Die nächste Ölkrise kommt bestimmt

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Europawahlen und Fußball-EM haben das Thema Erdölkrise zunächst aus den Schlagzeilen verdrängt. Ohne einschneidende Änderungen in der Energiepolitik wird es uns aber weiter begleiten.

Albtraum Ölkrise" titelte Die Welt Anfang Juni nach den blutigen Anschlägen in Saudi-Arabien, dem weltgrößten Erdöl-Lieferanten. Mit über 42 Dollar je Barrel erreichten die Ölpreise in New York einen Rekordwert, worauf die Opec, die Organisation der wichtigsten Erdöl-Exporteure beschloss, den Ölhahn stärker aufzudrehen. Langsam sinken daher die Preise wieder. Fragt sich nur, ob der Wirtschaft und der Politik damit langfristig gedient ist.

Folgendes bleibt nämlich festzuhalten: Das Erdöl-Zeitalter neigt sich dem Ende zu, vor allem wenn die Trends zu steigender Nachfrage nach dem schwarzen Gold nicht gebrochen werden. Die USA selbst holen auf dem Festland weniger als 50 Prozent der 1970 geforderten Menge aus dem Untergrund. Fallend ist die Tendenz auch in Alaska und der Nordsee. Und die Liste der Länder mit den größten Erdöl-Reserven liest sich wie das Who is Who der Krisengebiete der Welt: Saudi-Arabien, Irak, Iran, Venezuela, Nigeria...

Who is Who der Krisenräume

Die meisten der außerhalb der Krisenregionen gelegenen, wichtigen Lieferanten (Russland, Mexiko, Norwegen...) verfügen über Reserven, die bei gleichbleibender Förderung noch zehn bis 25 Jahre reichen. Danach kommt die Zeit der weitgehenden Abhängigkeit vom Vorderen Orient. Bei der Bewertung dieser Tatsache ist zu berücksichtigen, dass Ergiebigkeit der Quellen nach Nutzung etwa der Hälfte des Vorkommens deutlich zurückgeht.

Die Suche nach neuen Vorkommen konzentriert sich daher auf Lager, deren Erschließung immer aufwändiger wird. So werden Felder in immer größeren Meerestiefen angebohrt: Shell zapft Erdöl vor der Küste Nigerias auf 2.200 Metern Tiefe an, Total vor Gabun auf 2.800 Metern. Auch im Golf von Mexiko rechnet man damit, in großen Tiefen fündig zu werden. Bei steigenden Ölpreisen ließen sich auch die riesigen Mengen, die in den Ölsänden Kanadas vorrätig sind, wirtschaftlich rentabel nutzen. Kanada würde damit zum Besitzer der zweitgrößten Ölreserven der Welt, die allerdings nur unter enormen Umweltbelastungen (insbesondere massivem Einsatz von Erdgas und Wasser bei der Aufbereitung) abgebaut werden könnten. All das macht deutlich: Das Zeitalter des billigen Erdöls ist seinem Ende sehr nahe. Bezieht man die erwarteten Verbrauchszuwächse - bis zu 50 Prozent bis 2020 - in die Überlegungen ein, lässt sich die Aussagen sogar erweitern: Unabhängig von den negativen Folgen, die ein weiterer Anstieg der Verbrennung fossiler Energie für das Weltklima haben wird, kann Erdöl den vorhergesagten Verbrauch langfristig nicht decken.

Maximal 40 Jahre Zeit

Da es sich mit dem Erdgas nicht wesentlich anders verhält, kommt man nicht um die Einsicht herum: Die Energieversorgung muss tiefgreifend verändert werden. Der dafür zur Verfügung stehende Zeitraum wird auf 15 bis 40 Jahre geschätzt. Weil Energie ein so zentraler Faktor jedes Wirtschaftens ist und in einem technisch sehr anspruchsvollen, komplexen System bereitgestellt wird, sollte diese Änderung rasch eingeleitet und konsequent verfolgt werden. Die Richtung ist vorgegeben: Erneuerbare muss fossile Energie ersetzen.

Die Forderung ist nicht neu. Die jüngsten Entwicklungen haben ihre Dringlichkeit jedoch in Erinnerung gerufen. Ein hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass die Botschaft auch bei den politischen Entscheidungsträgern angekommen ist, war die Anfang Juni in Bonn abgehaltene internationale Konferenz "Renewables 2004" mit 3.000 Teilnehmern. Sie formulierte das Ziel, bis 2015 eine Milliarde Menschen, vor allem in der Dritten Welt, aus erneuerbaren Quellen zu versorgen. China forciert dabei den Bau von Kleinwasserkraftwerken, die Philippinen die Nutzung von Geothermie und Windkraft, Indien den Einsatz von Biogas-Anlagen. Die Weltbank und die Bundesrepublik Deutschland wollen die Entwicklung gezielt finanziell fördern. Bis 2015 sollten auf diese Weise 1,2 Milliarden Tonnen CO2 gespart werden, schätzte Deutschlands Umweltminister Jürgen Trittin.

Die einseitige Abhängigkeit der Welt vom Erdöl führe dazu, dass die Verwundbarkeit der Industrieländer gegenüber Terroranschlägen enorm sei, diagnostizierte der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder im Rahmen der Konferenz und stellte fest: "Erneuerbare Energien dezentral nutzbar zu machen, ist also auch ein Gebot der Sicherheit in unserer Einen Welt'." Von Englands Premier Tony Blair bekam man zu hören, dass er die Klimapolitik zum Schwerpunkt der G-8-Präsidentschaft im kommenden Jahr machen wolle. Es gelte Erneuerbare "dramatisch auszuweiten" und die Nutzung der Energie effizienter zu gestalten.

Mit ihrem Weißbuch "Erneuerbare Energien" hatte die EU schon 1997 die Weichen in diese Richtung gestellt: Verdoppelung ihres Anteils auf zwölf Prozent bis 2010 war das vorgegebene Ziel, 100 Millionen Quadratmeter Kollektoren sollten installiert werden und die Kapazität der Photovoltaik auf 3.000 MW angehoben werden. Es ist zu hoffen, dass die auf der Renewable-Konferenz geäußerten Statements die Verwirklichung dieser Ziele vorantreibt. Dabei wäre schon viel gewonnen, wenn die Union erneuerbare Energieträger ebenso gut förderte wie die Kernkraft.

Musterbeispiel Atomkraft

Gerade an der Geschichte der Atomenergie wird allerdings deutlich, welches Beharrungvermögen das derzeitige System der Energieversorgung besitzt. Die Reaktor-Katastrophen von Three Mile Island und Tschernobyl hatten in weiten Kreisen der westlichen Gesellschaft zur Überzeugung geführt, dass es an der Zeit sei, aus der Kernenergie auszusteigen. Tatsächlich wurden in den letzten 25 Jahren in den Industrieländern auch keine neuen AKW gebaut. Mehrere Ländern (Deutschland, Schweden, Italien, Spanien, Holland) beschlossen, aus der Atomenergie auszusteigen.

Allein, die Katastrophen liegen lange zurück und die Kernkraft betritt wieder die Bühne. Man erwägt, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern - und baut auch wieder neue: Vergangenen Freitag gab die EU-Kommission grünes Licht für den Bau eines neuen AKW in Finnland: 1.600 MW sollen 2009 ans Netz gehen.

Bemerkenswert, mit welchen Argumenten, die zuständige EU-Kommissarin Loyola de Palacio dieses Projekt bedachte: Es zeige, "dass die Kernenergie zur Bekämpfung des Klimawandels und damit wesentlich zur nachhaltigen Entwicklung beitragen kann." Es löse veraltete, mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke ab und helfe, Millionen von Tonnen CO2 zu vermeiden. Die Kernkraft also Umwelthit.

16.000 Milliarden Dollar

Unerwähnt blieb, dass die Frage der Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle ungelöst, die Gefahr der Entwendung radioaktiven Materials groß die Verwundbarkeit durch terroristische Angriffe nicht zu vernachlässigen ist.

Damit ist ein Grundproblem der Energiedebatte angesprochen: Das Beharrungsvermögen der mächtigen Interessenvertretungen, die das heutige System prägen. Zu ihnen gehören die Öl-Multis, die Autohersteller und die großen Elektrizitätskonzerne. Diesen Kategorien sind zehn der 15 weltweit größten Unternehmen zuzuordnen. Sie tragen ein eingespieltes System, das kurzfristig von seinem weiteren Wachstum profitiert - auch wenn es auf längere Sicht keine Zukunft hat.

Wie wenig in diesem Umfeld das Denken in Alternativen verbreitet ist, lässt der "World Energy Outlook 2003" erkennen, in dem der Investitionsbedarf im Energiesektor bis 2030 abgeschätzt wird. 16.000 Milliarden Dollar (!) sollen aufgewendet werden, um den erwarteten Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs um zwei Drittel zu decken. Diese Unsummen sollen in den Bau von Kraftwerken, Stromnetzen, Pipelines, Tankern, Raffinerien, usw. fließen. Von erneuerbarer Energie ist nur am Rande die Rede. Kein Wunder: Das Szenario entstand "in Zusammenarbeit von Opec, Weltbank, internationalen Energiekonzernen und Finanzinstituten..." (Erdöldienst 23/2003)

Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass es noch vieler "Renewable-Konferenzen" und weiterer, massiverer Ölkrisen bedarf, bis langfristig tragfähige Energiekonzepte - es gibt sie ja (siehe Interview S. 3) - ernsthaft umgesetzt werden.

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