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Parlament nimmt Verwaltung an die Kandare

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Alle diese ungelösten, auf die Schweiz flutartig einstürmenden Probleme und Aufgaben lassen es nicht mehr zu, die Forderung nach einer Dringlichkeitsordnung der eidgenössischen Aufgaben, nach einem Regierungskonzept, aber auch nach einer Überprüfung des Regierungssystems beiseite zu schieben. Über Art und Ausmaß der Reform besteht allerdings noch keine Einigkeit. Am weitesten gediehen sind die verschärfte Kontrolle der Verwaltung und die Parlamentsreform. Ein Jahr nach der Flurbereinigung im Zusammenhang mit dem Mirage liegen bereits die bereinigten Anträge der in Arbeitsgemeinschaft tagenden Geschäftsprüfungskommissionen beider Kammern vor. Sie proponieren eine

Ausdehnung und Intensivierung der Parlamentskontrolle über die Verwaltung (wofür unter anderem Beamtenhearings vorgesehen werden) sowie die Schaffung einer verwaltungsunabhängigen Dokumentationsstelle für die Parlamentarier und die Fraktionen. Ihr Konzept scheint auf guten Wegen zu sein.

Am meisten zu diskutieren gibt im Zusammenhang mit der Anpassung der helvetischen Institutionen an die Erfordernisse des Atomzeitalters die Frage, ob und wie allenfalls die Bundesratsformel modifiziert werden soll. Seitdem alle vier großen Landesparteien an der Regierung beteiligt sind, fehlt es der helvetischen Innenpolitik nicht nur an einer belebenden Opposition, sondern es hat sich in der Regierung — im Bundesrat — unter den sieben „Landesvätern“ so etwas wie ein kollegialer Interessenproporz herausgebildet. Und zwar derart, daß man einander gegenseitig in den Ministerialdomä-tien (Departementen) schalten und walten läßt. Wohin dies in einem System, das die kollegiale Verantwortung des gesamten Regierungsgremiums und auch kein parlamentarisches Mißtrauensvotum kennt, führt, hat die Mirage-Affäre gezeigt. Sie hat erwiesen, daß das Kollegialsystem zur Fassade entartet ist, das nur noch dürftig die Ministerialherr-schaft drapiert.

So hat sich denn die Forderung nach einer Überprüfung der Regierungsformel im Parlament zu Motionen verdichtet, auf welche der Bundesrat kürzlich in eigener Sache eine eher deprimierende Antwort gegeben hat. Es war angeregt worden, zu prüfen, ob die seit 1848 unverändert gebliebene Zahl der unsinnig überlasteten und daher des Überblicks beraubten Bundesräte nicht von sieben auf neun, eventuell elf, erhöht werden sollte. Der Bundesrat hat dieses Postulat mit dem verstaubten Argument abgelehnt, die Geschlossenheit und (ohnehin zur Formel erstarrte) Kollegialität der Regierung müßte darunter leiden. Aber auch den Alternatiworschlag, zur Entlastung der Minister das Amt der Staatssekretäre einzuführen, lehnte er ab — offenbar aus Angst, nicht mehr alles und jedes selber machen zu können. Daß auch das angeregte Präsidialdepartement keine Gnade fand, überrascht nach alledem nicht mehr. Lediglich einen Kabinettschef (den er im Grunde genommen im Bundeskanzler bereits hat), konzediert der Bundesrat dem reformlustigen Parlament. Dieses wird sich damit aber vermutlich nicht abspeisen lassen und zeigt Lust, nun auch in dieser Frage das Heft selber in die Hand zu nehmen ... es sei denn, der Bundesrat besinne sich doch noch eines andern und mache gelegentlich eine Kehrtwendung, wie er sie jüngst in einer andern Strukturfrage gemacht hat, nämlich in der Frage, ob der Bundesrat dem Parlament so etwas wie ein Regierungsprogramm vorlegen soll.

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