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Verpflichten zum Energiesparen

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50 Jahre nach dem 2. Verstaatlichungsgesetz 1947, das die Struktur der österreichischen Elektrizitätswirtschaft festlegt, erzwingt nun ein Beschluß des EU-Ministerrates eine grundsätzliche Reform.

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50 Jahre nach dem 2. Verstaatlichungsgesetz 1947, das die Struktur der österreichischen Elektrizitätswirtschaft festlegt, erzwingt nun ein Beschluß des EU-Ministerrates eine grundsätzliche Reform.

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Was felsenfest einzementiert war, soll aufgebrochen werden. Die Lobbies scharren in den Startlöchern. In erster Linie streiten die Energieversorgungsunternehmen (EVU) untereinander, um sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu sichern.

Den Verbrauchern wiederum geht es um die Erhaltung des Stromflusses zu möglichst niedrigen Preisen. Für Umweltbewegte bedeutet die Reform erstmals die Chance auf Durchsetzung ihrer Ziele: Die Liberalisierung könnte die Rahmenbedingungen für Energieeinsparung und vermehrten Einsatz erneuerbarer Energieträger schaffen. Atomstromimporte und die Übernahme heimischer EVU durch ausländische Atomkonzerne sollen nach Möglichkeit verhindert werden.

Das bestehende österreichische Stromversorgungssystem' hat gravierende Nachteile. Es wurden zu viele Kraftwerke gebaut, weil die Planungen der EVU unzureichend koordiniert wurden. Verbund-Vorstandsdirektor Johann Sereinig sprach vor zwei Jahren von Überkapazitäten von zehn bis zwanzig Prozent. Auch der Kraftwerkseinsatz wurde zuwenig optimiert. So betrieben zum Reispiel manche Landesgesellschaften aus betriebswirtschaftlichen Gründen Wärmekraftwerke auch im Sommer, obwohl die Verbundgesellschaft zur gleichen Zeit Überschüsse in Wasserkraftwerken gehabt hätte. Energieexperten wie beispielsweise Universitätsprofesser Stefan Schleicher schätzen, daß bei einer Optimierung von Kraftwerkseinsatz und -ausbau und durch Verringerung des Verwaltungsaufwands Kosten von bis zu 20 Milliarden Schilling eingespart werden könnten.

Die EU sieht nun vor, daß industrielle Großkunden ihre Stromlieferanten frei wählen können. Konkret: Bisher konnten Industriebetriebe Strom nur von jenem EVU kaufen, in dessen Versorgungsgebiet sie angesiedelt waren. In Zukunft können sie, wenn ihr Stromverbrauch über einem bestimmten Grenzwert liegt, ihre Lieferanten frei wählen.

Die logische Folge: Entweder müssen ihnen die EVU den Strom günstiger anbieten, oder die Industrie wird auf andere Lieferanten umsteigen.

Aus ökologischer Sicht birgt die Umsetzung der EU-Vorgaben ohne weitergehende Reformschritte Chancen und Risiken. Nachteile ergeben sich durch die erweiterten Möglichkeiten zum Atomstromimport und aus den zu erwartenden Preissenkungen für Strom, die den Verbrauch ankurbeln.

Ein Vorteil besteht darin, daß der Bau unsinniger Kraftwerke ein Ende hat: In Zeiten von Überkapazitäten sinken die Chancen der Betonierer. Bereits jetzt haben die Tiroler Landesgesellschaft Tiwag und die Verbund ihre Ausbauaktivitäten eingestellt und warten die Auswirkungen der Beform ab.

Die Liberalisierung bietet aber vor allem die einmalige Chance, ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvolle Reformen einzuleiten. Eine grundsätzliche Beform der rechtlichen Bahmenbedingungen für die E-Wirtschaft ist nun unumgänglich. Das neu zu schaffende Energieorganisationsgesetz sollte ökologischen und volkswirtschaftlichen Zielen gleichermaßen gerecht werden.

Dazu muß endlich „Least-Cost Planning” (Planung nach den geringsten Kosten)-zum zentralen Prinzip werden: Immer dann, wenn Stromeinsparung, etwa durch effizientere Haushaltsgeräte, kostengünstiger ist als Stromerzeugung, muß sie auch realisiert werden.

Energieeffizienz, erneuerbare Energieträger und Kraft-W7ärme-Kopplung sollen forciert werden, während die Stromerzeugung in Wärmekraftwerken ohne Wärmeauskopplung zurückgedrängt werden muß. So sollten die EVU zur Erstellung von integrierten Bessourcenplä-nen verpflichtet werden, in denen Einsparpotentiale und Ausbaupläne optimiert werden. Werden kosteneffiziente Stromsparpotentiale nicht genützt, so soll die Überwälzung der Kosten zu teurer Kraftwerke in den Strompreis der Kleinverbraucher -der nach wie vor reguliert werden muß - verhindert werden.

Eine funktional-organisatorische Entflechtung („Unbundling”) der E-Wirtschaft brächte nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile. Teilt man die bestehenden EVU in die Bereiche Produktion (Kraftwerke), Transport (Hochspannungsnetz) und Verteilung (Versorgungsnetze und Endversorgung) auf, lohnt es sich nicht mehr, Wärmekraftwerke im Sommer zu betreiben, wenn ausreichend Strom aus Wasserkraftwerken vorhanden ist.

Eine gemeinsame Betriebsgesellschaft für Hochspannungsnetze soll weiters Strom von unabhängigen Erzeugern aus erneuerbarer Energie und Kraft-Wärme-Kopplung zu fairen Bedingungen abnehmen. Eine Gefahr der Libera-lisierung besteht darin, daß die EVU versuchen, den Erlösrückgang bei den Großverbrauchern - deren Stromkosten durch den Wettbewerbsdruck sinken -durch Preissteigerungen bei den Kleinverbrauchern wettzumachen. Dies hat inzwischen sogar der EVN-Vorstandsdirektor Budolf Gruber in einem Interview bestätigt.

Dies könnte, wie das Ökologie-Institut berechnet hat, alleine die Haushalte bis zu einer Milliarde Schilling kosten. Um dies zu verhindern, soll eine unabhängige Energiekoordinierungsbehörde eingeführt werden, die eine effiziente Preisregelung für jene 70 Prozent des Marktes durchführt, die nach wie vor den Monopolen ausgeliefert bleiben. Ihr sollten neben Energieexperten auch Umwelt- und Konsumenten Vertreter angehören. Sie kontrolliert weiters den Wettbewerb, ermittelt Einsparpotentiale und den Bedarf nach neuen Kraftwerken.

Die Nutzung von Stromsparpotentialen würde wesentlich schneller vorangetrieben, wenn sogenannte „ÖkoKunden” das Becht erhalten, sich am wettbewerblich organisierten Strommarkt zu beteiligen, auch wenn sie unter dem Grenzwert für zugelassene Kunden liegen. Öko-Kunden können Unternehmen sein, die aus dem Verkauf der elektrischen Energie keine Erlöse erzielen, sondern sich durch das Angebot von Energiedienstleistungen finanzieren.

Ein konkretes Beispiel: Ein Energiesparunternehmen bietet einem Kleinbetrieb, der selbst nicht als zugelassener Kunde auftreten kann, ein umfassendes Stromsparkonzept an, dessen Verwirklichung sich innerhalb von ein paar Jahren amortisiert. Dabei kann es - quasi im Paket - gleichzeitig einen günstigen Strompreis anbieten, da es ja als zugelassener Kunde günstige Strombezugskonditionen bekommen kann. Das Energiesparunternehmen profitiert aber nicht vom Stromverkauf, sondern über den Verkauf von Know-how sowie durch die Organisation der Einsparmaßnah-men.

In gleicher Weise sollen Kleinabnehmer, die Strom aus erneuerbarer Energie und Kraft-Wärme-Kopplung beziehen, ihre. Lieferanten frei wählen dürfen. Konkret bedeutet das, daß jeder Konsument die Möglichkeit hat, einen direkten Strombezugsvertrag mit einem Anbieter abzuschließen, der Strom aus erneuerbarer Energie ins Netz einspeist.

Um zu verhindern, daß der öster reichische Markt mit billigen Atomstromimporten überschwemmt wird, soll eine ökologische Steuerdifferenzierung eingeführt werden. Dabei _ werden kalorische Kraftwerke und AKW höher besteuert als andere Er-zeugungsanla-gen. Die Einführung einer solchen Steuer ist EU-konform möglich. AVeiters sollte eine Energiespargesellschaft gegründet werden, die eine konsequente Nutzung von Stromsparpotentialen sicherstellt. Durch eine zweckgebundene Abgabe auf den Strompreis wird ein Fonds für Energiesparmaßnahmen und die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie gegründet.

Der Umgang mit den Energieressourcen ist eine zentrale Zukunftsfrage. Die EU-Beformen bedeuten dabei eine Chance, auf die nicht nochmals 50 Jahre gewartet werden sollte.

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