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Strom — mehr als genug

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Sieht man näher hin, erweisen sich die Sorgen der E-Wirtschaft um die Stromversorgung als unbegründet: InderBRDwieinÖster- reich liegt das Angebot um mehr als 50 Prozent über der Nachfrage.

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Sieht man näher hin, erweisen sich die Sorgen der E-Wirtschaft um die Stromversorgung als unbegründet: InderBRDwieinÖster- reich liegt das Angebot um mehr als 50 Prozent über der Nachfrage.

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Aus den Zubauplänen der Energieversorgungsunternehmen wird deutlich, daß die Stromproduzenten auch im kommenden Jahrzehnt auf eine bis an die Grenze des technisch Möglichen gehende Nutzung der Primärenergie verzichten zu können glauben und unvermindert auf verschwenderische Großtechnologie setzen.

Ihr betriebswirtschaftliches Interesse gilt einer möglichst preis-

günstigen Stromerzeugung in Großkraftwerken und einem möglichst großen Umsatz ihres Produkts. Ob dieser Umsatz durch auf lange Sicht unverantwortliche Verschwendung ent-

steht oder nicht, ist für die Konzerne betriebswirtschaftlich völlig irrelevant.

Und da Ökonomie eben meist Vorrang hat vor Ökologie und auch Vernunft, konzentriert sich die Aufmerksamkeit der Stromgiganten auf das betriebswirtschaftlich Gute: Großkraftwerke, die mit einem Energieverlust von rund 70 Prozent Strom erzeugen und dabei kräftig die Umwelt verpesten. Die Kosten für die Verschwendung und die Verpestung darf der Verbraucher tragen.

Dabei ergibt es sich, daß die Konzerne mit diesen steingewor-

denen Denkmälern der Verschwendung gleichzeitig solide Argumente gegen die Abwärmenutzung bauen. Um beispielsweise die in einem 1300-Megawatt- Kraftwerk anfallende gigantische Wärmemenge (sie würde theoretisch ausreichen, um 380.000 Wohnungen zu heizen) sinnvoll zu verwenden, müßte ein ganzer Ballungsraum mit einem Netz isolierter Rohre versehen werden.

Das wäre problematisch und würde Hunderte von Millionen Mark kosten. Aufgrund der Wärmeverluste gibt es überdies räumliche Grenzen für den Transport von sogenannter Niedertemperaturwärme in einem Verteilersystem.

Das heißt: Wenn das Großkraftwerk nicht in der Nähe einer größeren Stadt steht (was aus gutem Grund oft nicht der Fall ist), kann die großtechnische Abwär-

menutzung sich tatsächlich als wenig wirtschaftlich erweisen.

Es geht aber auch anders. Das haben die Stadtwerke Flensburg (schon seit 1969) und Heidenheim/ Benz gezeigt: Rund 85 Prozent der Flensburger Haushalte beziehen ihre Wärme aus einem Heizkraftwerk, das mit einem Wirkungsgrad von über 60 Prozent Strom und Wärme herstellt.

Die Ausbeute soll bis 1985 auf über 70 Prozent verbessert werden. Die Blockheizkraftwerke in Heidenheim, Ingolstadt und anderen Städten verwerten sogar neun Zehntel der Brennstoffener- gie zu Elektrizität und Wärme.

Diese Minikraftwerke werden mit Verbrennungsmotoren betrieben, die Diesel oder Gas verbrauchen. Die von ihnen erzeugte mechanische Energie wird in Strom umgewandelt, die Wärme aus Kühlwasser und Abgas zur Raumheizung genutzt.

Die dezentrale Strom- und Wärmeversorgung hat zahlreiche Vorteile gegenüber der Großanlagentechnik: Neben der besseren Energieausbeute wird die Versorgungssicherheit größer und dadurch der Bedarf an Reservekraftwerken kleiner. Außerdem wird die Umwelt weniger durch Schadstoffe belastet. Überlandleitungen werden unnötig.

Und: Die Investitionskosten pro Kilowatt installierter Leistung sind um die Hälfte geringer. Trotzdem sind die sparsamen Miniblöcke für die großen Elektrizitätsversorgungsunternehmen offenbar nichts weiter als Kleinvieh, das zuwenig Mist macht.

Die zentrale, großtechnologische Atomkraft liegt den Marktriesen da schon besser. Schenkt man den EVU-Schriften Glauben, sind Atomkraftwerke die Garantie für eine sichere Energieversorgung und damit für Arbeitsplätze, ideal als Grundlastkraftwerke, die rund um die Uhr preisgünstige Basisstrommengen produzieren …

Einer der Vorteile der Kernenergie ist nach Darstellung der Elektrizitätswirtschaft, daß sie eine mögliche „Stromlücke“ vermeiden helfen soll, also ein Ange-

botsdefizit bei starker Elektrizitätsnachfrage. Ein Blick auf die Statistiken zeigt allerdings, daß eine derartige Stromlücke wohl ein klein wenig voreilig beschworen worden ist:

Die Kapazität der öffentlichen Kraftwerke betrug Ende 1980 über 71.000 Megawatt Dazu kamen vertraglich gesicherte Bezüge aus Industrie und aus dem Ausland von rund 6000 Megawatt — zusammen also 77.000 Megawatt. Die Jahreshöchstlast — die maximale Leistungsanforderung der Verbraucher — betrug 51.000 Megawatt. Das heißt: Zur Zeit der größten Stromnachfrage war die installierte Leistung um 50 Prozent höher als die Maximalanforderung. Stellt man für Reparaturen und Störungen eine Reservekapazität von 15 Prozent in Rechnung (das entspricht 106 Kraftwerken mit Durchschnittsleistung aller öffentlichen Kraftwerke), bleibt immer noch eine Uberkapazität von 18.000 Megawatt. Das entspricht der Kapazität von 14 großen Kernkraftwerken oder etwa der doppelten Leistung der bundesdeutschen Kernkraftwerke im Jahre 1981.

Auszug aus: DIE GIGANTISCHE VERSCHWENDUNG. Von Frank Haenschke und Gerd Schuster. Kindler Verlag München 1982. 174 Seiten, Pbck., öS 150,50.

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