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Wachstum, Energie und politische Vernunft

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Abgesehen von den Erscheinungen des internationalen Terrorismus stößt wohl kaum ein Bereich auf derartiges öffentliches Interesse, wie es sich derzeit an Fragen des Wachstums sowie unserer Energie- und Rohstoffsituation entzündet Die Argumente für ein weiteres Ansteigen des Energiebedarfs der Menschheit sind zahlreich. Aus dem rapiden Bevölkerungszuwachs ergibt sich ein steter Mehraufwand an Energie und Nahrung. Auch der als Nord-Süd-Gefälle bekannte Nachholbedarf der Entwicklungsgebiete muß sich auf dem Energiesektor niederschlagen.

Was die hochindustrialisierten Länder betrifft, so kann bei kontinuierlicher Produktivitätssteigerung eine anhaltende Massenarbeitslosigkeit nur durch fortwährendes Wirtschaftswachstum vermieden werden. Dieses aber führt ohne technologische Wende ebenfalls zu vermehrtem Verbrauch von Energieträgern. Darüber hinaus hat der weitere Ausbau des Lebensstandards in Ländern mit westlicher Lebensqualität gesteigerte Energieaufwendungen zur Folge. Und schließlich werden die neuen umweltfreundlichen Technologien sowie ihr Einsatz zur Gewinnung und Wiedergewinnung immer knapper werdender Rohstoffe ihrerseits gewaltige Energiemengen verschlingen.

Wohin aber führt uns das offensichtlich unvermeidliche Anwachsen des Weltenergieverbrauchs? Mit Sicherheit stehen wir in absehbarer Zeit vor einer Rohstoffkrise, nicht nur auf dem Sektor der Erdölprodukte. Die im Gefolge dieser Krise auftretenden internationalen Preisentwicklungen müssen einerseits zum rationelleren Einsatz der natürlichen Ressourcen führen und bringen andererseits neue und teurere Verfahren der Gewinnung von Energie sowie Energieträgern in den Rentabilitätsbereich. Aus beiden Aspekten heraus läßt sich für die Zukunft eine gewaltige Belastung, aber auch eine neue Chance für das weltwirtschaftliche System erwarten. Im Hintergrund dieser Prognosen werden jedoch immer mehr jene Grenzen offensichtlich, die sich - wie etwa an der Abwärmeproblematik erkennbar - naturgesetzlich einer weiteren Explosion des Energiebedarfs entge genstellen.

Wenn nun, vielleicht als Folge der wachsenden Rohstoffkosten, das Gleichgewicht unserer Weltwirtschaft zusammenbrechen sollte, erübrigen sich voraussichtlich für einige Zeit alle

Energiesorgen. Da dies jedoch niemand ernsthaft hoffen wird, verbleiben gerade den technologisch hoch- entwickelten Staaten als Strategie gegen den weiteren Zuwachs ihres Energiebedarfs nur konzentrierte Maßnahmen zur Energieeinsparung und zum rationellen Einsatz der Energieträger. Die Entwicklungsländer wieder werden angesichts eines Welt- energie-Sparprogramms notwendigerweise zwischen Verzweiflung und Hohngelächter schwanken. Ein Ausweg aus dieser widersprüchlichen Situation könnte nur in der Utopie eines weltweit abgestimmten Planes für die weitere Verbrauchs- und Kostenentwicklung auf dem Energiesektor gefunden werden. Ein derartiger Plan hätte - und dies erscheint als fast unlösbare Aufgabe - insbesondere die Wachstümskämpfe zwischen den Blöcken und den Ländern unter Kontrolle zu halten.

Vorschläge zur Deckung des Zusatzbedarfs an Energie gibt es genug: mittelfristig etwa den Ausbau konventioneller thermischer und Wasserkraftwerke wie auch den Einsatz von Spaltungsreaktoren sowie die Nutzung von Erdwärme und sogar Wind- energie. Etwas längerfristig und bis zur Erreichung der Rentabilität dieser neuen Technologien setzen viele Wissenschaftler auf Sonnenenergie und Kernfusion. Sogar der Rückgriff auf Kohle und ihre Folgeprodukte würde schließlich dann wirtschaftlich sinnvoll, wenn sich neue und gründlichere Verfahren der Ausbeutung als finanzierbar herausstellen. Die Grenzen der Finanzierbarkeit werden jedoch hinsichtlich aller genannten Alternativen besonders für jene Staaten schmerzlich, deren Aufwendungen für Energie, ob importiert oder eigenproduziert, beginnen, die eigene internationale Wettbewerbsfähigkeit zu schmälern.

In diese Schere könnte auch die österreichische Wirtschaft kommen, insbesondere wenn sie im Laufe der Zeit auf den Import von Energieträgern und Energietechnologien angewiesen sein sollte. Denn auch die österreichische Ausbaukapazität an zusätzlicher Wasserkraft wird in absehbarer Zeit ausgeschöpft sein, wiewohl sich gerade unser Land auf diesem Sektor in einer relativ günstigen Situation befindet. Der Ausweg in die Kernkraft scheint für Österreich zunächst mehrheitlich nicht wünschenswert, auch wenn die Sozialistische Partei nach internen Kämpfen einen letztlich kernenergiefreundlichen Regierungsbericht in der Schreibtischlade hegen hat.

Die Volkspartei hat demgegenüber mehrfach festgestellt, für sie seien die Fragen der Betriebssicherheit und Entsorgung von Kernkraftwerken keineswegs abschließend geklärt. Besondere Akzente erhält die politische Willensbildung über die Kernkraft in Österreich durch die fallweisen Konsensangebote der Regierungspartei an die Opposition. Im Hintergrund dieser Konsensbereitschaft einer ansonsten selbstgefälligen Regierungspartei mag wohl die Hoffnung stehen, eine gemeinsame Zustimmung zur Kemkraft würde- in welcher Konstellation auch immer - vor allem der großen Opposition politischen Schaden zufügen. Diese allerdings hat sich angesichts der noch offenen Sicherheitsfragen von allfälligen taktischen Überlegungen zum Thema Kernenergie ferngehalten und dabei wird es wohl auch bleiben.

Übereinstimmung herrscht darüber, daß Österreich, wie die meisten anderen Länder, durch Einsparungen und Ausbau konventioneller Kapazitäten einen Energieengpaß vorläufig noch vermeiden kann.

Die Diskussion über die Risken der Kemkraft hat an Schärfe und Breite mehr zugenommen als an Tiefe. Daß bisher in aller Welt keine großen Reaktorkatastrophen bekanntgeworden sind, stimmt mit den Risikoschätzungen der Experten überein, gestattet jedoch keinen hundertprozentigen Schluß auf die Zukunft Zu diesen rationalen Aspekten tritt das seit Hiroshima allerorten latente Grauen vor der Gewalt des Atoms, das Eingesichts des internationalen Wettrüstens noch verstärkt wurde. Die durchaus vergleichbaren Gefahren anderer Technologien verblassen in unserem Be-, wußtsein wohl angesichts des Szena-- rios einer atomaren Katastrophe.

Die Lösung des Energieproblems erscheint insgesamt angesichts der gebotenen Fülle von Alternativen als wissenschaftlich nicht besonders schwierig. Vielmehr hegen die Probleme langfristig bei der Finanzierbarkeit eines neuen Weltenergiesystems. Die Chancen stehen nicht schlecht, daß die Menschheit auf der Gratwanderung zwischen planlosem Improvisieren und einem großen Schock doch den Weg zu einer neuen Basis der Energieversorgung und damit der menschlichen Zivilisation findet. Die Wissenschaft hat die möglichen Konturen dieser neuen Basis aufgezeigt. Die politische Vernunft der Menschheit steht nun vor ihrer bisher größten Herausforderung.

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