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An den Rand geshrieben

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GESELLSCHAFTSPOLITIK, ERNST GENOMMEN. Wer in Österreich geduldig warten kann, erlebt manchmal angenehme Überraschungen. Zwei Wochen vor Weihnachten, also in einer Zeit, in der die Familienoberhäupter kinderreicher Familien besonders hellhörig werden, berichtete der Bundesminister für Finanzen bei einer Kundgebung des österreichischen Familienbundes über seine Pläne betreffend einer „gründlichen und familiengerechten" Steuerreform. Die Ausarbeitungen sollen mit Jahresbeginn unter Teilnahme von Vertretern der Familienverbände aufgenommen werden. Gedacht ist dabei sowohl an eine Überprüfung der Kinder- und Familienbeihilfen wie auch an eine Neubemessung des Ein- kommensteuertarifes. In beiden Fällen müsse der Familienstand besser als bisher berücksichtigt werden, und zwar vor allem die Belastung des alleinverdienenden Familienvaters durch den Unterhalt und die Erziehung der Kinder. Es sei klar, erklärte Minister Schmitz, daß die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerzahlers durch Familienlasten stark eingeschränkt werde, und es sei einer der ersten Grundsätze der Besteuerung, daß der einzelne nach seiner Leistungsfähigkeit zu besteuern ist. Der Minister scheint gewillt zu sein, Grundsätze wie diesen ernst zu nehmen. Das kommt vielleicht daher, daß er Grundsätze hat: Grundsätze auf dem Gebiet der Gesellschaftspolitik, ganz bestimmter Art. Und daß er über diese nicht nur spricht oder schreibt.

DIE KOALITION IN WIEN. Mit der Koalition in Wien gibt es allerhand Schwierigkeiten, aber diese unterscheiden sich grundsätzlich von den vergangenen Schwierigkeiten einer anderen Koalition, nämlich der auf Bundesebene. Hier handelte es sich vornehmlich darum, daß die eine Regierungshälfte koalitionsmüde geworden isf. In Wien ist die Lage anders. Hier hat die SPÖ die absolute Mehrheit. Und die ÖVP will nur die Berücksichtigung ihres Wahlerfolges vom 25. Oktober, den sie allerdings, wie dies die SPÖ-Stadfväter ins Treffen führen, nicht auf Kosten der letzteren errungen hatte. Tatsache ist, daß die harten Verhandlungspartner Drimmel und Slavik zu keiner Einigung gekommen sind, daß daraufhin die Verhandlungen zunächst vertagt wurden und dafj die 35 Gemeinderäte der ÖVP bei der Konstituierung des Gemeinderates für die Wiederwahl Franz Jonas’ zum Bürgermeister stimmten. Bei diesem Anlaß sprachen Jonas wie Drimmel über die Koalition; Jonas sprach mehr von der Geschichte, Drimmel mehr von der möglichen Zukunft. Er sprach ferner auch über das politische, geistige und menschliche Klima einer künftigen Weltstadt Wien und von einem neuen Humanismus, zu dem sich der Liberalismus, der christliche Humanismus und ein Humanismus sozialistischer Prägung verbinden sollten. An dieser Stelle und auch sonst applaudierten die sozialistischen Gemeinderäte mit. Es dauerte nicht mehr sehr lange, und die Koalitionsverhandlungen wurden abgeschlossen.

MIT MASSHALTUNG INS NEUE JAHR. Die Parfeiverfretung der SPÖ hat ihre Pläne für die nächsten Monate be- kannfgegeben. Der Parteitag wird für den 27. April einberufen. Da die Koalifionsverhandlungen in der Wohnungsfrage gar nicht vorwärts- gehen, haben die Sozialisten nun angedeutet, daß sie im nächsten Jahr weiferverhandeln würden. In der Rundfunkfrage berief sich das Kommunique auf das Konzept der Gewerkschaft, dem auch der Entwurf der Zeitungen nahesteht. Die Frage der Wahlrechtsreform wurde gleichsam nur am Rande erwähnt. Mit dem schon vor Monaten angekündigfen „Programm für Österreich” will der Parfeivorsifzende vor den Parteitag treten und damit die Einheit der Partei festigen. Vorläufig sieht das alles friedlich und kompromißbereit aus; die Vorschläge sind teils vernünftig, teils mehrdeutig, also noch nichtssagend. Im neuen Jahr wird man weilersehen.

DER TOD IN VERONA. 20.000 Südtiroler begleiteten Sepp Kersch- baumer aus Frangart auf seinem letzten Weg. Auch die gesamte Leitung der Südtiroler Volkspartei ging im Trauerzug mit. Die italienische Polizei sorgte für die Umleitung des Autoverkehrs. In den Grabreden wurde eines „großartigen Menschens voller Idealismus” gedacht, und man erinnerte sich dabei noch einmal der tadellosen Haltung dieses Mannes vor und während der endlos langen Prozeßtage und -Wochen; er hat alles zugegeben und sich mit patriotischen Motiven entschuldigen wollen. Der arme Kerschbaumer, apostrophierte ihn der Gerichtsvorsitzende. Nun ist der arme Kerschbaumer tot, aber im Gefängnis von Verona und anderswo leben noch viele andere verurteilte Südtiroler unter Verhältnissen, die der italienische Staat nicht länger dulden sollte. Den Schlußpunkt hinter dieser Kettenreaktion an menschlichem Leid und Unzulänglichkeit mögen aber jene Südtirolverhandlungen setzen, die Österreich nun wieder in Gang zu bringen versucht.

DER STAAT IST KEIN WASCHMITTEL. Außenminister Kreisky sprach vor sozialistischen Studenten darüber, was man im Ausland, seinen Erfahrungen nach, von Österreich hält. Man solle sich nicht einbilden, daß man auf Grund der Nachrichten über die Karajan-Affären in der Welt angenommen habe, Österreich sei eine kulturelle Großmacht. Aber man habe bemerkt, daß sich die innenpolitische Krise langsam dem Zustand einer Staatskrise nähere; daß es in Vorarlberg Krawalle gegeben habe und ähnliches mehr. Werbereklame helfe aber da wenig, weil Staat eben nicht wie ein Waschmittel angepriesen werden könne. Dr. Kreisky mahnte zur Ökonomie in der Auswahl der Methoden, wie man die öffentliche Meinung im Ausland anzusprechen habe. Die Meinungsmacher seien eben die Journalisten, die Fernsehreporter und die Politiker, allen voran aber die großen liberalen Zeitungen. Man sollte, meinte der Außenminister, ein Institut wie die „Pro- Helvetia"-Gesellschaft gründen . . . Wenn man die Worte des Ministers logisch weiferdenkt, kommt man allerdings nur nebenbei auf die Idee der Gründung eines Institutes, vielmehr aber zur Erkenntnis, daß das Ansehen Österreichs im Ausland die Folge dessen ist, was im Land tatsächlich vorgeht. Gewiß, die Skandalfälle und die instinktlosen Äußerungen einzelner übertönen die stille Arbeit in den Laboratorien, die Pflichterfüllung und die Leistungen Hunderttausender. Vielleicht wäre es also am zweckmäßigsten, wenn zuerst die Mandatare mit gutem Beispiel vorangingen.

PKK — EIN ERFOLG. Der Privatkleinkredit, eine Neueinführung der österreichischen Banken, ist ein unerwartet großer Erfolg geworden, meldete man dieser Tage. Seit dem Beginn der Aktion Mitte Juni bis Ende Oktober verteilten die Schalterbeamten unter den Kreditsuchenden 400 Millionen Schilling, und es zeigte sich dabei, daß im Durchschnitt die Kreditnehmer nicht den Höchstbefrag, der mit 15.000 Schilling festgesetzt worden war, sondern nur etwas weniger als 10.000 Schilling beansprucht haben. Die Ausfälle waren bisher verhältnismäßig selten, Mißbräuche kamen weit weniger vor, als es die Erfahrungen in anderen Ländern erwarten ließen. Kontrollmöglichkeifen waren durch eine neuerrichtete zentrale Schuldnerkartei gegeben. Ein Großteil, 25 Prozent, der Kredite wurde für Wohnung und Grundstück ausgegeben, 50 Prozent für Wohnungseinrichtung, nur der Rest für den Kauf von Autos, sonstigen privaten Zwecken — und erst ein Prozent für Reisen. 40 Prozent der Kunden waren Arbeiter, 25 Prozent Angestellte, 20 Prozent öffentlich Bedienstete. Ihnen allen haben nun die Banken eine gute Note ausgestellt.

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