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Atomenergie und Wasserkraftwerk

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An den Schluß der fesselnden Vorträge, die Universitätsprofessor Dr. Thirring im Mai über „die Entstehungsgeschichte der Atombombe“ hielt, setzte der Gelehrte eine Feststellung, die, gerade weil sie aus dem Munde eines berühmten Physikers stammt, weit über physikalisch interessierte Kreise hinaus von hochaktueller Bedeutung für die österreichische Öffentlichkeit ist: „Trotz Atomenergie soll ein Land, das in der Lage ist, Wasserkräfte zu verwerten, diese, soweit es nur geht, ausbauen. Es wäre absolut falsch, wenn man jetzt keine Wasserkräfte mehr ausbauen würde“, nämlich in der Meinung, sie mit weit größerer Wirksamkeit mit den Kräften der Atomenergie ersetzen zu können. Die Begründung für diese Feststellung liegt zunächst in den immensen Schwierigkeiten bei der Herstellung der Atombombe, dann in der Größe der erforderlichen Uranmengen und der anderen beteiligten Stoffe (Moderatorschicht usw.) und in dem ungeheuren fabrikatorischen und apparativen Aufwand, der nötig ist, um entweder über die Uranbatterie und das daraus gewonnene Transuran Plutonium oder die Isotopentrennung Uran 235 von Uran 238 zur Kettenreaktion zu gelangen. Hiezu kommt als weitere Schwierigkeit, daß wir es dabei immer mit Radioaktivität zu tun haben und deshalb keines Menschen Hand noch Auge wegen der tödlichen Wirkung unmittelbar im Spiel sein darf, sondern alles vollautomatisch angezeigt undbe-tätigt werden muß.

Wer den Argumenten Professor Thir-rings folgte, wurde zu dem Schlüsse geführt: Mit all dem erforderlichen Aufwand zur Uberwindung der geschilderten Schwierigkeiten haben wir erst den Wärmespender, den Brennstoff sozusagen, für unser Elektrizitätswerk. Er zitiert dazu I. A. Hutche-son, Direktor bei den Versuchslab'oratorien der Westinghouse Electric Corporation, der im diesjährigen Aprilheft der amerikanischen Zeitschrift „Electrical Engineering“ schreibt: „Nach Angaben von Doctor Compton“ — dem weltberühmten amerikanischen Physiker, der die wissenschaftliche Leitung des riesigen Atombombenwerkes mit Uranbatterien in Hanford (Staat Washington) innehat — „ist es offenbar, daß die

Energie (der Atomkernumwandlung) nutzbar ist in Form von Wasserwärme und deshalb scheint es logisch zu vermuten, daß die früheste Anwendung der Atomenergie dem gegenwärtigen Schema der Energieerzeugung aus Kohle ähnlich sein wird, wobei wahrscheinlich Dampf verwendet wird, um Turbinen zu treiben, und daß die im Zusammenhang mit der Kernspaltung freiwerdende Wärme verwendet wird, um den Dampf zu erzeuge n.“

Vielleicht würde das Elektrizitätswerk selbst, also ohne Heizungsanlage, in Anbetracht- der größeren Leistung geringere Kosten pro Kilowattstunde verursachen als eine Wasserkraftanlage pro Kilowattstunde, aber beim Wasserkraftwerk kostet der Betriebsstoff nichts, beim Atomkraftwerk hingegen ist ein ungeheurer Aufwand nötig, wobei freilich dann der erlangte Betriebsstoff ein überaus ausgiebiger ist. Außerdem stellen sowohl die Gewinnung dieses Brennstoffes als auch die maschinellen Einrichtungen für diese riesigen Leistungen überaus hohe Anforderungen an die verwendeten Materialien. Der diesen Nachteilen gegenüberstehende Vorteil: daß man ein Atomkraftwerk dorthin stellen kann, wo die Energie gerade gebfaucht wird, und somit die teure Fernleitung wegfällt, wird für normale Verhältnisse ziemlich dadurch entwertet, daß es zweifelhaft ist, ob diese großen Leistungen an Ort und Stelle verbraucht werden können oder ob nicht bei kleineren Atomkraftwerken der ihnen vorher zugebilligte Kostenvorteil der größeren Leistungseinheiten verloren geht.

Wirtschaftlich kannalso das Atomkraftwerk nicht mit dem Wasserkraftwerk konkurrieren. Es wird in Sonderfällen und als Nebenerscheinung der Plutoniumgewinnung auftreten. Dazu sei aus der Zeitschrift „Electrical Engineering“ eine mdere bedeutende Stimme angeführt: C. G. Suits, Direktor des Versuchslaboratoriums der General Electric Company, schreibt dort in einem Aufsatz über die Anwendung der Atomenergie in Friedenszeiten: „Vielleicht sind große Elektrizitätswerke — nämlich solche auf atomenergetischer Grundlage — in Gegenden, wie zum Beispiel Australien, brauchbar, wo es praktisch keinen herkömmlichen Brennstoff, aber reiche natürliche Hilfsquellen manch anderer Art gibt“, und weiterhin zusammenfassend über das Problem des Atomkraftwerkes: „Es sollten von allen Zweigen der Kraft;ndustrie Entwicklungsprogramme, gerichtet auf den Gebrauch der Kernenergie für Krafterzeugung, ausgearbeitet werden, vielleicht mit Regierungsunterstützung, aber nicht in der Annahme einer raschen Konkurrenz mit den herkömmlichen Brennstoffen.“ Außerordentlich interessant ist das Urteil Professor Comptons, zitiert in der angeführten Zeitschrift, in dem er über die Schwierigkeit des Schutzes gegen die Radioaktivität sagt: „Es besteht für Größe und Gewicht einer Atomkraftanlage eine untere Grenae, die durch den massiven Schild, der zw Verhütung von Neutronen- und anderem gefährlichen Strahlungsaustritt notwendig ist, bestimmt wird. Diese Strahlen sind neben den kosmischen Strahlen die durchdringendsten, die wir kennen, und für eine Anlage, die zum Beispiel nicht mehr als 100 Pferdekräfte liefern soll, sind sie u n-geheuer intensiver als die Strahlen einer großen Radiummenge oder einer Röntgenröhre. Ein Schild im Gewicht von wenigstens zwei oder drei Fuß dickem massivem Stahl ist nötig, um diese Strahlen aufzufangen. Gewisse Grundgesetze der Physik lassen es sehr unwahrscheinlich erscheinen, daß ein leichterer Schild erfunden werden könnte. Das bedeutet, daß kein Grund zur Hoffnungbesteht, daß Atomkrafteinheiten für normalen Gebrauch unter vielleicht 50 Tonnen Gewicht gebaut werden könne n.“

Im übrigen wird die ganze Frage der Atomenergie durch die Tatsache erledigt, daß die relativ geringenUraniumvorkommen von den Staaten für militärische und nebenbei auch medizinische Zwecke vorbehalten werden. Erst kürzlich berichtete die englische Zeitschrift „The Engineer“ von einem Vortrag der' „British Association of Chemists“ vom 17. Mai 1946, in dem der bekannte Physiker Professor P. M. Blackett die Befürchtung aussprach

„es sei ziemlich sicher, daß alle erreichbaren Uraniumvorräte in Gefahr seien, ausschließlich für militärische Zwecke verwendet zu werden und sehr wenig für friedliche Entwicklung übrigzulasse n.“

Man wird sich fragen, ob Kernreaktionen nicht bald auch von anderen Elementen als Uran ausgehend zur praktischen Energielieferung herangezogen werden können. Dazu entnehme ich der „Electrical Times“ vom 2. Mai 1946, daß Pt-ofessor M. L. Oliphant, also ein führender englischer Wissenschaftler bei der Atombombenentwicklung während des Krieges in Amerika, nur sehr vorsichtig in der Richtung auf Thorium und einen künftigen Aufbau schwererer Elemente aus leichten sich ausspricht. Die angedeuteten Schwierigkeiten scheinen mit allen Kernumwandlungsvorgängen und ihrer Benützung zur Energiegewinnung verknüpft. Der Preis des natürlichen Uraniums spielt dabei sogar nur eine winzige Rolle. Es ist nicht möglich, hier irgendwelche Zahlen anzugeben, da diese streng geheimgehalten werden und auch englische und amerikanische Autoren darüber noch im Dunkeln sind.

Daß uns die Entdeckung der Atomenergie nicht abbringen soll, unsere Kraftwerke auszubauen, das sprach auch Dipl.-Ing. Lausch, der öffentliche Verwalter der Alpenelektrowerke, in einem kürzlich gehaltenen Vortrag über „Die Gegenwartsaufgaben der österreichischen Elektrizitätswirtschaft“ aus. In der Tat werden im Ausland große Kraftwerksneubauten in Angriff genommen. In Rußland arbeitet man zum Beispiel mit großer Anstrengung an dem Wiederaufbau des Riesenwasserkraftwerkes Dnjeprostroj. In England wurde im Unterhaus von der „Zentral Electricity Board“ ein Zehnjahresplan mit einem Kostenaufwand von 300 Millionen Pfund Sterling eingebracht, bei dem es sich im wesentlichen um Kohlekraftwerke handeln dürfte. In Frankreich soll an der Rhone bei Bellegarde ein Kraftwerk mit einer Jahresarbeit von 1,6 Milliarden Kilowattstunden in Angriff genommen werden, das Ende 1947 schon die erste elektrische Leistung abzugeben bestimmt ist. Da kann es auch für uns in Österreich keine Bedenken geben, wenn es sich um die Fortsetzung des bisher eingeschlagenen Weges handelt. Österreichs Reichtum liegt in seinen ausbaufähigen Wasserkräften.

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