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Wachau und (oder) Atomsonne?

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Die Zerstörung von einer der markantesten Landschaften in Europa steht zur Diskussion — es geht um die Wachau. Ihre Zukunft geriet in den Strudel eines Zielkonfliktes. Hie wirtschaftliche Erfordernisse, über die man streiten kann —, dort ästhetische und emotionelle Werte, die bisher fast immer auf der Strecke blieben, wenn sie mit kommerziellen Belangen in Konflikt gerieten.

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Die Zerstörung von einer der markantesten Landschaften in Europa steht zur Diskussion — es geht um die Wachau. Ihre Zukunft geriet in den Strudel eines Zielkonfliktes. Hie wirtschaftliche Erfordernisse, über die man streiten kann —, dort ästhetische und emotionelle Werte, die bisher fast immer auf der Strecke blieben, wenn sie mit kommerziellen Belangen in Konflikt gerieten.

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Das Schicksal der Wachau hängt aber auch vom Ausgang eines Machtkonfliktes ab, der zeitweise die sachlichen Gesichtspunkte völlig zu überlagern drohte. Hie ein Häuflein von Weinhauern, Landschaftsschützern und Wachaufreunden, auf der anderen Seite die mächtigen Donaukraftwerke. Wobei die Wachauschützer den Landeshauptmann auf der Gegenseite vermuten — in der Wachau wird jedenfalls Maurer nachgesagt, er sei eher für als gegen die Errichtung des geplanten Dammes, der die Donau in der Wachau von einem Strom in einen Stausee verwandeln soll.

Letzter Stand nach einer an Ort und Stelle veranstalteten Enquete: Alles ist offen, die Fachleute haben das Wort. Sie sollen die gesamte Problematik noch einmal untersuchen. Anzunehmen, daß sich für jeden der beiden Standpunkte fachliche Untermauerungen finden werden, worauf das letzte Wort wiederum bei den politischen Instanzen liegen wird.

Für den Dammbau werden zwei Argumente angeführt, das Schwergewicht liegt, je nach Marktlage, einmal mehr auf der einen, dann wieder auf der anderen Seite. Argument eins: Die Schiff barkeit der Donau. Argument zwei: Österreichs Energiebedarf.

Die österreichischen Donaukraftwerke hatten ursprünglich stark mit dem Strombedarf operiert, neigen in letzter Zeit aber eher zu folgendem Standpunkt: Auf das Kraftwerk könnte verzichtet werden, aber der Damm muß gebaut werden, um die Donau durchgehend für den Europakahn schiffbar zu machen, und wenn der Damm schon gebaut werden muß, wäre es doch ein Unsinn, nicht auch gleich ein Kraftwerk zu errichten.

Tatsächlich hat Österreich ein internationales Abkommen unterschrieben, demzufolge die Donau — im Zuge der großen mitteleuropäischen Wasserstraßenverbindung — in ganz Österreich auch bei Niedrigwasser für Europakähne schiffbar gemacht werden soll. Dieser geplante, genormte Kahn für einen erhofften rationellen Gütertransport benötigt eine Fahrrinne von 2.70 Meter, möglichst auf einer Breite von 150 Meter, damit nirgends ein „Flaschenhals“ entsteht.

Bei näherem Zusehen erweist sich die immer wieder in die Waagschale geworfene „vertragliche Notwendigkeit“, auch in der Wachau eine 2,70 Meter tiefe und 150 Meter breite Fahrrinne zu schaffen, lediglich als Empfehlung. An der Tiefe ist freilich nicht zu rütteln — aber gerade die Breite ist es, die mit den konventionellen Mitteln der Flußbautechnik, sprich ohne Dammbau, nicht hergestellt werden könnte. Eine etwas schmälere Donau könnte durchaus auch bei Niedrigwasser für Europakähne schiffbar bleiben.

Wenn es nur um den Europakahn geht, könnte die Wachau bei etwas gutem Willen durchaus in ihrem heutigen Charakter erhalten bleiben. Das heißt: ohne Damm. Wofür nicht nur touristische und undifferenziertemotionelle, sondern auch massive wirtschaftliche Interessen eines ganzen, für Österreich sehr repräsentativen Wirtschaftszweiges sprechen. Der Dammbau könnte nämlich auf das Klima der Wachau für den Weinbau katastrophale Folgen haben.

Bleibt das energiewirtschaftliche Argument. Dazu wäre zu sagen, daß ein solches weiteres Donaukraftwerk — sehr vielleicht! — von großer Bedeutung für die Donaukraftwerke AG sein mag, daß aber kein gesamt-energiewirtschaftliches Argument ein solches Kraftwerk erzwingt. Dies nicht etwa deshalb, weil unsere Stromversorgung für die Zukunft gesichert erscheint, sondern ganz im Gegenteil, weil der künftige Strombedarf, der sehr wohl abgeschätzt werden kann, schon heute völlig anders geartete Lösungen als die große Ausschau nach weiteren verwertbaren Wasserkräften erzwingt, wenn wir nicht eines Tages einem gewaltigen Energieengpaß gegenüberstehen wollen.

Österreich deckt heute 70 Prozent seines Strombedarfes durch Wasserkraft und 30 Prozent durch kalorische Kraftwerke (Kohle, öl). Das Beispiel des hochentwickelten Energieverbrauchers USA vor Augen, wo heute bereits in manchen Regionen die Stromversorgung periodisch zusammenbricht und fallweise Sparaufrufe wie in der Nachkriegszeit Europas erlassen werden (wobei amerikanische Verbraucher freilich händeringend um Einschränkung bei weniger lebenswichtigen Dingen, wie zum Beispiel Stillegung von Klimaanlagen, gebeten werden), durfte Österreich vor einigen Jahren, als die Zuwachsraten des Stromverbrauches von 7 auf 5 Prozent pro Jahr zurückfielen, hoffen, noch etwas länger mit „konventionellen“ Mitteln „durchzukommen“. Mittlerweile wurden aber wieder Zuwachsraten von 7 Prozent erreicht, und die Fachleute nehmen an, daß sie sich in dieser Größenordnung endgültig einpendeln werden. Pessimisten fürchten eher ein noch größeres Steigen des Strombedarfes.

Durch Ausbau sämtlicher vom rein technischen Standpunkt ausbaufähigen Wasserkräfte dieses Landes (ohne Rücksicht auf übergeordnete Gesichtspunkte) könnte Österreich eine Kapazität von 8 Gigawatt hinzugewinnen, zu der sich, durch den Ausbau der kalorischen Kraftwerke, noch schätzungsweise 7 Gigawatt hinzugesellen könnten. Viel mehr als 15 Gigawatt sind in Österreich von konventionellen Energiespendern kaum mehr zu erwarten. Dem steht, bei Steigerungsraten von 7 Prozent, bis zum Jahr 2000 — und bis dahin sind es nur noch 28 Jahre! — ein Mehrbedarf an elektrischer Energie von 40 Gigawatt gegenüber.

Mit anderen Worten: Ein weiteres

Laufkraftwerk in der Wachau wäre in der Zukunftsbilanz des österreichischen Energiebedarfes ein „so kleiner Fisch“, daß darauf verzichtet werden kann. Österreichs Wirtschaft kann nur dann davor bewahrt werden, in einen Energieengpaß zu treiben, der schwerste gesamtwirtschaftliche Auswirkungen hätte, wenn man sich heute schon darauf einstellt, Atomkraftwerke entsprechender Größe zu errichten, sprich: wenn man schnellstens beginnt, in die Frühstadien eines solchen Planungswerkes einzutreten. Denn in den nächsten 28 Jahren werden mehrere Werke von der zehnfachen (!) Kapazität des geplanten Zwentendorter Reaktors benötigt, wie kürzlich auf einer Pressekonferenz des Atominstitutes der österreichischen Hochschulen vorgerechnet wurde.

Und dies um so gebieterischer, als wir heute noch Energie aus unseren osteuropäischen Nachbarländern beziehen können, während Deutschland bereits so weit ist, daß es Stromexporte vorwiegend dann anbietet, wenn wir diese kaum lagerfähige Energieform gerade selbst nicht benötigen, weil die Zeiten des Spitzenbedarfes in Österreich regelmäßig mit solchen in Deutschland zusammenfallen. Fazit: Angesichts der industriellen Entwicklung in den Oststaaten werden eines nahen Tages diese uns ebenfalls nur noch dann Strom anbieten, wenn wir selber welchen abzugeben hätten. Und dann, wenn wir welchen brauchen, selber um Hilfe rufen.

Die Frage lautet längst nicht mehr, ob man den Energiebedarf mit konventionellen Mitteln oder durch Reaktorbau decken solle. Die Alternative heißt heute: Großzügiger Atomreaktorbau — oder Einschränkung der Zuwachsraten des Strombedarfes und damit des Wirtschaftswachstums; Eines Tages wird sich die Welt zu letzterem durchringen müssen. Ob ein minder entwickeltes Land wie Österreich damit beginnen soll, ist die Frage.

Wenn wir dieses Opfer nicht bringen wollen, wenn sich Österreichs politische Parteien mit einem derartigen Stagnationsansinnen nicht einmal in die Nähe des Wählers wagen, müssen wir die Schattenseiten der Atomsonne leider in Kauf nehmen. Während eine allzu undifferenzierte Umweltmentalität die Angst vor der Strahlung schürt (in der Nähe eines Granitgebirges, etwa im Waldviertel, ist man einer viel stärkeren Radioaktivität ausgesetzt als in unmittelbarer Umgebung eines Reaktors), zerbrechen sich verantwortungsbewußte, informierte Umweltschützer den Kopf über die Frage: Wohin mit der Wärme?

Denn: Reaktorwärme treibt Turbinen, muß aber letzten Endes an die Umwelt abgeführt werden. In Österreich dürfen heute noch Flüsse dafür herangezogen werden — unterhalb eines Reaktors sind sie etwas wärmer als oberhalb, und noch spielen die klimatischen Aus-

Wirkungen keine Rolle. In Deutschland steigen in der Umgebung der Atomkraftwerke mächtige Dunstwolken aus 100 Meter hohen Kühltürmen — auch dies ist klimawirksame Wärme (Auffahrunfälle auf benachbarten Autobahnen, wo die Feuchtigkeit Glatteis erzeugt, sind bereits Gewohnheit), und selbst eine Ableitung der Wärme in den Boden, theoretisch vielleicht möglich, würde diesen und damit die Luft erwärmen und das Klima beeinflussen.

Niemand kann voraussagen, welche Folgen die Energieversorgung einer immer energiehungrigeren Menschheit haben wird. Solange wir den Fortschritt nicht stoppen wollen, müssen wir sie in Kauf nehmen. Die Gleichung Landschaftsschutz plus Reaktorphobie plus Wirtschaftswachstum ist jedenfalls zerbrochen. Entweder — oder.

Was dabei nicht auf der Strecke bleiben muß und bleiben darf, wenn diese Welt nicht den letzten Rest von Wohnlichkeit einer immer restloseren Bewohnbarkeit opfern will, wäre die Landschaft. Im speziellen Fall: die Wachau. Von ihrer Zerstörung hätte niemand etwas. Die Kurzsich-tigkeit einer solchen Entscheidung würde sich noch vor Baufertigstellung, ja vielleicht vor Baubeginn, jedermann offenbaren. Denn die Indienststellung eines so umstrittenen Wasserkraftwerkes zwischen den Baustellen künftiger Atomkraftwerke wäre jedenfalls ein österreichischer Witz.

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