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Eine Lanze fur den Bundesrat

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Oesterreichs zweite Parlamentskammer, der Bundesrat, oder, wie er nach der Verfassung von 1929 eigentlich heißt: „Länder- und Ständerat“, wird diskutiert. Man diskutiert seine verfassungsmäßigen Rechte, wie er sie ausübt und — wie er sie nicht ausübt; was ihm fehlt und was ihn lähmt. Auch die „Furche“ ist in ihrer Osternummer mit einem, wie wir glauben, sehr sachlichen und kundigen Beitrag (DDr. Willy Lorenz: „Großer Kummer mit kleiner Kammer“) in die Debatte eingetreten. Im Nachfolgenden hat ein führendes Mitglied des Bundesrat selbst das Wort. Seine Meinung zu bestimmten Vorhalten und AnwUrfen können für die Debatte nützlich sein. Die „Furche“

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Oesterreichs zweite Parlamentskammer, der Bundesrat, oder, wie er nach der Verfassung von 1929 eigentlich heißt: „Länder- und Ständerat“, wird diskutiert. Man diskutiert seine verfassungsmäßigen Rechte, wie er sie ausübt und — wie er sie nicht ausübt; was ihm fehlt und was ihn lähmt. Auch die „Furche“ ist in ihrer Osternummer mit einem, wie wir glauben, sehr sachlichen und kundigen Beitrag (DDr. Willy Lorenz: „Großer Kummer mit kleiner Kammer“) in die Debatte eingetreten. Im Nachfolgenden hat ein führendes Mitglied des Bundesrat selbst das Wort. Seine Meinung zu bestimmten Vorhalten und AnwUrfen können für die Debatte nützlich sein. Die „Furche“

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In der österreichischen Innenpolitik ist es Mode geworden, sich mit der Wirkkraft und Stefttiflg'a'Bufläesrates zu beschäftigen. Diese Besehäfilgärfg rSfcht vört aufrichtiger Sorge über durchaus nicht immer angebrachte Ueber-heblichkeit bis zur bitteren Ironie.

Vielleicht ist es ob dieser Kritik angebracht, dazu einmal auch von der kritisierten Seite ein Wort zu sagen.

Die verfassungsmäßige Stellung des Bundesrates ist revisionsbedürftig. Darüber bestehen in. unseren Reihen keine Zweifel. Warum aber sagt man nie, daß diese Notwendigkeit keineswegs von allen Parteien bejaht wird? Die zentralistisch ausgerichteten Sozialisten sehen keine Veranlassung, den föderalistischen Grundgedanken unserer Verfassung, in dessen Dienst ja der Bundesrat steht, zu stärken. Das ist von ihrem Standpunkt aus durchaus verständlich. Sieben von unseren neun Bundesländern haben ja eine Volksparteimehrheit. Stärkt man den Bundesrat nach der föderalistischen Seite hin, dann befürchten die Sozialisten eine Schwächung ihrer parlamentarischen Position. Also sind sie gegen eine solche Stärkung. Eine echte zweite Kammer aber, zu der man den Bundesrat schließlich auch machen könnte, wünschen sie ebenfalls nicht, weil sie grundsätzlich Anhänger des Einkammersystems sind. Also genügt ihnen der Nationalrat vollkommen.

Die Volkspartei würde einen verstärkten Föderalismus kaum ablehnen, wenngleich es ein offenes Geheimnis ist, daß damit nicht alle Parteifreunde eine reine Freude hätten. Das Wort von der Notwendigkeit des „Entföderali-sierens“ hat oft bis hoch hinauf guten Klang. Aber selbst dann, wenn sich innerhalb der Partei eine Mehrheit für eine verstärkte Föde-ralisierung des Parlamentarismus finden ließe, käme dafür im Nationalrat kaum eine solche zustande, weil dazu eine Verfassungsänderung nötig wäre, die die qualifizierte Mehrheit erfordert, die die erste Regierungspartei aber nicht hat. Also gibt es hinsichtlich der Stellung des Bundesrates grundsätzliche und verfassungsmäßige beziehungsweise machtpolitische Schwierigkeiten, die im Augenblick kaum zu überwinden sein dürften.

Die Kritiker des Bundesrates sind im allgemeinen bereit, diese Schwierigkeiten wenigstens zum Teil anzuerkennen. Sie kritisieren deshalb in der Hauptsache die Arbeitsmethode des Bundesrates und werfen ihm vor, daß er nichts tut, als ja und amen zu dem zu sagen, was ihm der Nationalrat präsentiert.

Für den nicht eingeweihten Kritiker mag dies auch so scheinen. In Wahrheit ist es aber n i cht spv Denn' auch irrj Bundesrat wird die Hauptarbeit nicht in ,deh Plenarsitzungen geleistet — genau wie im Nationalrat. Diese Hauptarbeit ist vielmehr den parlamentarischen Ausschüssen überantwortet. Ist man aber ehrlich, muß man zugeben, daß die Entscheidungen auch nicht in diesen Ausschüssen fallen. Sie fallen entweder in den Parteiklubs — worüber noch zu reden sein wird — oder sonst in halb-beziehungsweise außerparlamentarischen Institutionen, die ein Produkt unserer sehr eigenartigen und eigenwilligen österreichischen parlamentarischen Demokratie sind und von mit schwerster Verantwortung belastenden Politikern beschickt werden. Es müssen deshalb in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle Gesetzesvorlagen als bereits sanktioniert angesehen werden, wenn sie diese Gremien passiert haben. Das aber versetzt den Bundesrat — und um kein Jota weniger auch den Nationalrat — in die optisch und oft auch sachlich peinliche Lage, auch dann etwas durchgehen lassen zu müssen, wenn eine Aenderung oder gar ein Einspruch durchaus berechtigt wäre. Dieser Einspruch kann wegen des Votums dieser Spitzengremien und deshalb nicht erfolgen, weil das eine Mal der Gesetzentwurf paktiert, dann wieder junktimiert ist; ein anderes Mal wieder steht die Regierung oder ein Ministerium unter 'ertdeuckFy ■eteßMeine RWckVerv?e6Wg“'ftUfch den Bundesrat einen ex-lex-Zustand schaffen würde; das nächste Mal würde ein Einspruch die Koalition gefährden; schließlich muß ein Einspruch unterbleiben, weil von den 26 OeVP-Bundesräten. denen 24 SPOe-Bundesräte gegenüberstehen, bedauerlicherweise einige krank geworden sind und also für den Einspruch keine Mehrheit zu finden ist; wieder ein anderes Mal würde ein Einspruch des Bundesrates eine neue Kammerbefragung auslösen, die man aber entweder vermeiden oder sonst nicht durchführen will, usw. So kommt es, daß der Bundesrat manchen Gesetzentwürfen seine Zustimmung geben muß, obwohl eine Partei oder vielleicht sogar beide Regierungsparteien klar die Notwendigkeit eines Einspruches erkannt haben und auch zu einem solchen Einspruch bereit wären. Niedere Interessen müssen eben höheren untergeordnet werden.

Warum sprechen die Kritiker des Bundesrates nicht auch von diesen internen Schwierigkeiten, warum reden sie insbesondere nicht von der Eigenartigkeit und Eigenwilligkeit unserer parlamentarischen Demokratie und der Existenz jener halb- oder außerparlamentarischen Institutionen, denen man gewiß vorteilhafte Wirkkraft keineswegs ganz absprechen kann, die aber die Arbeit im Bundesrat nicht leichter machen? So kommt es, daß sich die Kritik am Bundesrat auf der Linie des geringsten Widerstandes bewegt und maßgebliche Hindernisquellen generös übersieht. Das aber erscheint mir ungerecht. Man befreie den Bundesrat von seinen Schwierigkeiten und urteile dann über seine Arbeit. So wäre es gerecht.

Der flüchtige Kritiker ist gerne bereit, jede Zustimmung des Bundesrates zu einem Gesetzentwurf als mangelnde politische Intelligenz oder gar Verantwortungslosigkeit, als politischen Servilismus gegenüber anderen Einrichtungen zu werten, und macht so aus dem Bun desrat einen Abklatsch des Nationalrates. Dieser Vorwurf aber ist unberechtigt und muß einmal zurückgewiesen werden. Es sind vielmehr dem Bundesrat — genau so wie dem Nationalrat — in der Mehrzahl der Fälle einfach die Hände gebunden. Der Bundesrat knurrt deshalb sehr oft, er beugt sich aber der höheren Einsicht, weil er trotz seiner oft bestrittenen politischen Intelligenz dennoch sehr genau weiß, um was es auch heute noch in Oesterreich geht. Und das wird so lange der Fall sein, solange in der Welt die gefährliche Unruhe von heute herrscht und solange man die verfassungsmäßige Stellung des Bundesrates oder den technischen Ablauf unserer parlamentarischen Demokratie nicht ändert.

Kein ehrlicher Kritiker aber dürfte behaupten, daß der Bundesrat nicht trotzdem mit größter Verantwortungsbereitschaft und sehr oft auch bester Sachkenntnis — auch in anderen parlamentarischen Einrichtungen gibt es nicht immer nur politische Haupttreffer beziehungsweise nur Raabs, Churchills und Adenauers — seine Pflicht zu erfüllen sucht. Ich kenne diesen Bundesrat als dessen ehemaliger Vorsitzender, als sein Mitglied, als sein Ausschuß- und stellvertretender Ausschußobmann und Ausschußmitglied, ich kenne ihn aus langjähriger Erfahrung und halte mich in aller Bescheidenheit für eine solche von der Kritik herausgeforderte Rechtfertigung zuständig. Es nimmt der'Bundesrat keineswegs immer und kommentarlos zur Kenntnis, was aus dem Nationalrat zu ihm herüberkommt. Er erhebt sogar oft ernste, sehr ernste Bedenken zu einzelnen Gesetzesvorlagen und gibt diese, weil er nicht selten vor den höheren Interessen und geschilderten Schwierigkeiten kapitulieren muß — genau so wie der Nationalrat — seine Bedenken an jene Persönlichkeiten und Gremien weiter, die schließlich heute in Oesterreich entscheiden, wenngleich zufolge einer Arbeitskonzentration, die geeignet ist, manche Sorge auszulösen.

Wenn man den Bundesrat gerecht beurteilen will, dann soll man weiter nicht ganz übersehen welch' überragendeRolIein unserer parlamentarischen Demokratie die Parteiklubs spielen. Dort wird das Für und Wider zuerst und oft auch zuletzt erwogen, dort werden Einwände vorgebracht, berücksichtigt und auch verworfen, nachdem der Gesetzentwurf bei der Volkspartei früher schon in den bündischen Klubs, denen natürlich auch die Bundesräte angehören, durchberaten worden ist. In diesen Einrichtungen haben auch die Bundesräte die Möglichkeit, ihre Stimme zu erheben, und e r heben sie auch. Sind ihre Einwände berucksichrigungswert, dann werden sie auch berücksichtigt.

Damit ist aber der Arbeit des Bundesrates praktisch vorgegriffen. Man könnte es in diesen Gremien auch anders halten, schweigen, und dann sich im Bundesrat selbst groß aufspielen. Man könnte ferner im Bundesrat darauf verweisen, daß eine Gesetzesänderung auf eine Anregung eines Bundesrates zurückzuführen ist und das Gesetz vielleicht dadurch erst brauchbar geworden ist. Wäre diese Praxis aber wirklich ernste politische Arbeit oder müßte sie von der Oeffentlichkeit nicht vielmehr als widerliche politische Schaumschlägerei oder garstige Popularitätshascherei empfunden werden? So könnten sich vielleicht einzelne Politiker selbst dienen, dem Volk und Vaterland würde diese Praxis aber wenig nützen.

So lange die verfassungsmäßige Lage des Bundesrates, die machtpolitische Lage in Oesterreich so wie sie gegenwärtig ist und vitale Volks- und Staatsinteressen dringender als parlamentarische Reformen sind, wird es sich der Bundesrat gefallen lassen müssen, im Schatten des verfassungsmäßig unvergleichlich besser behandelten Nationalrates wirken und sich von Kritikern kritisieren lassen zu müssen. Ihn aber dauernd zu tadeln und zu ironisieren steht mindestens jenen nicht gut an, die entweder nur halbe Wahrheiten wissen, selbst mehr als einen kleinen Grund zu größerem Kummer haben, die parlamentarische Arbeitsweise in Oesterreich nur vom Hörensagen kennen oder es mit der Demokratie nicht gut meinen. Oder will man wieder das Wort von der „parlamentarischen Quatschbude“ Urständ feiern lassen?

Es ist aber dankenswert, wenn mit der Kritik am Bundesrat Besserungsmöglichkeiten zur Diskussion gestellt werden. Man glaubt z. B., daß es im Bundesrat besser werden könnte, wenn man ihn mit mehr gewichtigen politischen Persönlichkeiten als bisher beschicken würde. Das* könnte dem Bundesrat gewiß nicht schaden. Was an Politikern in Oesterreich Gewicht hat, das ist im Parteiklub des Parlamentes aber ohnehin vertreten bzw. hat dort Sitz und Stimme. Man macht davon nur nicht immer Gebrauch, weil die Fülle der Arbeit zu groß ist, die gerade auf diesen Freunden lastet. Im Plenum des Bundesrates oder seinen Ausschüssen würden auch sie kaum noch etwas ändern können. Und hätten sie dann Zeit, zu Sitzungen nach Wien zu kommen? Warum kommen sie dann nicht auch zu den Klubberatungen? Geht es um die Optik oder geht es um den Erfolg für Volk und Vaterland?

Diese Freunde könnten allerdings im Bundesrat dann reden, und vielleicht würde man sie sogar publizieren. Denn heute publiziert man den Bundesrat ja gar nicht. Aber trotzdem sagt man, daß er ein Abklatsch des Nationalrates ist, obwohl man sich ihn gar nicht anhört. Was ist denn das für eine Logik und für ein Unrecht? Ich habe es — man verzeihe mir diese neuerliche Unbescheidenheit wieder — schon wiederholt von hohen Parlaments- und Ministerial-beamten, aber auch Sitzungsteilnehmern gesagt bekommen, daß sich die Debatten im Bundesrat vor jenen im Nationalrat keineswegs verstecken müssen sich vielmehr durch Sachlichkeit und oft auch Rhetorik gut von anderen parlamentarischen Einrichtungen abheben. Aber die Presse geht ja nicht in die Bundesratsitzungen, weil man einfach annimmt, es werde dort ohnedies nichts von Bedeutung gesagt. Und kommt es wirklich immer nur aufs Reden an? Die größere Kunst in der Politik scheint mir das Schweigen und nicht das Reden zu sein. Ich kenne „große Schweiger“ im Parlament, die man als sachkundige Gestalter unseres öffentlichen Lebens aber gar nicht missen könnte. Und im Bundesrat könnte man andere als die vielleicht im Nationalrat bereits vorgebrachten Argumente — der Nationalrat braucht auch die politische Optik — für oder gegen ein Gesetz dann nicht vorbringen, wenn die bundesrätlichen Aufgaben an diesem Gesetz bereits fernab der Oeffentlichkeit erfüllt wurden. Redet der Bundesrat nichts, dann sagen die Kritiker: „Seht sie doch, wie sie schweigen!“ und redet er, dann verschweige n sie ihn. Gerecht ist das nicht!

Und ein Letztes. Wir haben in Oesterreich seit 1918 viel politisches Leid erlebt und inbrünstig kann man nur wünschen, daß es sich nie mehr wiederholen möge. Gefeit sind wir dagegen aber nicht. Käme es aber wieder einmal zu einer Aktionsunfähigkeit des Nationalrates, dann könnte ein gut bestückter Bundesrat zu einer Bedeutung aufrücken, die seinen mißliebigen Kritikern — und an andere wende ich mich nicht — die Feder aus der Hand schlügen. Er wäre dann ein parlamentarisches und politisches Sicherheitsventil, das in Stunden der Gefahr für Volk und Vaterland wertvoll werden könnte. Denn den Bundesrat kann auch der Bundespräsident nicht auflösen. Wohl aber den Nationalrat.

So scheint es mir also so zu sein, daß keine Ursache besteht, dem Bundesrat heute Lorbeerkränze zu winden — ich wäre wahrscheinlich unter den gegenwärtigen Verhältnissen auch nicht dabei, wenn man sie anderen parlamentarischen Institutionen flechten wollte. Ihn dauernd aber in der Oeffentlichkeit zu kritisieren und zu verschweigen, ist auch nicht gerecht ■und dient unserer parlamentarischen Demokratie nicht. Darum auch Gerechtigkeit für den Bundesrat/

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