6665452-1960_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Leben oder sterben lassen!

Werbung
Werbung
Werbung

Immer wieder flackert die Diskussion über eine Reform des Bundesrates auf. Erst gelegentlich der vorjährigen Budgetdebatte haben die beiden ÖVP-Nationalräte Dr. Kummer und Dr. Schwer diese Reform wieder verlangt. Doktor Kummer meinte, man solle aus dem Bundesrat den seinerzeitigen Bundeswirtschaftsrat machen. Abgesehen nun davon, daß ich von Freund Kummer schon originellere Anregungen gehört habe, übersieht Dr. Kummer, daß der ehemalige Bundeswirtschaftsrat Teil einer ganz anderen als der heutigen parlamentarischen Konstruktion und Staatsordnung war und seine Anregung ganz einfach aus diesem Tatbestand heraus nicht verwirklicht werden kann. Doktor Schwer wieder fand, daß man die Landeshauptleute und Landesfinanzreferenten, womit ich gewiß einverstanden bin, in den Bundesrat entsenden soll, weil dieser dadurch ein verstärktes Gewicht erhalten würde. Wenig schmeichelhaft für den Bundesrat, aber objektiv zugegeben, daß eine parlamentarische Körperschaft nie genug Köpfe haben kann, was aber nicht nur für den Bundesrat gilt.

Aber auch eine noch so hervorragende Qualitätsverbesserung wird den Bundesrat aus seiner tristen Lage von heute nicht zu befreien vermögen, zumal er ja auch schon ausgezeichnete Landeshauptleute zu seinen Mitgliedern zählte. Das Übel liegt viel tiefer. Jede Reformdiskussion wirft die Frage nach der verfassungsmäßigen Stellung des Bundesrates auf. Hier liegt nämlich der Hase wirklich im Pfeffer. Und dann resultiert die Wirknot des Bundesrates aus der Eigenart unserer Koalitionsdemokratie, die oft sehr deutlich autoritäre Züge aufweist. Und schließlich ist es ja auch kein Geheimnis mehr, daß maßgebliche Kreise der Koalitionsparteien bisher kaum ein sehr ausgeprägtes Interesse an einem aktivistischen Bundesrat erkennen ließen. Mit diesen drei Hinweisen und dem offenkundigen Desinteressement der Länder am Bundesrat ist dessen ganzer Jammer und, man verzeihe mir diesen ketzerischen Hinweis, auf allerweitesten Strecken auch der des Nationalrates, den es nämlich auch gibt, aufgezeigt.

An diesen verfassungsrechtlichen, koalitionsdemokratischen und parteipolitischen Schwerpunkten sowie dem Länderunbehagen mit dem Bundesrat müssen die Hebel zu einer echten Bundesratsreform angesetzt werden und alle anderen Spekulationen mögen mehr oder weniger interessant sein, zeigen aber von wenig Sachkenntnis und führen nicht zum angeblich angestrebten Erfolg. Wer deshalb nicht bereit oder in der Lage ist, seine Reformlust bei d i e-s e n Mangelzuständen zu beginnen, möge das Reformieren besser unterlassen.

Ich gebe als „alter Bundesratshase“ freimütig zu, daß man sich einen besseren Bundesrat vorstellen kann und dieser auch wünschenswert wäre. Die aber, die an ihm sicherlich vorhandene Qualitätsmängel ausstellen — das muß aus ihren Reformvorschlägen geschlossen werden — haben ihn noch kaum wirklich an der Arbeit gesehen oder sind wissend oder unwissend an Maßnahmen vorbeigegangen, die allein Besserung bringen können.

Die meisten der BundesratskritikeT kennen zum Beispiel — ich spreche jetzt für die OVP — vor allem seine Klubberatungen nicht und hören auch nie seine Diskussionen im offenen Haus, die gar nicht so selten eine Konfrontation mit anderen parlamentarischen Enunziationen durchaus aushalten würden.

UNWÜRDIGE ÄUSSERLICHKEITEN UND VERFASSUNGSUNKLARHEITEN

Ich kreide aber niemandem dieses Unwissen an. Zu den Klubberatungen haben die Kritiker ja keinen Zutritt, und in die Haussitzungen können sie kaum kommen (und nehmen sich dazu vielleicht auch gar nicht die Zeit, wenngleich Reformvorschläge sehr genaue Sachkenntnis erfordern würden), weil für sie, sollten sie tatsächlich einmal erscheinen, dann vielleicht nicht einmal ein Stuhl oder eine Bank verfügbar ist, die es ihnen gestatten würde, aufmerksam zuzuhören. Journalisten müssen, wenn sie sich einmal in eine Bundesratssitzung verirren, ihre Knie als Schreibunterlage verwenden, weil für sie die zweite österreichische Kammer nicht einmal einen Tisch hat. Und wäre einmal, was ohnedies noch nie passiert ist, die Regierungsbank voll besetzt, dann gäbe es sogar für den bundesrätlichen Berichterstatter keinen Platz mehr; er müßte stehend die Diskussion über sich ergehen lassen. Gleiches könnte auch den Ministerialvertretern passieren, wenn einmal im Bundesrat zu behandelnde Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates die gleichzeitige Anwesenheit von Vertretern aus allen Ministerien erfordern würde und dabei das Unglück der Anwesenheit von einem Dutzend Zuhörern einträfe. So schaut es nämlich im Bundesrat, für dessen Mitglieder es nicht einmal eine Telephonzelle, von der aus sie ungehört und ungestört sprechen könnten, gibt, in Wirklichkeit aus, und das ist die äußere Reverenz, die man der zweiten Kammer Österreichs erweist. Solche äußere Zustände sind einer parlamentarischen Körperschaft unwürdig, und es wäre an der Zeit, wenigstens diese primitiven technischen Gebrechen einmal zu beheben, an denen die Kritiker, weil sie in dieser Hinsicht vielleicht saturiert sind, bisher aber völlig achtlos vorübergingen.

Im Nationalrat der Ersten Republik mußte man als Galeriebesucher neben den Überkleidern und Waffen alle wurfbaren Gegenstände bis zum Taschenmesser abgeben. Ob es heute noch so gilt, weiß ich nicht. Richtig aber war diese Maßnahme. Im Bundesrat aber ist es so, daß sich jeder Zuhörer jeden Bundesrat ganz einfach mit ausgestrecktem Arm „greifen“ und ihn, wenn er will, auch verletzen könnte. Das gibt es auf der ganzen Welt nicht, und man müßte untersuchen, ob dies nicht sogar eine verfassungswidrige Einschränkung der Redefreiheit im Bundesrat ist, der sich ja auch einmal in heftigem Widerspruch zu etwa anwesenden Zuhörern befinden kann. Aber auch hinsichtlich der Möglichkeit, daß Zuhörer einmal keinen Platz mehr finden können, weil die wenigen vorhandenen Plätze für Ministeriale und technische Hilfskräfte erforderlich sind, taucht die Verfassungsfrage auf, die für mich auch in diesem Fall keineswegs von vornherein schon geklärt ist.

Aber auch daran hat sich noch kein parlamentarischer und daher wissender Bundesratskritiker gestoßen. Darum wird ihnen heuer Gelegenheit zu geben sein, bescheidene Mittel für die Behebung dieser nur demonstrativ aufgezeigten technischen Mißstände zu bewilligen. Es besteht nämlich auch das Paradoxon, daß der Nationalrat die Mittel, die der Bundesrat zur Erfüllung seiner Aufgaben braucht, genehmigen muß. Wenn er also einmal will, kann er dem Bundesrav nötige Mittel verweigern und so die Arbeit des Bundesrates praktisch lahmlegen. So macht man zur Farce, was als Ländervertretung funktionieren soll und als Korrektiv, das gar nicht immer überflüssig ist, gedacht war.

Vielleicht ist es deshalb auch einmal angebracht, wenn die Kritisierten die Kritisierer „durch die Blume“ zu kritisieren beginnen. Aber gar nicht primär wegen der vorhandenen technischen Mängel, deren Behebung allerdings andere Parlamentarier für sich als Arbeitsvoraussetzung verlangen würden, die dem Bundesrat aber fehlen, sondern wegen Unterlassungen, deren Behebung gar nichts kosten und dennoch Besserung bringen würde.

EINFACHE VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE Warum, so frage ich, nimmt man denn zum Beispiel auf die Arbeitsweise des Bundesrates, die heute ganz gleich der des Nationalrates ist, obwohl der Bundesrat eine Länderkammer ist, keinen verbessernden Einfluß? In der Wirkweise des Bundesrates gibt es heute wohl Parteien-, aber keine Ländervertreter, wie es allein richtig wäre. Wäre es darum nicht zweckmäßig, wenn die Landeshauptleute oder die Landtagspräsidenten die Bundesräte ihres Landes, ohne Unterschied ihrer Parteizugehörigkeit, regelmäßig zusammenrufen und auf ein gemeinsames Länderinteresse ausrichten würden, auf daß sie im Bundesrat wirklich als Ländervertreter wirken können und nicht als Parteivertreter agieren müssen? Ich kenne das Land nicht, das einen solchen Versuch gemacht hat, aber Länder kenne ich, die sich um den Bundesrat überhaupt nicht kümmern. Hielte man es meinem Vorschlag gemäß, dann könnten die Landeshauptleute und die Landesfinanzreferenten bereits im Sinne der Anregung Dr. Schwers ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen und der Bundesrat erhielte dadurch vielleicht schon ein anderes Gesicht und Gewicht. Vielleicht könnte durch diese Praxis sogar die politische Verkrampfung, unter der unser innerpolitisches Leben fraglos leidet, etwas aufgelockert werden. Ein anderes Beispiel:

Immer wieder klagen die Länder, daß ihnen der Bund durch Gesetzesbeschlüsse, die noch in allen Fällen aber auch der Bundesrat in vollem Bewußtsein der damit verbundenen Problematik sanktioniert hat, Ausgaben diktiert, für die sie keine Einnahmen haben. Man denke an den Familienlastenausgleich, das ASVG, die Wohnbauförderung, die Katastrophenhilfe usw. Alle diese Maßnahmen, die hier der Bund getroffen hat, waren wünschenswert und gut. Aber die M e-t h o d e, die dabei der Bund gegenüber den Ländern praktizierte, muß abgelehnt werden. Denn wie soll denn ein Land noch ein Budget erstellen können, wenn es keinen Augenblick sicher ist, ob ihm nicht durch legislatorische Maßnahmen des Bundes das ganze Budget wieder über den Haufen geworfen wird? Und was ist das für eine merkwürdige Hilfsbereitschaft, die Hilfe als nötig statuiert, aber nur dann praktiziert, wenn auch noch ein zweiter hilft? Was ist es, wenn dieser zweite, die Länder, einmal nicht mehr mithelfen können? Läßt man dann die Hilfebedürftigen einfach verderben?

Während der nationalsozialistischen Ära in Österreich hat man den Ländern die Finanzhoheit genommen und dafür Ertragsanteile von sogenannten gemeinsamen Abgaben gegeben, deren Verwendung, soweit nicht Zweckgebundenheit vorliegt, diesen überlassen ist. Nun aber schränkt man die Verfügungsgewalt der Länder über diese Vertragsanteile in immer zahlreicheren Fällen von der Bundesseite her ein, indem man den Ländern einfach vorschreibt, daß sie und was sie für einen bestimmten Zweck zu leisten haben. Dieser Zweck hat im Zeitpunkt der Budgeterstellung aber vielleicht noch gar nicht existiert. Wo bleibt da die Landeshoheit und was ist das für ein merkwürdiger Respekt vor dem verfassungsmäßig garantierten Föderalismus? Denn Österreich ist ein Bundesstaat, dessen Glieder die Länder sind. Welches Land aber, so frage ich wieder, hat uns Bundesräte jemals gegen diese Praxis schon „scharf“ gemacht?

Braucht es denn das? Mir will es scheinen. Denn oft kommt es mir schon vor, als würden manche Länder das Empfangen und Verteilen von Ertragsanteilen mindestens nicht unbequemer als das Beschließen, Einheben und Eintreiben eigener Steuern empfinden, und es wäre die Finanzhoheit der Länder geistig schon so ausgehöhlt, daß um ihre Rückgewinnung niemand mehr einen wirklichen Kampf führen will. Jedenfalls hat man den Bundesrat zur Rückgewinnung der Länderfinanzhoheit auch noch nie eingesetzt. Was bedeutet dann aber Föderalismus noch, wenn man ihn nur in sekundären Belangen wünscht, ein vitales Hoheitsrecht, eben die Finanzhoheit, ernstlich aber gar nicht mehr reklamiert? Welche Länderinteressen soll dann der Bundesrat wahren und vertreten? Man ist gar nicht zufrieden mit dem Bundesrat, man läßt ihn aber immer mehr im föderalismusleeren Raum und in der Unklarheit operieren. Wie kann da Positives und Konstruktives herauskommen?

Aber vielleicht hat dieses ständige und nicht immer ideenreiche Kritisieren und gleichzeitge Negieren des Bundesrates doch auch sein Gutes. Im Bundesrat mehren sich nämlich, zunächst noch in Camera caritatis, die Kräfte, die immer weniger gewillt sind, der aufgezeigten Praxis noch sehr lange die Mauer zu machen. Denn ewig können verantwortungsbewußte Abgeordnete auf paktierte Gesetze, Koalitionsbedürfnisse und Respekterweise nicht Rücksicht nehmen, wenn es so gegen ihr Wissen oder Gewissen geht. Das kann gewiß dann zu parteiinternen und vielleicht sogar zu Koalitionsschwierigkeiten fuhren. Aber über der Partei steht das Volks- und Staatsinteresse. Und wenn man so laut nach einem besseren Bundesrat ruft, wird man vorübergehende Schwierigkeiten eben in Kauf nehmen und dort einmal zu reformieren anfangen müssen, wo die Arbeit des Bundesrates tatsächlich gehindert ist und wo echte Reformerfolge erreichbar sind. Ich habe solche Möglichkeiten, die keine gesetzlichen Maßnahmen erfordern, angedeutet. Sie heißen:

• Regelmäßige Ausrichtung der Bundesräte, ohne Rücksicht auf parteipolitische Herkunft, auf ein gemeinsames Landesinteresse durch eine dazu geeignete Landesinstanz, und

• Feststellung, welchen unveräußerlichen Inhalt heute der Föderalismus eigentlich noch hat.

Tut man das, wird man sofort einen besseren Bundesrat haben.

QUALITATIVER VERBESSERUNGSVORSCHLAG Ideal wird dieser verbesserte Bundesrat allerdings auch noch nicht sein. Dazu bedarf es unerläßlich einer Veränderung seiner gegenwärtigen verfassungsmäßigen Stellung. Ich weiß, daß der Weg zu diesem idealen Zustand steil und steinig ist und auch hier Meinungsverschiedenheiten auftauchen werden. Die Sozialisten im Bundesrat beklagen wie wir dessen gegenwärtige Situation, und niemand hat das Recht, die Aufrichtigkeit dieser Klagen anzuzweifeln. Wünscht die Führung der SPÖ aber wirklich eine aktive Länderkammer oder eine echte zweite Kammer? Fast bezweifle ich das. Darum werden wir nicht gleich nach den Sternen greifen und die Verbesserung der verfassungsmäßigen Position des Bundesrates nur schrittweise vorantreiben dürfen. Ein solcher Schritt scheint mir aber sofort möglich.

• Man schaffe einen gemeinsamen Ausschuß zwischen Nationalrat und Bundesrat, paritätisch aus beiden Kammern zusammengesetzt, der Einsprüche, die der Bundesrat erhebt, zu behandeln und zu bereinigen hat. Heute ist es nämlich, um die Groteske zu vollenden, so, daß der Bundesrat bei der Behandlung seiner Einsprüche gar nicht mehr zum Wort kommen kann, weil die Behandlung dieser Einsprüche ausschließlich durch den Nationalrat erfolgt. Der Bundesrat darf wohl protestieren, in einem Brieflein seinen Einspruch sogar begründen, der Nationalrat aber kann auf seinem Beschluß“ beharren, ohne daß der Bundesrat seine Einspruchsbegründung verteidigen oder die Gegenargumente des Nationalrats zu entkräften versuchen kann. Das dürfte im parlamentarischen Leben kaum ein zweites Mal vorkommen.

Der hier erstmals vorgeschlagene Weg ist dabei nicht einmal sehr originell. Unsere Verfassung sieht nämlich vor, daß dann, wenn ein Land ein finanzielles Gesetz beschließt, das der Bund als einen Eingriff in seine Rechte empfindet, ein gemeinsamer Ausschuß des National- und Bundesrates über den Einspruch zu befinden hat. Man schaffe also für Einsprüche des Bundesrates einen solchen Koordinationsausschuß, und man wird staunen, wie sachkundig und verantwortungsbewußt dieser vielkritisierte Bundesrat zu arbeiten versteht und wieviel echter föderalistischer Geist in der Mehrzahl seiner Mitglieder lebendig ist.

Bliebe man bei ernsten Gesprächen über eine Reform des Bundesrats nicht immer so einsam, dann fände sich vielleicht sogar ein Bundesrat, der diese kleine Verfassungsänderung — der Bundesrat hat nämlich auch das Recht, selbst Gesetze zu beantragen — als Gesetzentwurf vorschlagen würde. Dann dürfte man ihm freilich nicht, wie es mir, einmal beim erstmaligen gleichen Versuch erging, wieder sagen: „Na, das ginge uns auch noch ab, daß der Bundesrat Gesetze anregt!“ Denn will man wirklich keinen funktionierenden Bundesrat und will man diesen Bundesrat so wie bisher nur vegetieren lassen, dann löse man ihn besser auf. Denn zum Nur-Vegetieren kommt er trotz seines Jammerbudgets und seiner jämmerlichen technischen Äußerlichkeiten zu teuer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung