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Zehn Cheops-Py ramiden aus Dynamit warten ...

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Als vor einem Jahr eine Fliegerbombe aus dem letzten Krieg im Wiener Überschwemmungsgebiet gefunden und dann beseitigt wurde, sperrte die Polizei vorher ein riesiges Gebiet ab. Mit Recht. Die Bombe enthielt immerhin 250 Kilo an chemischem Sprengstoff (TNT- ungefähr Dynamit entsprechend). Aber eine einzige Riesen- Wasserstoffbombe, wie sie jetzt in den Arsenalen der Weltmächte lagern, kann an Explosivkraft 60 Milliarden Kilo Dynamit entsprechen -gleich dem Gewicht von zehn Cheops-Pyramiden.

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Als vor einem Jahr eine Fliegerbombe aus dem letzten Krieg im Wiener Überschwemmungsgebiet gefunden und dann beseitigt wurde, sperrte die Polizei vorher ein riesiges Gebiet ab. Mit Recht. Die Bombe enthielt immerhin 250 Kilo an chemischem Sprengstoff (TNT- ungefähr Dynamit entsprechend). Aber eine einzige Riesen- Wasserstoffbombe, wie sie jetzt in den Arsenalen der Weltmächte lagern, kann an Explosivkraft 60 Milliarden Kilo Dynamit entsprechen -gleich dem Gewicht von zehn Cheops-Pyramiden.

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Die Sprengkraft ist also ebenso groß, als hätte man 250 Millionen (!) Fliegerbomben aus dem Überschwemmungsgebiet zusammengebündelt! Dabei ist noch gar nicht mitgerechnet, daß die Atomwaffen, darunter auch die modernen Wasserstoffbomben, keineswegs nur mechanisch, also durch ihre Sprengkraft, wirken. Es kommt ja die entsetzliche Hitzewirkung dazu.

Im Moment der Explosion beträgt die Temperatur der Bombe viele Millionen Grad - tausendmal mehr als die Temperatur der sichtbaren Sonnenoberfläche. Die Hitzestrahlung versengt und verbrennt auf viele Kilometer Entfernung jedes Lebewesen, das sie trifft. Außerdem werden weithin alle brennbaren Stoffe, wie Holz oder Papier, in Brand gesetzt.

Ein gewaltiger Feuersturm entwik-kelt sich, ähnlich dem in Hamburg oder Dresden im letzten Krieg, nur eben ganz unvergleichlich stärker. Der Feuersturm nach Explosion einer einzigen Riesenwaffe könnte unter Umständen ein ganzes Bundesland Österreichs verzehren. >

Dazu kommt die neue Tatsache der nuklearen („ionisierenden") Strahlung. Sie wird von radioaktiven Stoffen ausgesendet: Beta-, Gammä-Strahlen und Neutronen. Die Strahlung aus den Produkten der Explosion der Bombe entspricht zunächst der von Millionen Tonnen Radium.

Die Strahlen haben schon 1945 in Hi-roschima, wo doch erst ein vergleichsweise winziges Erstprodukt eingesetzt wurde, auf einen Kilometer jeden zu einem langsamen Tod verurteilt, der der Strahlung in den Weg kam. Überdies wurde eine enorme Zahl von Menschen zu lebenslangen Krüppeln gemacht: „Habakusha", wie die Japaner sagen. Nicht eine Minute ihres weiteren Lebens können diese Opfer aufatmen.

Schließlich auch würden am Erdboden explodierende Waffen, anders als die zwei in der Luft gezündeten Bomben in Japan, zu weitreichender und dauernder radioaktiver Verseuchung des ganzen Landes führen. Unregelmäßig würden hier und dort riesige Gelände unbetretbar, die Lebensmittel (in Lagern oder auf Feldern) ungenießbar werden. Freilich - wer wird Verhungernde daran zu hindern vermögen, sich an den tödlichen Früchten zu vergreifen?

In Hiroschima und Nagasaki ist eine Viertel Million Menschen elend zugrundegegangen. Niemand wird je eine genaue Zahl wissen, da im chaotischen Japan von 1945 Millionen Menschen unerfaßt in Bewegung waren. Immerhin: Dort konnte den zerstörten Städten von auswärts Hilfe geleistet werden.

Was aber wird geschehen, wenn ein ganzes Land in Trümmern liegt, wenn es keine Transporte, keinen Brennstoff und keine Lebensmittel, keine Spitäler und keine Ärzte mehr geben wird? Manche haben die Ruinen von Hiroschima gesehen. Aber niemand kann sich auch nur vorstellen, wie ein von Atomwaffen zerstörtes Land aussieht, in dem das Netzwerk unserer komplizierten Zivilisation zusammengebrochen ist. Wer der Waffe entgangen ist, wird Hunger, Kälte und Krankheiten erliegen.

Dies ist die Drohung, die über unserer Welt hängt. Kann man sagen, daß die Politiker und die Massenmedien ihrer Verantwortung entsprechen, indem sie aufklären, warnen, diskutieren,

nach Lösungen suchen? Will jemand diese Frage mit einem Ja beantworten?

Ich fürchte, die meisten unserer Verantwortungsträger, wenn man dieses zweifelhafte Wort schöpfen darf, interessieren sich für alles eher als für die wirklich entscheidende Frage der Menschheit. Jedes Verbrechen, besonders natürlich, wenn es eine sexuelle Komponente hat, findet hundertmal mehr Publizität als irgendeine Bemühung um Vermeidung des allesvernich-tenden Nuklearkrieges.

Bemühungen um Ausgleich, um Versöhnung, um Entspannung werden mit eisiger Ironie behandelt, höhnisch als Schwindel oder verweichlichter Illusionismus abgetan oder überhaupt totge-. schwiegen.

Leichtfertig wird über „begrenzten Einsatz" von Kernwaffen geredet. So schrecklich auch schon die Wirkung selbst der kleinsten Atomwaffe wäre -kein nüchterner Beobachter kann glauben, daß der Atomkrieg sich begrenzen läßt, wenn einmal der Einsatz begonnen hat und dadurch die Hürde („fire-break", sagt man auf Englisch) überschritten worden ist.

Natürlich wird der getroffene Gegner mit stärkeren Waffen antworten, und in kurzer Zeit wird der Ubergang vom begrenzten, taktischen zum unbegrenzten, strategischen Atomkrieg vollzogen sein. Die Aufschaukelung wäre unvermeidlich. Ein gentlemanhaftes Turnierdenken wird es nicht geben.

Dies ist'nicht nur die Meinung von KPDSU-Sekretär Leonid Breschnew, sondern auch die des englischen Physikers Frank Barnaby, Direktor des verdienstvollen Friedensforschungsinstituts SIPRI in Stockholm, und auch die Meinung von Christoph Bertram, des Leiters des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London, des wissenschaftlichen Arms der NATO. Die hat Bertram in einem Interview in der „Presse" vom 8. November bestätigt.

Der Atomkrieg muß unter allen Umständen verhindert werden. Sonst wird geschehen, was der hervorragende amerikanische Biochemiker William McElroy vorhersagt: Nicht einmal die Ratten werden die Ruinen der Behausungen der törichten Menschen übernehmen können, denn auch sie werden im Atomkrieg untergegangen sein!

Die Küchenschaben werden in den Ruinen leben, da sie wie alle anderen Insekten weniger strahlenempfindlich sind als Wirbeltiere, und da ihre alten Feinde, die Vögel, ja auch zugrundegegangen sein werden.

Zu jenen Menschen, die sich seit Jahrzehnten redlich bemühen, gehören auch die Teilnehmer der internationalen Pugwash-Bewegung. Sie wurde 1955 auf Grund eines Appells von Albert Einstein (unmittelbar vor seinem Tode) und von Bertrand Rüssel gegründet.

Bei den Tagungen werden die wissenschaftlichen Aspekte der brennenden Weltfragen, besonders der Kriegsdrohung, aber auch anderer Fragen, z.B. der Dritten Welt, behandelt. Wenn wir auch leider nicht die großen Weltprobleme lösen können, so haben wir doch manches Steinchen beigetragen..

Die Kundgebungen Pugwashs haben objektiv informiert und so manchem Menschen guten Willens die Augen geöffnet. Auch hat Pugwash, fern von der Öffentlichkeit, den Grund vorbereitet, auf dem dann die Weltmächte zu Vereinbarungen gekommen sind, etwa zum teilweisen Atomwaffen-Teststop.

Ein vollständiges Testverbot gehört übrigens heute zu den aktuellen Fragen - nicht etwa deshalb, weil die unterirdischen Probesprengungen die Menschen direkt durch Radioaktivität gefährden würden, sondern weil diese Tests dazu dienen, immer neues Teufelszeug zu entwickeln und auszuprobieren.

Der Kampf um den Weltfrieden kann aber nicht die Sache eines Häufleins noch so gut qualifizierter Fachleute sein. Daher erscheint es uns als die Pflicht der sonstigen Verantwortungsträger, nicht die Spannungen, die schlimm genug sind, weiter aufzuheizen, nicht sogleich jeden Vorschlag der anderen Seite hämis'ch und zynisch zu kommentieren, vielmehr jede Möglichkeit aufzugreifen, Verständnis und Zusammenarbeit zu fördern.

In den Arsenalen der Weltmächte und auch kleinerer Staaten liegen nun schon 60.000 Atomwaffen. Ihre kombinierte Sprengkraft (sehen wir von Hitze- und Strahlenwirkung ab!) kommt eineinhalb Millionen Hiro-schima-Bomben gleich.

Man könnte demnach jede Sekunde (!) irgendwo auf der Welt eine Hiro-schima-Waffe zur Explosion bringen, Tag und Nacht ununterbrochen jede Sekunde - und es würde dendoch mehrere Wochen dauern, bis die Arsenale erschöpft wären. Die berühmte „Politik der Stärke", die manche Länder glauben, sich leisten zu können, muß zum Weltuntergang führen.

Der Autor ist emeritierter Professor für Angewandte Physikalische Chemie und Biophysikalische Chemie der Universität Wien und Vorsitzender der um Förderung des Weltfriedens bemühten österreichischen Pugwash-Gruppe.

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