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Gebt die Bahn frei!

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Gut Ding braucht Weile; und Weile haben die Vorbereitungen zur österreichischen Verwaltungsreform sicherlich gebraucht. Immerhin scheint die Festlegung eiiies Sofortprogramms zur Verwaltungsreform durch Beschluß des Wirtschaftsdirektoriums der Bundesregierung vom 25. September 1952 der Verwaltungsreform tatsächlich die Bahn freizugeben. Das Sofortprogramm beinhaltet Reformen der Personalverwaltung, eine Vereinheitlichung und Vereinfachung des öffentlichen Abgabewesens Reformen im Außen- handelsverk ehrsreg ime, in der Geweibe- verwaltung, bei Post und Bundesbahn. Mitgearbeitet haben an diesem Sofort- prögramm die drei Wirtschaftskammern, die Landesregierungen und eine Arbeitsgemeinschaft der Beamten selbst. Für den 15. Oktober dieses Jahres hat der Ministerrat eine ausführliche Beratung der Durchführungsmaßnahmen zu diesem Sofortprogramm in Aussicht genommen; insbesondere haben jetzt die einzelnen Bun- desministerien hiezu entsprechende Gesetzesvorschläge auszuarbeiten.

Aber noch so umfangreiche Detailarbeiten dürfen darüber nicht hinwegtäuschen, daß es für eine Verwaltungs- refprm auf lange Sicht ein Versäumnis, ja ein konstruktiver Fehler wäre, wollte sie sich sozusagen nur auf die äußere Zone beschränken, ohne nach jenen tiefer liegenden Wurzeln zu greifen, durch welche die Verwaltung mit dem gesamten öffentlichen Leben in Politik, Kultur und Wirtschaft verbunden ist. Dieser Zusammenhang ist so enge, daß sich eine erfolgssichere Verwaltungsreform da und dort geradezu zu einer strukturellen Änderung unseres öffentlichen Lebens ausweiten und Prinzipienfragen ins Rollen bringen sollte. Ist doch die Verwaltungshyper- throphie von heute mit allen ihren Auswirkungen nichts anderes als eine Folge jeher staatlichen Kompetenzaufblähung, des Heranwachsenlassens jenes Leviathans, vor dem kürzlich erst Papst Pius XII. in seiner Botschaft an den österreichischen Katholikentag gewarnt hat. Den Hintergrund jeder Verwaltungs- reform bildet letzten Endes die Alternative; Freiheit oder Verstaatlichung des Menschen; und der erste Schritt zur Ver- waltungsreform wäre ein Aufgabenstop für die Verwaltung, also eine Selbstbeschränkung der Gesetzgebung. Zumindest ist eine Einengung und Präzisierung der Verwaltungsmaterie für eine erfolgreiche Verwaltungsreform ebenso wichtig wie eine Reform der Verwaltungsorgane und des Verwaltungssystems. Gewiß, in der Kriegs- und Nachkriegszeit haben sich die Verwaltungsagenden zwangsläufig vermehrt (Verkehr mit den Besatzungsmächten, Marshall-Hilfe, Wiederaufbauangelegenheiten, Bewirtschaf- tungs- und Preisbildungssachen, Kriegsbeschädigtenfürsorge, Vermißtensuchdienst, Verwaltung des „Deutschen Eigentums" usw.); darüber hinausgehende Bestrebungen zur Kollektivisierung des Privat- und Wirtschaftslebens sollten sdion im Hinblick auf eine weitere Steige- ruig des Verwaltungsaufwandes vermieden werden. Schuf man früher Ge setze für die Ewigkeit, so erstickt man heute im Zeichen des Gruppenegoismus in Spezial-, Sonder- und Gelegenheitsgesetzen.

Nicht nur die Überzahl der Gesetze, sondern auch die Mängel unserer Gesetz- gebungsmascbinerie verlegen einer tiefer greifenden Verwaltungsreform die Bahn. Schon bei der Gesetzestextierung agieren heute an Stelle der traditionell geschulten Beamtenschaft die nicht ganz so spezialisierten Partei-, Kammer- und Gewerkschaftsfunktionäre; ganz abgesehen davon, daß infolge der generellen Personalveränderungen in den letzten Dezennien auch innerhalb der Ministerialbürokratie viel an guter Überlieferung verlorengegangen ist. Das Parlament selbst hat die mangelnde Präzision der Gesetzgebungsmaschinerie dadurch kritisiert, daß es seit 1945 rund ein Drittel aller Gesetze novelliert hat. Mangelhafte Gesetze aber erschweren und verteuern die Verwaltung. Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof können mit ihren Korrekturen kaum mehr nachkommen. Eine Fühlungnahme mit mit diesen Organen schon im Stadium der parlamentarischen Ausschußberatungen könnte viel Unheil verhindern. Die früheren Eingriffe wirtschaftsautonomer Interessenvertretungen in die Kompetenz der Bundesverwaltung wurden nur zögernd abgebaut; die Erklärung von Teilen des Außenhandelsverkehrsgesetzes als verfassungswidrig bildet hiezu noch einen Nachakzent. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß auf dem Gebiete der Verwaltungsmaterie auch eine durchgreifende Gesetzeskompilation einer Verwaltungsreform freiere Bahn schaffen kann, da letztere schwierig ist, solange man das geltende Recht aus 140 Jahrbänden der Gesetzessammlungen ableiten muß.

Das zweite Substrat einer Verwaltungsreform sind die Verwaltungsorgane, die Beamten. Die Sinnfälligkeit des Persönlichen verleitet hier zu Legendenbildungen; dieser vorzubeugen, seien einige Ziffern gegeben: Richtig ist, daß heute die Zahl der Bundesangestellten im weitesten Sinne (Pragmatisierte, Vertragsbedienstete einschließlich der Bundesbahnbeamten, Arbeiter, Pensionisten usw.) etwas über 456.000 beträgt. Doch hat sich die Zahl der Pragmatisierten einschließlich Bundesbahn seit 1938 trotz der oben aufgezählten Agendenvermehrung nur um 26.000 erhöht. Der prozentuelle Anteil der Hoheitsverjvaltung an den Staatsausgaben ist 1952 auf 62,1 gegenüber 72,4 im Jahre 1937 zurückgegangen. Die Kopfbelastung des Steuerzahlers für die Bundesbeamten ist unter Berücksichtigung der Kaufkraftänderung des Schillings von 278 S im Jahre 1937 auf 143 S im Jahre 1952 gesunken; ebenso ist der Anteil der Bundesbeamtenschaft am Nationaleinkommen im gleichen Zeitraum von 23 auf 11 Prozent heruntergegangen. Dadurch ist die Unterbezahlung der Bundesbeamten deutlich charakterisiert. Die Sicherung der Leistung durch eine entsprechende Bezahlung ist ebenso eine’Angelegenheit der Volksgesamtheit wie der Beamten selbst; real gesehen, wird sie allerdings nur nach einer entsprechenden Senkung der Stände durchzuführen sein, Daher bildet der seinerzeit von der Bundesregierung beschlossene 5prozentige Personalabstrich pro Jahr ebenso einen Eckpfeiler des Reformgebäudes wie das im Entwurf vorliegende Personalausgleichsgesetz, trotz aller Härten, die für den einzelnen in der Überführung in einen fremden Dienstbereich gelegen sind. Schließlich kann eine Verwaltungsreform auch die biologische Tatsache nicht übersehen, daß sich das Durchschnittsalter der Menschen und damit auch die Dauer ihrer geistigen Spannkraft erheblich verlängert hat; damit ist eine Hinausschiebung des Pensionierungstermines fällig geworden und damit wiederum die budgetär so erwünschte Verringerung der Pensionslasten.

Eine Verwaltungsreform wird neben quantitativen auch qualitative Maßnahmen am Beamtenkörper durchzuführen haben, insbesondere eine verstärkte Auslese nach der Befähigung, wie dies schon im einleitend erwähnten Sofortprogramm vorgesehen ist. Die Sicherung der Lebensstellung darf das Wettbewerbsmoment nicht einschränken; ebenso falsch wäre es, für Avancement -und Besetzung leitender Posten das Dienstalter zugrunde zu legen. In Amerika kennt man keine ,,Dienstjahre“. Jedenfalls kann ein allzu starkes Übergewicht des physischen Alters in der Verwaltung zu einem Hemmschuh werden. Zurückzudrängen wäre auch eine Auslese nach parteipolitischen Gesichtspunkten, zumal jene in den letzten Dezennien mit ihren Erdrutschen in der staatlichen Personalpolitik bereits üble Folgen gezeitigt hat. Fähigkeiten und Leistungen sollten der einzige Protektionsindex sein.

Neben Verwaltungsmaterial und Verwaltungsorganen ist auch das Verwaltungssystem reformbedürftig. Bei uns würde ein optimale Kompetenzverteilung allerdings schon eine Revision so mancher Verfassungsbestimmungen voraussetzen. Behördenmäßig wird eine Kompetenzverlagerung nach unten anzustreben sein, zum Teil auch eine Kompetenzabgabe vom Bund an wirtschaftsautonome Organe. Auch innerhalb der einzelnen Behörden wäre an eine Zuständigkeitsverlagerung nach unten von den Sektions- und Abteilungsleitern zu den Dezernenten und Referenten zu denken. Ebenso wären die Geschäfts- und Kanzleiordnungen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Dies alles unbeschadet der Zusammenfassung und Kontrolle durch die Spitze, da nur so Doppelgeleisigkeit und Gegeneinanderwirken verhindert werden kann. Mehr als bisher müßte im Geschäftsgang die Initiative und Selbstverantwortung des einzelnen Beamten bestärkt werden. Heute krankt der Geschäftsgang vor allem an der „Sozialisierung der Verantwortung", die sich in der Lust, die eigene Entscheidung anderen Dienststellen zur Einsicht vorzuschreiben, sich durch Kommissionsbeschlüsse oder -empfehlungen decken zu lassen und auf alle Fälle einen Instanzenzug offen zu halten, äußert. Die „Com- missionitis" ertötet die Initiative ebenso wie ab und zu die Arbeitsmethode der Kontrollinstanzen für die Verrechnung; in diesem Zusammenhänge erscheint auch der von maßgebender parlamentarischer

Seite erhobene Ruf, nach Novellierung des Rechnungshofgesetzes verständlich. — Ein Zuviel an Initiative wird allerdings dann zum Übel, wenn Geltungswünsche im Spiele scheinen und, wie es Vorkommen kann, die Person eines Beamten, der in einem sensationellen Falle nicht mehr und nicht weniger seine Pflicht tut wie seine Kollegen in weniger Augenfälligem, ins Rampenlicht gerückt wird. Es gilt dies auch für manche polizeiliche Amtshandlungen, deren Untersuchungsergebnis ausschließlich dem Untersuchungsrichter gehört. Hier erwächst der Verwaltungsreform die Spezialaufgabe, das Untersuchungsverfahren zu neutralisieren, da es auch peinlich wirkt, wenn etwa eine großaufgemachte Anschuldigung in sich zusammenbricht. Denn damit wäre der Justiz und ihrer sachlichen Pflege ein schlechter Dienst erwiesen.

Daß eine Verwaltungsreform sich durch ein Gestrüpp parteipolitischer und bürokratischer Hemmnisse und nicht zuletzt zentralistischer oder föderalistischer Überspannungen wird durchringen müssen, liegt klar zutage. Trotzdem wird man um eine deutlichere Abgrenzung der Zuständigkeiten und Aufgabenbereiche der einzelnen Ministerien und sonstigen Verwaltungsstellen nicht herumkommen; deutlich ist auch die Notwendigkeit, den Beschluß des Wirtschaftsdirektoriums der Bundesregierung vom 10. Dezember 1951 endlich durchzuführen, demzufolge einzelne Bundesbetriebe, besonders die Bundesbahnen, in eigene Wirtschaftskörper umzuwandeln sind. Die hier aufgezeigten Mängel sind übrigens weniger dem Bürokratismus als dem politischen Proporzsystem zuzuschreiben. Es ist auf die Dauer nicht zu verantworten, wenn die Bauagenden auf der Ministerebene auf vier verschiedene Ressorts aufgespalten sind; wenn trotz der ausschließlichen Kompetenz des Handelsressorts für die Handelspolitik in Gewerbe und Industrie auch ein anderes Ressort eine eigene wirtschaftspolitische Abteilung amtieren läßt; wenn sich ein Ministerium ein eigenes Finanzamt halten könnte, wozu mit der Einhebung des Wohnbauschillings durch die Krankenkassen ein Anfang gemacht wurde.

Die Verwaltungsreform kann nur von einer energischen Hand durchgeführt werden. Vielleicht käme man in vielen, budgetär wichtigen Belangen um das

Prinzip der MinisteWerantwortlichkeit dadurch herum, daß das Finanzressort, gestützt durch Beschlüsse der Bundesregierung, für einzelne Ressorts Streichungen vornimmt, die dann automatisch gewisse Reduktionen auslösen müßten. Sicher ist, daß eine Verwaltungsreform ohne aktivste Mitwirkung der Beamtenschaft nicht durchgeführt werden kann; daß die bereits bestellten Ersparungskommissäre mit erhöhten Vollmachten ausgestattet werden müßten; daß schließlich die notwendige Koordinierung ihrer Arbeit die Einrichtung einer, wenn auch in ihrer Wirksamkeit zeitlich beschränkten Behörde notwendig macht. Dies ist nicht zu vermeiden, mögen auch manche darüber scherzen, daß die Verwaltungsreform mit der Errichtung einer neuen Dienststelle beginne. Die Beiordnung von staats- männisch denkenden Männern aus der Wirtschaft zu jener Aktion wird sich schon deshalb empfehlen, da auch reformfreudige Beamte einer gewissen „Betriebsblindheit11 unterliegen können. Im Erfolg gesichert aber kann die Verwaltungsreform nur dann sein, wenn bei ihr alle Schlagworte ungehört verhallen.

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