle der Menschheit. In den 1960er- und 70er-Jahren wurde diese Lösung als „in 20 Jahren verfügbar“ versprochen. Heute sind die Zeithorizonte der Versprechungen kürzer, da uns die Zeit für eine erfolgreiche Energiewende ausgeht. Trotzdem kann man nicht auf Wunder warten. Die Existenz der Menschheit ist durch den Klimawandel bedroht, und das Problem muss mit erprobten Technologien gelöst werden. Auch wenn manche dieser Technologien noch nicht gezeigt haben, dass sie auch in der für die Energiewende gewaltigen Dimension funktionieren – etwa Elektrolyseure zur Wasserstoffherstellung aus grünem Strom im Gigawatt Maßstab.

Wind- und Solarenergie stehen nicht zur Verfügung, wenn der Mensch sie braucht, sondern wenn die Natur sie uns schenkt. Und sie liefern „nur“ Strom, obwohl die Industrie andere, insbesondere speicherbare Energieträger in größerer Menge bräuchte. Elektrische Energie ist großtechnisch nicht speicherbar, sondern Strom kann nur Energie von der Quelle (z. B. einem Windpark) zu einem Verbraucher (z. B. dem europäischen Netz) übertragen – in der Hoffnung, dass die Verbraucher diese Energiemenge auch benötigen. Wenn das nicht der Fall ist, kann die Windenergie nicht genutzt werden und ist verloren. Eben das ist das Charakteristikum von „volatiler“ Energie.

Im Gegensatz dazu wird ein kalorisches Kraftwerk, dessen Strom im Netz nicht gebraucht wird, die Energielieferung ohne Bedarf einstellen und seine Primärenergie (Kohle, Öl, Gas) aufheben, bis das Netz die Energie braucht. Wind oder Sonnenenergie kann man leider nicht aufbewahren und freisetzen, wenn man sie braucht.

Diese Abhängigkeit erfahren wir zur Zeit schmerzhaft durch den Ausfall von Gaslieferungen aus Russland durch den Aggressor Putin, der Gas als Waffe gegen Europa einsetzt. Die Regierung erklärt deshalb, dass wir künftig auf andere Energieträger wie Kohle umstellen müssen, um nicht mehr erpressbar zu sein. Doch diese politische Handlungsweise ist Gift für eine erfolgreiche Energiewende – und nach Beendigung des Krieges in absehbarer Zeit obsolet. Denn für Erdgas gibt es mehr Lieferanten als Russland und seit Jahrzehnten funktionierende Transportwege mit Schiffen und Pipelines zwischen den Kontinenten. Zudem hat Europa riesige unterirdische Speicher in geologischen Formationen, Gaskraftwerke zur Stromerzeugung und zahlreiche Verbraucher in Industrie und Bevölkerung, die auf Erdgas angewiesen sind.

Die größte Stärke von Erdgas ist, dass dieser Energieträger aus Wasser mittels Wind- und Solarstrom sowie biogenem Kohlenstoff synthetisiert werden kann. Elektrolyseure brechen die atomare Bindung des Wassers durch Stromfluss auf und der gewonnene grüne Wasserstoff wird mit biogenem Kohlenstoff zu Methan synthetisiert. Durch die Erzeugung von synthetischem Methan aus volatiler Sonnen- und Windenergie gelingt eine Energiewende, die den Konsumenten so wie bisher Strom und Gas, aber auch andere flüssige Kraftstoffe wie Benzin, Diesel, etc. aus Wasserstoff bedarfsorientiert zur Verfügung stellen kann. Atomare Bindung von (grünem) Wasserstoff an (biogenen) Kohlenstoff oder Stickstoff verleiht dem Wasserstoff eine sehr hohe volumetrische Energiedichte. Das macht ihn gut transportierbar und speicherfähig – eine Methode, von der Natur gelernt.

Das synthetische Methan unterscheidet sich fast nicht vom Erdgas und damit ist keine neue Infrastruktur für Transport, Speicherung und Verbrauch in der Industrie und in den Haushalten erforderlich. Warum ist das wichtig? Weil der Umstieg auf einen anderen grünen und speicherbaren Energieträger in der Dimension der Energiewende riesige Mengen an Energie und Rohstoffen zur Errichtung der neuen Infrastruktur benötigt. Und damit riesige Mengen an fossilem CO₂ freisetzt, um erst nach Errichtung des neuen Energievektors, in mindestens einem Jahrzehnt, Treibhausgase einzusparen. Pro Jahr werden weltweit ca. 36 Gigatonnen (Gt) CO₂ emittiert. Das Budget zur Erreichung des 1,5 Grad-Klimazieles (ab 2020 gemessen) beträgt nur mehr 500 Gt. Damit ist jede vermeidbare CO₂-Emission – wie der Aufbau neuer Energievektoren – zu unterlassen.

Biomasse: Vorsicht wegen Artenvielfalt

Die Errichtung der riesigen Solarflächen und Windparks sowie der Elektrolyseure und Syntheseanlagen wird jedenfalls gewaltige Mengen an Treibhausgasen freisetzen. Das ist unvermeidbar. Die Treibhausgasmenge lässt sich aber fast halbieren, wenn die Anlagen in Weltregionen errichtet werden, in denen der „Ernteertrag“ von Wind- und Sonnenenergie um gut das Doppelte höher ist und die gewonnenen synthetischen Kraftstoffe mit bereits bestehenden Transportsystemen nach Europa importiert werden. Es wird schwer genug sein, durch Energiesparen und Nutzung grüner Energieträger wie Biomasse und Holzpellets die heute emittierten 36 Gt CO₂-Emissionen pro Jahr zu senken, um in Summe bis 2050 unter 500 Gt CO₂ zu bleiben – oder das 1,5 Grad-Klimaziel verwerfen zu müssen.

Holzpellets sollten nicht bis zu dem Maß genutzt werden, dass dem Wald durch Entfernen von zu viel Holz wichtige Rohstoffe für das Wachstum der verbleibenden Bäume entzogen werden. Keinesfalls sollte auf schnell wachsende Pflanzenarten gesetzt werden, um die Menge an Biomasse zu vergrößern, da die so wichtige Artenvielfalt verschwinden würde. Studien zeigen, dass global maximal 15 Prozent der Primärenergie über Biomasse bereitgestellt werden kann, bevor die Artenvielfalt unwiederbringlich geschädigt wird.

Der Autor ist em. o. Univ.-Prof. an der TU Graz, ehemaliger Präsident der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Öst. Akademie der Wissenschaften sowie Mitbegründer des Vereins „netER“.

Fakt

Neues Netzwerk "Neter": Dialog zur Defossilisierung

Die Energiewende in Europa auf streng wissenschaftlicher Basis vorantreiben: Das will Neter („new energy transition Europe Researchassociation“), ein neues Netzwerk an der Schnittstelle
von Forschung, Politik und Wirtschaft. Gegründet wurde der gemeinnützige Verein vom Biontech-Mitbegründer Christoph Huber, TU-Professor Georg Brasseur (s.o.) sowie dem Tiroler Industriellen Arthur Thöni. Mit an Bord sind prominente europäische Wissenschaftler wie der deutsche Klimaforscher Gerald Haug oder die Wiener Umwelthistorikerin Verena Winiwarter. Am 20. September wurde Neter bei einem Symposium in Telfs vorgestellt.

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 175.000 Artikel aus 40 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 175.000 Artikel aus 40 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung