Auf Wunsch korrekter Ökostrom

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Wird die auf schwachen Beinen stehende österreichische Ökostromwirtschaft die EU-weite Liberalisierung der Strommärkte überleben?

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Wird die auf schwachen Beinen stehende österreichische Ökostromwirtschaft die EU-weite Liberalisierung der Strommärkte überleben?

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Strom hat kein Mascherl, hat es in letzter Zeit öfters geheißen. Dennoch kann seit einem Monat jede Österreicherin und jeder Österreicher auf Wunsch ökologisch korrekte Elektrizität beziehen. Das am 19. Februar in Kraft getretene Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz, kurz Elwog, erlaubt die Direktvermarktung von Ökostrom, um das nationale Ziel - drei Prozent bis 2005 am Gesamtaufkommen - zu erreichen. Der Boom für erneuerbare Energiequellen - Windkraft, Biomasse, Photovoltaik - wird allerdings weniger von umweltbewußten Verbraucherentscheidungen abhängen, als von drei politischen Willensakten: Einspeisetarife, Netzdurchleitungsgebühren und Ökosteuern.

Der für die Energiewirtschaft zuständige Minister Hannes Farnleitner hat den Ball zunächst einmal an die Landeshauptleute weitergespielt. Bis 19. August müssen sie die Einspeisetarife festsetzen. Derzeit liegt das durchschnittliche Entgelt für Ökostrom bei müden 63 Groschen für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde Strom. Hingegen verlangen die meisten Energieversorgungsunternehmen (EVU) von den Einspeisern für jede ausgespeiste Kilowattstunde das Zweieinhalbfache: 1,50 Schilling. Einzig Vorarlberg zahlt etwa für Biomassestrom genauso viel, wie es kassiert (Einspeisetarif = Ausspeisetarif).

Tödliche Strafmaut?

Das größte Hindernis auf dem Weg zu zukunftsweisenden Entscheidungen: die Landeshauptleute sind EVU-Eigentümer und Regulierungsbehörde in einer Person. Da kann es passieren, daß die Erzeugung von Ökostrom mit unliebsamer Konkurrenz verwechselt wird.

Strom wird auf unterschiedlichen Spannungsebenen transportiert. Das Problem: die "Zollgebühren" für die Niederspannungsebene (das "Gemeindestraßensystem" des Ökostroms) sind sündteuer, während die "Maut" für die Hochspannungsebene (das "Autobahnnetz" des fossilen und atomaren Massenstroms) besonders günstig ist. Aus den jüngsten Verordnungen des Wirtschaftsministeriums geht hervor, daß beispielsweise ein industrieller Großverbraucher in Oberösterreich pro Kilowattstunde nur 30 Groschen Netzdurchleitungsgebühr zu bezahlen hat. Dagegen muß ein durchschnittlicher niederösterreichischer Haushalt, der umweltbewußt Windstrom konsumieren will, das Dreifache, nämlich 90 Groschen berappen. Die Differenz, satte 60 Groschen, könnte sich als tödliche Strafmaut für sauberen Strom erweisen.

"Ökosteuern jetzt" Aus wahltaktischen Gründen hat die Regierung die überfällige Ökologisierung des Steuersystems in die Zukunft verschoben. Als Reaktion darauf haben sich spontan 57 Organisationen - von der Katholischen Aktion über Junge ÖVP, der Sozialistischen Jugend bis hin zu Umweltschutzverbänden, der Gewerkschaft für Privatangestellte und Universitätsprofessoren - zur Plattform "Ökosteuern jetzt" zusammengeschlossen. Eine beherzte Besteuerung von "fossilem" Strom (Kohle, Gas und Öl) und Strom aus Großwasserkraft hätte denselben Effekt wie höhere Einspeisetarife für Erneuerbare: Die Wettbewerbsfähigkeit der meisten "grünen" Stromsorten wäre rasch gegeben.

Die Elektrizitätswirtschaft ist mit 20 Prozent an den österreichischen CO2-Emissionen beteiligt. Das Kyoto-Protokoll verpflichtet zu einer 13prozentigen Reduktion bis 2010. Nur: die EVU wollen allein bis 2005 um 24 Prozent mehr CO2 auspusten als 1996. Das Klima scheint für sie kein Problem zu sein. Die jüngsten Daten des Umweltministeriums weisen für 1997 erneut gestiegene CO2-Emissionsmengen auf. Toronto, Rio, Kyoto und Buenos Aires sind nach wie vor Makulatur. Auch der nationale Stromverbrauch stieg im Vorjahr trotz aller Effizienzrhetorik um kräftige 2,2 Prozent.

Fusionen stehen bevor Die Kardinalsthemen am Strommarkt sind indes ganz andere. Die EU-Richtlinie zur Liberalisierung des Strommarktes - juristische Mutter des österreichischen Elwog - fällt die Monopole, und mit dem Einsetzen des freien Wettbewerbs verschmelzen die regionalen Elektrizitäts-Fürstentümer zu einem gemeinsamen Zwei-Billionen-Schilling-Kontinentalmarkt. Die wichtigsten Folgen der Deregulierung: Industrielle Großverbraucher können Strom kaufen, wo und bei wem sie wollen. Ihre Stromrechnungen sinken um bis zu 30 Prozent. Durch den freien Wettbewerb wird die Fusionswelle auf den Stromsektor überschwappen, Stromkonzerngiganten werden sich bilden, Zentralisierung steht bevor.

Einen ersten Vorgeschmack auf kommende Hochzeiten bot der Einkauf des französischen Nukleargiganten Electricite de France (EdF) bei der steirischen EStAG. Daß außgerechnet an einen Staatsmonopolisten privatisiert wurde, spricht für sich. Ebenso die 82 Prozent Atomstromanteil der EdF, mit denen die Glaubwürdigkeit der österreichischen Anti-Atom-Politik über Nacht baden ging. Marktbeobachter vermuten, daß das strategische Endziel der EdF die Wachstumsmärkte der MOEL (mittel- und osteuropäische Länder) sind, die sie rasch mit billigem (herabsubventioniertem) Atomstrom erobern will. Österreich würde dadurch zum Atomstromtransitland.

Aber auch die deutschen Stromgiganten bestürmen den österreichischen Markt. Mit drastischen Preissenkungen für industrielle Großverbraucher konnten die heimischen EVU ihr Eindringen vorerst abwehren. Doch die Strategie der nördlichen Nachbarn ist langfristig angelegt, sie haben auch die Kleinabnehmer im Visier. Den Ausverkauf verhindern sollte die "österreichische Lösung" - der Zusammenschluß von Verbund, EVN und Wienstrom zu einem "Energiekonzern von europäischem Format", wie die Wochenzeitschrift Format schwärmt -, nur ist bis heute nichts daraus geworden.

Noch ist der Sturm ein Lüfterl, weil sich die Öffnung des österreichischen Strommarktes vorerst auf 71 Großverbraucher (27 Prozent des Gesamtmarktes) beschränkt. Sobald aber auch der letzte Kleinabnehmer seinen Lieferanten frei wählen kann - wie jetzt schon in Deutschland, Schweden, Finnland und Großbritannien -, wird die heimische EVU-Landschaft noch einmal gründlich durcheinandergebeutelt werden.

Viele Kleinkraftwerke Umweltschützer fordern neben angemessenen Einspeise- und Durchleitungstarifen für Ökostrom eine grundlegende Neuorganisation der Energieversorgung: Nicht eine Handvoll Konzerne (aus staatlichen Monopolen werden private Oligopole), sondern eine Vielzahl dezentraler Kleinkraftwerke sollten den - nach Ausschöpfen aller Effizienzpotentiale stark geschrumpften - Bedarf decken. Die Vorteile einer dezentralen Energieproduktion sind zahlreich: Verringerung der Umweltbelastung, Abwendung des Klimawandels, Verringerung der Erdöl- und Erdgasabhängigkeit vom Ausland plus Implikationen (Golfkriege, Ölschocks, Tankerunfälle), Erhöhung der Wertschöpfung im Inland, Stärkung der lokalen Wirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen. Die EU-Kommission rechnet in ihrem Weißbuch "Erneuerbare Energie" bei einer Verdopplung des Anteils erneuerbarer Energien von sechs auf zwölf Prozent mit der Schaffung von 500.000 bis 900.000 Arbeitsplätzen. Wieviele wären es wohl bei einer Anhebung auf 20, 40 oder 60 Prozent?

Minister Farnleitner hat andere Sorgen: Der Benzinpreis ist zu hoch. Dem Nachrichtenmagazin "profil" vertraute er schon vor zwei Jahren seine Position gegenüber ökologisch korrektem Strom an: "Es geht nicht an, daß sich da ein paar grüne Stromproduzenten auf Kosten der anderen Strombezieher goldene Nasen verdienen." Seinen Worten ließ er Taten folgen. Allein mit der Festsetzung der Durchleitungstarife hat er einen Preisnachteil von gut einem Drittel für Ökostrom herausgeschlagen.

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