Vernunft rechnet sich nicht

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Gestrandet sind nicht nur die Investitionen des österreichischen Verbundkonzerns im Kraftwerk Freudenau. Gestrandet scheint vorläufig auch die Hoffnung auf eine ökologische Energiepolitik in der EU.

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Gestrandet sind nicht nur die Investitionen des österreichischen Verbundkonzerns im Kraftwerk Freudenau. Gestrandet scheint vorläufig auch die Hoffnung auf eine ökologische Energiepolitik in der EU.

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Die Verbundgesellschaft schreibt "stranded Investments" als Verlust ab. Stranded, gestrandet: Ein bildhafter Ausdruck für Investitionen, die vor der Liberalisierung des Strommarktes in der Hoffnung auf Gewinne getätigt wurden und von denen heute feststeht, daß sie diese Erwartung nicht erfüllen können. Die Milliarden wurden in den Sand gesetzt, oder besser, in der Donau versenkt. Schmerzlich für das Management und traurig für die Aktionäre, vor allem den Großaktionär EVN, da höchstwahrscheinlich die Dividende für 1998 ausfällt und die Eigenkapitaldecke des Verbundkonzerns von 17 auf zwölf Prozent sinkt. Aber eigentlich ist das Ganze ein normaler und in manchen Wirtschaftszweigen sogar häufiger Vorgang.

Zum Beispiel in der Pharmaindustrie, wo bei weitem nicht jeder Milliarden verschlingende Entwicklungsprozeß zu einem marktfähigen Produkt führt. Die Pharmariesen haben denn auch längst damit leben gelernt, daß ein erfolgreiches Medikament etliche Fehlschläge wettmacht und stecken ihre gestrandeten Investitionen mehr oder weniger locker, aber fast immer stillschweigend, weg.

Warum sich also darüber aufregen, daß Österreichs Verbundkonzern in der Bilanz für das Jahr 1998 die Folgen diverser Fehlinvestitionen und Fehlentscheidungen als Verlust ausweist? Den größten Brocken bildet dabei das Wasserkraftwerk Freudenau. Von dem dafür aufgewendeten Geld sollen 5,4 Milliarden Schilling als Verlust abgeschrieben werden. Dieser Betrag kann heute über den Strompreis nicht mehr hereingebracht werden. Das Unternehmen bekommt durch die Wertberichtigung mehr Spielraum für Preissenkungen, falls der Konkurrenzkampf auf dem liberalisierten Strommarkt solche erfordert. Für die Strombezieher ist dies nicht gerade ein Nachteil.

Nun sind Wasserkraftwerke aber eine ökologisch besonders günstige Möglichkeit, Elektrizität zu erzeugen. Sie entnehmen der Natur keine endlichen Ressourcen, sondern nutzen eine niemals versiegende Energiequelle. Sie geben weder Kohlendioxid noch sonstige Schadstoffe in die Umwelt ab. Dies bedeutet einen gewaltigen Vorteil gegenüber dem Verbrennen von Erdöl, Erdgas und anderen fossilen Energieträgern. Wasserkraftwerke, vor allem an großen Flüssen wie der Donau, liefern aber auch wesentlich billigere Elektrizität als Windräder und andere alternative Energiequellen. Sobald sie abgeschrieben sind, also sobald die Investitionen amortisiert sind, kommt von ihnen die billigste elektrische Energie überhaupt, und zwar noch viele Jahrzehnte lang.

Letzterem Umstand verdankt der Verbundkonzern, daß er 1998 das beste operative Ergebnis (also Ergebnis aus dem laufenden Geschäft) seiner gesamten Geschichte erzielen konnte. 98 Prozent der gesamten Stromerzeugung kamen aus Wasserkraftwerken. Die älteren sind bereits amortisiert. Daher konnte billiger Strom produziert werden. Aber so seltsam es klingt: Wasserkraftwerke sind zwar auf lange Sicht nicht nur ökologisch ideal, sondern auch am billigsten, trotzdem können wir uns keine neuen leisten. Sie sind im liberalisierten Markt nicht mehr finanzierbar. Der Grund: Die Verbrennungsanlagen für unersetzliches Erdöl kosten in der Anschaffung viel weniger.

In der EU ist die Liberalisierung der Strommärkte gelaufen, nicht aufzuhalten, nicht umkehrbar. Die Folge ist ein unbarmherziger Konkurrenzkampf. Die Energieunternehmen haben keinen Spielraum für Mischpreise mehr, in denen sich die höheren Investitionskosten der Wasserkraftwerke unterbringen lassen.

Dabei hat Österreich noch Glück. Das Energieangebot der Gewässer wird bereits optimal genutzt. Daß sich ein weiterer Ausbau nicht mehr rechnet, dürfte die Rettung unersetzlicher Naturschönheiten bedeuten. Außerdem haben Energiesparmaßnahmen einen größeren ökologischen Effekt als weitere Investitionen in eine noch so günstige zusätzliche Energieproduktion. Ernst Ulrich von Weizsäcker vom Wuppertal Institut brachte es auf die griffige Formel: "Negawatt statt Megawatt!"

Das ändert aber leider nichts daran, daß man mit dem erhofften weiteren Wirtschaftswachstum in Europa auch neue Kraftwerke bauen wird, bauen wird müssen, und es ändert nichts daran, daß bei Neubauten die ökologisch günstigen Wasserkraftwerke mit den Ressourcen verbrennenden CO2-Schleudern einfach nicht mehr konkurrieren können. Der tiefere Grund dafür: Der Wirtschaftspolitik der EU ebenso wie jener der Welthandelsorganisation WTO liegt eine Ideologie zugrunde, welche die Marktkräfte als einziges wertbestimmendes Prinzip zuläßt. Dabei wird ein wichtiger Umstand nicht zur Kenntnis genommen: Die Marktkräfte sind teilweise wertblind. Kosten, die erst in der Zukunft entstehen werden, bleiben für sie transzendent.

Das Wasser eines Flusses geht bekanntlich nicht für spätere Zeiten verloren, wenn es in einem Wasserkraftwerk genutzt wird. Das in thermischen Kraftwerken verbrannte Öl und Erdgas ist vernichtet. Die Kalkulation des kalorischen Stroms kann dies aber nicht berücksichtigen. Sie enthält lediglich die bei der Gewinnung und Vermarktung der Energieträger anfallenden Kosten und Gewinne, aber keine Abgeltung für die Verringerung der Vorräte. Daher werden die höheren Investitionskosten der Wasserkraftwerke durch die Kosten des laufenden Ressourcenverbrauches in den kalorischen Kraftwerken nicht aufgewogen. Im einen Falle wird eine unerschöpfliche Ressource genutzt, im anderen ein begrenzter Vorrat verringert und somit Wert vernichtet. Dies liegt zwar auf der Hand, es ist aber für die Preisbildung irrelevant.

Die Grundlage zum Verständnis des für die Marktkräfte transzendent bleibenden Wertes schuf bereits im frühen 19. Jahrhundert David Ricardo. Er ersetzte die Vorstellung von endlichen Ressourcen durch ein dynamisches Modell: Durch die Ausdünnung der Rohstoffvorräte steigt der technische Aufwand bei der Gewinnung.

Die wirtschaftlich lohnendsten Rohstofflager werden bevorzugt abgebaut. Durch hohe Ausbeutung muß man früher auf weniger abbauwürdige Vorräte zugreifen. Daher werden durch die Fördermengen unwiderrufliche Entscheidungen über die qualitative Zusammensetzung des verbleibenden Gesamtvorrates getroffen. Sie beeinflussen die Gewinnungskosten jeder weiteren aus dem Gesamtvorrat entnommenen Einheit. Damit werden Kosten in die Zukunft transferiert, die aber den aktuellen Preis nicht berühren.

Dieser Kostentransfer in die Zukunft hat die Wirkung einer Subvention, mit der spätere Generationen die heutige Verschwendung stützen. Eine solche Subvention ist eigentlich ebenso systemwidrig wie staatliche Exportzuschüsse. Die Beseitigung dieser Wettbewerbsverzerrung durch eine entsprechende Abgabe auf den Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen würde die Konkurrenzsituation der Wasserkraftwerke schlagartig verbessern - zum Besten der Nachkommen und der Umwelt. Eine solche Abgabe müßte der Erschließung unerschöpflicher und erneuerbarer Energieträger zugute kommen.

Leider fehlt es dafür an einer entscheidenden Voraussetzung, nämlich der Bereitschaft, dieses Problem überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wie die Dinge heute liegen, sind Subventionen zwar den Brüsseler Autoritäten und der WTO ein Dorn im Auge - aber offenbar nicht, wenn die Kosten den nach uns Lebenden aufgebürdet werden. So setzen wir die Märkte und die Umwelt unter Druck und überlassen es unseren Nachkommen, Auswege aus dem Dilemma zu finden, das wir heute schaffen, und für die Kosten aufzukommen.

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