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Ein gefährliches Präjudiz

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In der vergangenen Woche war im Bundesrat eine Reihe von wichtigen Gesetzen zu erledigen, vor allem das Arbeitspflichtgesetz, auch eine unsere Volkswirtschaft so stark berührende Vorlage, wie das Filmwirtschaftsgesetz. Der Bundesrat jedoch war durch eine Kette von Zufällen ohne Vorsitzenden. Der erste Vorsitzende Stadtrat Honay war schwer erkrankt, der erste Stellvertreter Dr. Dienstleder ist bekanntlich vor kurzem gestorben und der zweite Vorsitzende-Stellvertreter Mooshammer war durch einen Autounfall am Erscheinen verhindert. Es hätte nur die Möglichkeit gegeben zu warten, bis einer der Vorsitzenden wiederhergestellt war. Aber' der Bundesrat glaubte im Hinblick auf die Dringlichkeit der Vorlagen ein Übergehen der Geschäftsordnung riskieren zu können und so eröffnete denn Bundesrat Prof. Duschek die Sitzung. Da kein Einspruch sich dagegen erhob, schritt man an die Wahl des ersten Vorsitzenden-Stellvertreters — sie fiel auf Bundesrat Josef Rehrl — um dann die Beratungen der Gesetzesvorlagen aufzunehmen.

Kein unbedenklicher Fall. Prof. Duschek hatte das richtige Gefühl für die heikle Situation, wenn er erklärte, daß mit diesem Fäll kein Präjudiz geschaffen -werden solle. Es ist aber doch ein Präjudiz, daß Besdilüsse ohne eine geschäftsordnungsmäßige Leitung dieser gesetzgebenden Körperschaft gefaßt wurden. Und dieses Präjudiz ist nicht ungefährlich. Denn in der Nachahmung des Falles könnte irgend eine Gruppe von Bundesräten einmal auf den Gedanken kommen, ohne gesetzmäßigen Vorsitzenden auf eigene Faust irgendwo Bundesrat zu spielen. Es könnte aber auch einen Verfassungsgerichtshof geben, der Gesetzen, die ohne einen gesetzmäßigen Vorsitzenden zustande gekommen sind, als verfassungswidrig die Anerkennung verweigern würde. Nein, es ist nicht gut — noch dazu bei der Verabschiedung so einschneidender Vorlagen wie der des Arbeitspflichtgesetzes — dieselbe Verfassung so nebenbei zu korrigieren, die von allen Parteien als die Grundlage und Voraussetzung unserer Demokratie herausgestellt werden muß.

österreichisches Eigentum in Italien

Von einem in Oberitalien seit langem ansässigen Österreicher erhalten wir eine längere Darstellung der verwickelten Verhältnisse, die heute italienisches Parteienleben und Verfassungsprobleme heißen. Wir greifen ans dem Briefe eine Stelle von unmittelbarer, auf Österreich bezogener Aktualität heraus. Der Verfasser verweist auf die reichlich negative Kritik, die sich heute in Italien an alle Handlungen und Unterlassungen der Regierung hefte und hervorgerufen sei durch den allgemeinen Zustand des Landes und die Ungeduld des Verlangens nach Besserung, und sagt fortfahrend:

„In diesem Drange wird oft die Menge und Größe der zu überwindenden sachlichen und politischen Schwierigkeiten unterschätzt. So ist das Zusammenwirken der sechs Regierungsparteien nicht befriedigend. Dem Burgfrieden der ersten Honigmonde nach der Befreiung ist. eine Periode, wechselnder Spannungen gefolgt, die nicht selten krisenhaft auftreten. Es mag sein, daß diese Unruhe und Unsicherheit auch auf die Außenpolitik der Regierung hinüberreicht und ihr zuweilen den Stempel nervöser Gereiztheit aufprägt.

. Wir Österreicher, die wir seit Jahrzehnten unsere Arbeitskraft und unser Kapital in die italienische Volkswirtschaft investiert und dieser zweifellos erhebliche Dienste geleistet haben, bekommen solche Wirkungen zu spüren. Schon die Regierung Parri hat

angeordnet,' daß der Privatbesitz der Österreicher zu sequestrieren sei. Man konnte uns damals von Wien aus nicht zu Hilfe kommen, da der provisorischen Regierung die völkerrechtliche Anerkennung versagt war. Seither hat die Regierung Degasperi die Sequestrierung beschleunigt und verschärft. Wir haben nach dem Grunde gefragt und bekamen die Antwort, daß angeblich in Österreich ähnliche Maßregeln gegen das italienische lEigentum in Geltung seien. Das großzügige Verständigungsanbot der Wiener Regierung in der Südtiroler Frage ist doch wohl eine deutliche Widerlegung dieser Behauptung, die sich höchstens auf Anordnungen aus der Nazizeit gründen, kann, die nicht mehr in Kraft sein können. Auffallend war es, daß hier in Italien die Einleitung der Sequestrierung zeitlich mit dem Einsetzen der Aktion für die Rückgabe Südtirols an Österreich zusammenfiel. Schon mehren sich die Anträge der mit der Sequestrierung betrauten Stellen auf Zwangsversteigerung österreichischen Eigentums, des Besitzes, den sich hier Österreicher als Arbeiter und Angestellte, Kaufleute, Kunst-gewerbler, Industrielle in Friedenszeiten durch ihren Fleiß erworben haben. Sehr zahlreiche und feedeutende ötr reich isehe Interessen s i ad bedroht. Die Lage ist dadurch erschwert, daß wir hier noch ohne Schutz einer - Gesandtschaft und unserer Konsulate sind, wir haben nur die Hoffnung, die uns auf die Bundesrierung verweist. Schließlich handelt es sich nicht nur um den Schütz legitimer privatrechtlicher Interessen, sondern auch m ein Stück österreichi-

schen Nationalvermögens, auf das auch ein reicherer Staat als Österreich nicht verzichten könnte. Seit den Novemberwahlen erfreut sich Österreich wieder eines solchen Ansehens in der Welt, daß wir hoffen, es werde dieser Hilferuf nicht unerhört verhallen, falls keine andere Möglichkeit bestünde, uns zu helfen, als ein Appell an die Welt.“

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