6849260-1976_39_05.jpg
Digital In Arbeit

Eine Alibikampagne ?

Werbung
Werbung
Werbung

Vom 14. Oktober an wird „aufgeklärt“. Als erste Regierung Europas — und nicht ohne Blinzeln auf den Wahlausgang in Schweden — will Österreichs Bundesregierung durch Wissenschafter und Experten die Österreicher mit der Problematik der Kernkraftwerke vertraut machen.

Wie dies erfolgen soll, mutet angesichts der ministeriellen Geckenhaftigkeit der — großspurig — als „Informationskaimpagne“ bezeichneten Aktion seltsam an. In zehn Großveranstaltungen in den Hochschulstädten, außerdem in Feldkirch, werden vor hunderten Zuhörern Kernphysiker, Biologen und Strah-lenschutzexperten miteinander diskutieren. Am Ende dieser wissenschaftlichen Riesenstrapaz sollen dann die einfachen Durchschnittsbürger wissen, ob man Kernkraftwerke in Betrieb nehmen und weitere bauen soll — oder nicht.

Zwar ist weltweit die Kernenergie als neue Technologie eine umstrittene Angelegenheit, aber bislang sind noch alle auftretenden Schwierigkeiten in den derzeit 173 Kernkraftwerken bewältigt worden. Das eigentliche Hauptproblem der Wissenschafter liegt nicht beim Bau der Reaktoren und auch nicht beim Betrieb (für den weltweit die Sicherheitsbestimmungen laufend erhöht werden), sondern in der Frage der Beseitigung des radioaktiven Abfalls. Der Bau von Wiederaufarbei-tungsanlagen ist ungemein kostspielig und wirtschaftlich nur im Rahmen multinationaler Vereinbarungen möglich. Die Endlagerung von Abfall bereitet aber überall Schwierigkeiten, weil niemand die brisanten Abfallprodukte — selbst tief unter der Erdoberfläche — haben will.

Nun sind solche dnterdependenten und nur von Fachdeuten in ihrer Bedeutung abzuschätzenden Fragen derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Widersprüche. Was aber sollen tausende Zuhörer — und womöglich noch via Fernsehen alle Österreicher — davon verstehen, wenn von Millirem, langlebigen Isotopen oder der Mischoxyd-Fabrikation die Rede ist und sich Wissenschafter dabei uneinig zeigen? Mit Recht befürchten daher seihst schon Spitzenbeamte in den mit der Kampagne befaßten Ministerien, daß die Veranstaltungen sehr rasch von der Lobby der radikalen Kernkraftgegner zur Agitation mißbraucht werden würden. Daß es — vor allem in der Bundesrepublik — halfoprofessionelle Agitatoren gibt, hat man bei der Besetzung des Kraftwerkgeländes in Wlhyl und bei Protesten gegen das Kraftwerk Biblis bei Frankfurt (dem größten Kernkraftwerk der Weilt) festgestellt. Tatsächlich dominieren dabei eigenartige ' politische Gruppierungen, voran aber die Reste der Neuen Linken und einige von Atomwaffenprotesten bekannte Traditionskommunisten. Dies ist erstaunlich, weil die Kernikraft vor allem in Osteuropa stark in Verwendung steht und sowjetische Wissenschafter bei der Planung und Errichtung von Kernkraftwerken stark engagiert sind. Allein in der Sowjetunion sind 20 Kernkraftwerke in. Betrieb und 19 in Bau, in der DDR, Bulgarien umd der CSSR arbeiten Kernkraftwerke seit langem.

Während Ost und West also auf Kernkaraft nirgendwo verzichten, wird in Österreich die Inbetriebnahme des ersten Kernkraftwerkes in Zwentendorf möglicherweise weiter hinausgeschoben werden. Dabei kann der österreichische Handelsminister unisono mit dem in Staatsbesitz stehenden Verbundkonzern nicht sagen, wo Österreich im Winter 1977/ 78 die benötigte Strommenge hernehmen soll, wenn Zwentendorf nicht in Betrieb gebt.

Alle Meinungsbefragungen außerhalb Österreichs und auch die im Vorsommer stattgefundena Volksabstimmung in Kalifornien haben aber ergeben, daß die Konsumenten gewisse lokale Gefahren bei Kernkraftwerken einem Stromengpaß oder drastischen Sparmaßnahmen vorziehen. (In Kalifornien hat mit Zweidrittelmehrheit die Bürgerschaft die Initiative von Atomgegnern verworfen, keine Kernkraftwerke mehr in Betrieb zu nehmen.)

In Österreich wird, so meinen Experten, allerdings nicht so heiß gegessen. Sogar Vertreter der Regierungspartei versichern mit Augenzwinkern, daß die ganze herbstliche Aufkdärungskampagne nur eine Alibifunktion habe: Österreich soll sich mit der Kernikraft beschäftigen, während die Regierung sowieso nicht daran denkt, Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum aufs Spiel zu setzen — weil beide von ausreichender Energieversorgung abhängig sind.

In der Volkspartei vermutet man, daß Bruno Kreisiky geschickt von herbstlichen Problemen mit Hilfe der Kernikraft ablenken will; die Budgetdebatte könnte elegant von der Kernkraftkampagne „zugedeckt“ sein.

Daß die Veranstaltungen freilich eine gewissen Eigendynamik entwik-keln könnten, fürchten vor allem die Experten aus der Elektrizitätswirtschaft.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung