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Nicht fuhren, sondern koordinieren

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Die Departementalherrschaft der helvetischen Allparteienregierung hat im Parlament und in der Presse den Ruf laut werden lassen nach alljährlicher Darlegung des Regierungskonzepts zu den wichtigsten aktuellen Lebensfragen anläßlich der Behandlung des Geschäftsberichtes im Parlament. Die Landesregierung würde dadurch veranlaßt, sich ein Konzept ihres Regierens zu erarbeiten. Sie sollte so gewissermaßen zum Führen, das sie so scheut, sanft gezwungen werden.

Ein parlamentarischer Vorstoß in dieser Richtung fand schon im Parlament wenig Gegenliebe und wurde vom Bundesrat mit der dürftigen Argumentation abgelehnt, der Geschäftsbericht müsse eine Rechenschaftsablage über Geleistetes sein und bleiben, welche dem Parlament die Ausübung seines Kontrollrechts ermöglichen soll. Eine Regierungserklärung komme als systemwidrig überhaupt nicht in Frage, denn „ein eigentliches Regierungsprogramm hätte nur dann einen Sinn, wenn der Bundesrat in der Lage wäre, Prioritätsordnung und Ausführung völlig in eigener Kompetenz zu bestimmen“. Der Bundesrat habe im Schweizer System nicht zu führen, sondern nur zu koordinieren, fügte die Regierung bei. Als ob es nicht starke Regierungen in Bern gegeben hätte, die energisch und mit Autorität geführt hätten! Als ob Regierungen anderer Länder, die Regierungsprogramme vorlegen, nicht ebenso wie die schweizerische an das letzte Wort des Parlaments gebunden wären. Als ob das Führen nicht möglich wäre im Respekt vor den Grenzen, die ihm der Föderalismus und die direkte schweizerische Demokratie setzen. Und als ob — zu guter Letzt — nicht die schweizerische Bundesverfassung der Regierung einen solchen Bericht über den Zustand der Eidgenossenschaft und über die Maßnahmen, die der Bundesrat zur Lösung der aktuellen Probleme vorzuschlagen gedenkt, im Artikel 102 Ziffer 16 zur Pflicht machen würde. Diese Verpflichtung, die unter Anspielung auf die amerikanische State-of-the-Union-Botschafl des Präsidenten der USA mit dem Hinweis abgelehnt wurde, die Schweiz sei nicht Amerika, wurde denn auch nach dem „Njet“ des Bundesrates von liberalen, sozialdemokratischen und konservativen Blättern in Erinnerung gerufen, und die konservative St. Galler „Ostschweiz' war in der Lage, durch vergleichende Gegenüberstellung des schweizerischen und amerikanischen Verfassungstextes nachzuweisen, daß de] helvetische Verfassungsgeber dai Postulat aus der US-Verfassung fas im Wortlaut übernommen hat. Ei forderte also nicht mehr und nichi weniger als eine eigentliche State-of-the-Union-Botschaft.

Der Hinweis auf die Verfassunj hat seine Wirkung nicht verfehlt Heute, ein Jahr nach seinem Nein, ha der Bundesrat nicht nur zugesagl dem Geschäftsbericht den vorge-schriebenen Bericht über den inne-ren und äußeren Zustand der Natioi beizugeben und dem Parlament „diejenigen Maßregeln zu empfehlen welche er zu Beförderung gemeinsamer Wohlfahrt für dienlich erach tet“. Mehr noch: er hat dem jüngs veröffentlichten Geschäftsberich auch gleich eine erste politischi Lagebetrachtung beigegeben, de eine gute Aufnahme gefunden hal Bei dieser Kehrtwendung hat er siel wohl auch leiten lassen von der Not wendigkeit und dem Willen, mit den Budget künftig längerfristig! Finanzpläne vorzulegen. Finanzpia nung setzt ja ein Regierungskonzep und eine Dringlichkeitsordnung fü die Lösung der aktuellen Problem voraus. Ausgaben, Aufgaben und Re gierungskonzept sind — Regierungs system hin oder her — überall, aucl in Helvetien, ein Ganzes.

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