Deutschland, einig Dagegen-Land

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Wer den Kernenergie-Ausstieg will, muss auch bereit sein, sich von der bequemen Energieverschewendung zu verabschieden, findet die FTD.

Heute gab’s einen wunderbaren Sonnenuntergang am Berghanerl. Die ganze Alpenkette und das Voralpenland waren bei leicht aufsteigendem Nebel in zartes rötliches Licht getaucht. Und das wollen die uns einfach wegnehmen? Kilometerweit zubauen mit meterhohen Glaspaneelen und drumrum [...] Stacheldrahtzaun?“

So startet die Website von Kollbach Solar, einer Bürgerinitiative gegen einen Solarpark in Bayern. Es ist eine von Hunderten solcher Bewegungen in Deutschland. Ob es gegen Wind-, Wasser-, Sonnen-, Gas- oder Kohlekraftwerke geht - für jeden Protestler ist etwas dabei. Dagegen sein ist alles, wenn es um Energieprojekte geht. Andererseits: Hunderttausende Deutsche gehen in diesen Tagen gegen die Kernkraft auf die Straße. Sie machen sich Sorgen, zeigen Solidarität mit den Japanern. Übers große Ganze sind sich fast alle einig. Mehr als 90 Prozent der Deutschen sprechen sich in den Umfragen für den Ausbau der erneuerbaren Energien aus. Aber sobald das vor der eigenen Haustür passieren soll, kocht der Volkszorn hoch. Mit dem Dafür hapert es, sobald es an den Geldbeutel geht. Nur acht Prozent der deutschen Haushalte haben vor Fukushima reinen Ökostrom bezogen. Dabei kostet der oft nur einen halben Cent je Kilowattstunde mehr, macht nicht einmal 20 Euro pro Jahr für eine durchschnittliche Vierpersonenfamilie.

Energiesparen braucht Willen

Spendabler sind wir beim Auto. Fast 15 Prozent der Neuzulassungen, so viel wie nie, waren Geländewagen, die oft besonders viel schlucken.Auch im trauten Heim vergessen wir schon mal das grüne Gewissen. Allein der Stand-by-Betrieb der Elektrogeräte vergeudet Studien zufolge die Kapazitäten von ein bis zwei Großkraftwerken. Und als die Energiesparlampe eingeführt wurde, haben Hunderttausende noch schnell die alten, in der Anschaffung billigen 100-Watt-Stromfresser zusammengehamstert. Wir sind Atomkraft. Ohne die Meiler kann nicht mehr alles beim Alten bleiben. Im Prinzip gibt es drei Alternativen, zwei davon sind eigentlich verantwortungslos.

Es gibt nur eine Alternative

Erstens: Wir importieren künftig Atomstrom aus Frankreich. Aber bedeutet es mehr Sicherheit, wenn Reaktoren westlich des Rheins länger laufen oder neu gebaut werden? Zweitens: Wir bauen statt der AKW im großen Stil Kohlekraftwerke. Den Klimawandel müssen unsere Kinder und Kindeskinder schultern.

Drittens: Wir stellen unser Gesellschaftsmodell radikal auf regenerative Energien und Gas um. Diese Lösung klingt am saubersten, sie ist aber auch am komplexesten. Schon für die derzeitigen 16 Prozent Grünstromanteil kommt eine Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz von 13 Mrd. Euro pro Jahr zusammen - das Gros davon für Solarenergie.

Wollen wir einmal auf 40 Prozent Erneuerbare kommen, um den Atomstrom klimaneutral zu kompensieren, wird sich das Antlitz der Republik verändern. Vor den Küsten und auch im Landesinneren werden gewaltige Windparks stehen. Hochspannungsstraßen werden den Strom aus dem Norden und aus anderen Staaten hin zu den Industriezentren in der Mitte und im Süden Deutschlands transportieren. An den Anblick großer Solarfelder und Speicherstauseen werden wir uns gewöhnen müssen. Hier und da wird es Eingriffe in wenig berührte Natur geben. Und ja: Die Wende wird richtig teuer. Die Politik kann nur die Rahmenbedingungen für diese Energiewende schaffen. Aber letztlich entscheiden wir über den neuen Kurs. Deutschland braucht jetzt Mutbürger.

* Aus Financial Times Deutschland, 21. März 2011

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