6873929-1978_37_01.jpg
Digital In Arbeit

Jesus im E-Werk?

Werbung
Werbung
Werbung

Was hat ein Atomkraftwerk mit Jesus Christus, Dreifaltigkeit und Jüngstem Gericht zu tun?, fragen viele Anhänger von Kernkraft, wenn sie die Aktivitäten christlicher Organisationen im Zusammenhang mit der Volksabstimmung über Zwentendorf am 5. November verfolgen.

Die engagierten Christen sagen: so viel, wie Jesus Christus, Dreifaltigkeit und Jüngstes Gericht mit dem Menschen zu tun haben. Mit der Frage: Kain, wo ist dein Bruder Abel? Hast du zugelassen, daß er getötet, vergiftet, zumindest gefährdet worden ist, wo Tod, Vergiftung, auch Gefährdung nicht notwendig gewesen wären?

Darüber diskutierten vergangenen Samstag in Wien Funktionsträger der Katholischen Aktion aus ganz Österreich. Die Elektrizitätswirtschaft hatte ein Protesttelegramm an KA-Bischof Stefan Läslö geschickt, weil die Podiumsrunde einseitig zusammengesetzt sei. Die Teilnehmer waren ein bißchen befremdet: Die E-Wirtschaft wende immerhin an die 20 Millionen Schilling für die Zwentendorf-Wer-bung auf. Einige ihrer Broschüren lagen bei der Tagung auch auf. Da werde man wohl noch ein wenig über das Ganze diskutieren1 dürfen ...

Man tat's.- Kritisch? Ja. Sachlich? Nicht immer. Ergebnislös? Bestimmt nicht.

Sehr deutlich wurde durch ein Referat von Univ.-Prof. Heinrich Schneider herausgearbeitet, daß auch ein noch jahrelanges Weiterdiskutieren der Experten keine rational klare Lösung quasi automatisch produzieren könnte: „eine grundsätzlich unzulässige Kalkulation.“ Er hält die Volksabstimmung für die bloße Verbrämung einer prinzipiell von allen Parteien schon zugunsten der Kernenergie getroffenen Entscheidung. Man streite noch darüber, ob genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden seien oder nicht - aber nicht um ein Ja oder Nein zur Kernenergie.

Die Volksabstimmung diene letztlich nur als Test, „ob das Thema für den Nationalratswahlkampf 1979 verwendbar ist oder nicht.“ Die Schlußfolgerung des temperamentvollen Politikwissenschaftlers: Wenn die Technokraten nicht zurandekommen, müssen Christen um so mehr die „ethische Urteilsdimension“ heranziehen.

Also geht es um die konkrete Bedrohung von Menschenleben. Darüber referierte leidenschaftslos, aber klar, Universitätsassistent Ernst Streerwu-witz vom Institut für theoretische Physik (Wien), der sich als prinzipieller Befürworter der Kernenergie vorstellte, aber seine Bedenken nicht verbarg: Ein Riß in der Rohrleitung ist nach Expertenurteil „äußerst unwahrscheinlich“ - aber wenn das gesamte Kühlsystem einschließlich der Notaggregate zusammenbricht, ist die Katastrophe groß. Gegenüber Terroristen oder kriegführenden Mächten stellen Kernkraftwerke in der Tat verlok-kende Ziele dar. Auch eine Druckkesselexplosion wäre eine Katastrophe.

Sicher: Es hat zwar bisher schon eine größere Zahl kleinerer Betriebsunfälle, aber noch keinen großen gegeben. Das feilich bedeutet auch wieder, daß wir keine Erfahrung auf diesem Gebiet haben, und die Riskenschätzungen sind auch unter Fachleuten umstritten. Uber die Wiederaufbereitung (eine Art Säuberung) abgebrannter Brennstäbe hat Österreich einen Vertrag mit der französischen Firma Cogema -aber was mit dem „herausgereinigten“ Plutonium geschehen soll, ist noch ebenso unklar wie die Endlagerung der radioaktiven Abfälle, die über 10.000 und mehr Jahre eine brisante Umweltbedrohung darstellen.

Professor Schneider, der außerdem eine Totalveröffentlichung des bisher geheimgehaltenen Cogema-Vertrages forderte, ist mit seiner Aufassung sicher nicht allein, daß diese Bedrohungen für ein Nein zur Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes Zwentendorf ausreichen: siehe „ethische Urteilsdimension“.

Aber nun wird man wohl einräumen müssen, daß es ebenso ethisch motiviert sein kann, sich zu sagen: Ohne Atomstrom werden wir statt von amerikanischem Uran von sowjetischem Erdgas oder polnischer Kohle abhängig. Wirtschaftliche Abhängigkeit kann im Ernstfall zu politischer Abhängigkeit führen - ist diese Bedrohung nicht größer als eine durch Kernkraftwerke? Oder: Ohne Atomstrom gibt es kein Anhalten des Wirtschaftswachstums, ohne Wachstum keinen sozialen Frieden, politische Unruhen könnten die Folge sein - ist das nicht eine größere Bedrohung für das Gemeinwohl im Vergleich zur Strahlungsgefohr?

Ifi der Diskussion zeigte sich, daß Argumente, wie sie etwa die Referenten Peter Weihs vom Institut für Um-weltwisserischaften der Akademie der Wissenschaften und Bernhard Etz von der Katholischen Sozialakademie vorbrachten, auf viele Anhänger im kirchlichen Bereich zählen können: Wir leben längst über unsere Verhältnisse, wir müssen endlich zu einem bescheideneren Lebensstil finden! Für Etz ist die Volksabstimmung nur ein Beispiel-und Anlaßfajl für eine „breite Diskussion über Formung und Ausgestaltung der menschlichen Lebensweise“, an der sich Gruppen von sehr unterschiedlicher Herkunft und sonstiger Zielsetzung beteiligen.

Vielfach wurde die Frage aufgeworfen, ob wir wirklich auf Atomstrom so dringend angewiesen sind oder nicht durch systematisches Energiesparen den gegenwärtigen Lebensstandard zumindest halten könnten. Darauf kam auch Univ.-Prof. Günter Altner, ein evangelischer Biologe und Theologe, der in Heidelberg und Konstanz lehrt, zu sprechen.

Dem Druck vieler Beratungsteilnehmer, mit einer konkreten Abstimmungsempfehlung abzuschließen, widerstand die Tagungsleitung unter KA-Präsident Eduard Ploier zu Recht. Man wird im kirchlichen Bereich die Frage noch sehr gewissenhaft ausdiskutieren müssen, ob man sich beim Anlaßfall Zwentendorf nüchtern auf die Kernfrage „Sicherheit für Menschenleben“ konzentrieren oder sich dem Wagnis ausliefern soll, aus der Volksabstimmung gleich ein Ja oder Nein zu Grundsatzfragen des Lebensstils zu machen.

Wenn christliche Idealisten aus lauterster Absicht, aber in Verkennung gesellschaftlicher Realitäten den 5. November zu einem Lostag gegen die Wohlstandsgesellschaft hochstilisieren sollten, könnten die Folgen un-vorhersagbar ausfallen. Oder vorhersagbar, aber ernüchternd.

Der Präsident der Katholischen Aktion ist daher nicht um seine Aufgabe zu beneiden, der gesamtösterreichischen KA-Konferenz am 30. September eine Empfehlung für eine konkrete Stellungnahme zu erteilen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung