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Ringen um ein Atomkraftwerk

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Seit Wochen wartet man auf den Entscheid der Landesregierung, die dem Werk Kaiseraugst die Rahmenbewilligung erteilen oder verweigern muß. Der Bundesrat aber scheut sich angesichts der drohenden staatspolitischen Krise, die ein Ja heraufbeschwören könnte, endgültig Farbe zu bekennen und schiebt den Entscheid immer wieder hinaus.

Das Ringen um das Kernkraftwerk Kaiseraugst dauert nun schon bald 20 Jahre. Ursprünglich plante die heute aus 13 Partnern

bestehende Kaiseraugst AG (mit 65 Prozent sind Schweizer Energieunternehmen und mit 35 Prozent ausländische beteiligt) ein oelthermisches Kraftwerk. Der damals allgemeine Trend für die umweltfreundlichere Kernenergie aber führte zu einer Andenmg der Pläne: Im Oktober 1966 reichte die Bauherrschaft ein Gesuch um eine Standortbewilligung für ein Kernkraftwerk (KKW) - immer noch mit Flußkühlung — ein.

Das Gesuch schien problemlos zu sein, passierten doch die Bewilligungsverfahren für drei heute klaglos in Betrieb stehende Kernkraftwerke ohne Schwierigkeiten die politischen Instanzen. (Inzwischen sind insgesamt vier KKW in Betrieb, ein fünftes steht vor der Vollendung. Die Atomkraftwerke produzieren über 28 Prozent des Strombedarfs, nämlich 13 Milliarden Kilowattstunden jährlich.)

Doch Ende der 60er Jahre änderte sich der Wind in der Kernenergiediskussion. Ein nicht weiter gravierender Unfall in einem Versuchsreaktor in der Westschweiz und warnende Stimmen aus den USA sorgten für eine wachsende Verunsicherung. Und Kaiseraugst begann zum nationalen Kristallisationspunkt in der Kernenergiediskussion zu werden.

1970 wurden die ersten überregionalen ..Widerstandsorganisationen" gegründet, die mit legalen Mitteln das geplante Kernkraftwerk verhindern wollten. 1971 kam es erneut zu einer gravierenden Planänderung. Der Bundesrat hatte die Flußkühlungsmethode aus Gewässerschutzgründen verboten. Die Planer zeichneten nun ein Werk mit Kühltürmen. Damit wurden neue Gegner auf den Plan gerufen, die vorher der Kemkraft gar nicht so abhold gewesen waren.

Die Opponenten versuchten es mm vorerst mit juristischen Einsprachen, blitzten aber bei allen Instanzen bis hin zum Bundesgericht ab. Während man in der Gemeinde selbst zu resignieren begann, ging der überregionale Widerstand weiter. Man wählte nun

„direkte", wenn auch gewaltlose Aktionen.

Auf dem Baugelände blieb es nun für die kommenden Jahre still, doch die Kaiseraugst AG trieb die Projektierungsarbeiten voran und die Investitionen in das unsichere Vorhaben stiegen in die Hunderte von Millionen Franken.

Weitere, vom Bundesrat angeforderte Expertisen über die klimatischen Auswirkungen von Kernkraftwerken in dieser Region und über die Sicherheitsprobleme brachten immer neue Verzögerungen und schließlich geriet das KKW Kaiseraugst unter die Bestiinmungen des im Mai 1979 vom Schweizer Volk abgesegneten, neuen und stark verschärften Atomgesetzes, das den Bedarfsnachweis als Kriterium für die Erteilung der Rahmenbewilligung erfordert.

Eine dafür eingesetzte Kommission lieferte anfangs dieses Jahres ein Ergebnis ab, das keine taugliche Entscheidungsgrundlage bot. Nur ein Drittel der Kommissionsmitglieder hielt eine Bedarfslücke für elektrische Energie für so eindeutig, daß sich ein weiteres Kernkraftwerk aufdränge. Ein Kommissions-Drittel prognostizierte gar Energie-tJber-schüsse.

Auch ein neues Vernehmlas-sungsverfahren ergab kein eindeutiges Ergebnis, sondern eine Patt-Situation, indem nur die

Hälfte der Kantone für Kaiseraugst eintrat. Immerhin sprachen alle diese Grundlagen für den Entscheid des Bundesrates über eine neue Rahmenbewilligung nach revidiertem Atomgesetz eher für als gegen Kaiseraugst.

Doch der Bundesrat zögerte weiter. Die Opponenten warnten vor einer Gefährdung des inneren Friedens. Sie haben eine starke Volksmeinung nicht nur in der betroffenen Region im Rücken. Die jüngste Meinungsumfrage zeigt, daß 51 Prozent der Schweizer Bevölkerung gegen Kaiseraugst und nur 33 Prozent ausdrücklich dafür sind.

Die Regierung weiß nicht, wie sie das Recht ohne schwerwiegende Konflikte (etwa mit dem Aufbieten von Militär gegen Demonstranten, da der Bund über keine eigentlichen Polizeikräfte verfügt) durchsetzen könnte. Ein Nein der Regierung zu Kaiseraugst aber wäre wohl auf Jahrzehnte hinaus ein Nein für jedes andere Kernkraftwerk überhaupt.

Am vergangenen 21. September erwartete jedermann ein Urteil des Bundesrates. Die Öffentlich-

keit war perplex, als die Landesregierung nach erneuter stundenlanger Beratung mit einem neuerlichen Auf schubsgrund vor die in nie gesehenen Scharen aufmarschierten Pressevertreter trat: Die Bauherrschaft habe eine Verzichtsofferte in Aussicht gestellt, -die nun geprüft werden müsse.

Die Kaiseraugst AG aber war offenbar selbst völlig überrumpelt von dieser Version und erklärte, sie sei mißverstanden worden und halte an ihrem Gesuch fest.

Noch selten in den letzten Jahren hatte die Landesregierung eine so schlechte Presse wie nach diesem erneuten „Nullentscheid". Niemand weiß so recht, was nun eigentlich gespielt wird und wie es weitergehen soll.

Der „Schwarze Peter" geht nun wohl ans Parlament und an die Gerichte. Es geht dabei um sehr viel Geld. Die Kaiseraugst AG hat gegen eine Milliarde Schweizer Franken investiert, von der sie — so das Werk nicht gebaut werden kann - möglichst viel wieder hereinholen will So dürfte die Bauherrschaft den Steuerzahlern eine Rechnung in der Höhe von 500.000 bis 800.000 Franken präsentieren.

So oder so: Kaiseraugst hat -obwohl noch kein Stein steht (ein Informationspavillon wurde in die Luft gesprengt) — für die Schweizer durchaus Zwentendorf-Charakter.

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