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Wasser in den Wein

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Das Vorjahr, aber auch die ersten Monate des neuen Jahres brachten Maßnahmen, die eine entscheidende Abkehr Prags vom Zentralismus, vor allem auf dem wirtschaftlichen Sektor zeigen, auch wenn man sich beeilt, zu erklären, wie dies etwa der Beschluß des Zentralkomitees der KPC vom 25. Februar 1958 tut, daß „der Umbau der Organisation und der Leitung ein bedeutsamer Schritt in der Verwirklichung der Grundsätze des demokratischen Zentralismus ist“.

Im Verlauf der letzten Jahrzehnte schwankten die Tschechen immer wieder zwischen zentralistischen, dezentralistischen, ab und zu auch föderalistischen Bestrebungen.

Dieses Lavieren war an sich nicht zufällig. Gewiß hatte man Stalins Theorie vom „demokratischen Zentralismus“, aber wichtiger als das war der Erfolg oder die Vermeidung eines Mißerfolges. Vor allem gegenüber der Slowakei wrTdlEe'Tnan“äb%echselnd,iaefellfr zentralistische Maßnahmen an, ganz so, wie dies im Augenblick opportun schien. Die tschechische Anpassungsfähigkeit zeigte sich neuerlich, als das Unbehagen mit dem Zentralismus auf dem Gebiet der Verwaltung übergroß wurde und sich die Katastrophe der stark zentralistisch ausgerichteten verstaatlichten Industrie bereits unmißverständlich abzeichnete. Man wartete auch nicht erst die Moskauer Weisung ab; immerhin bildete der XX. Moskauer und der darauffolgende Prager Parteitag der KP die Basis, in aller Offenheit von einem starren Zentralismus abzurücken. Das erste Fiasko eines schematischen, nicht anpassungsfähigen Zentralismus hatte man eigentlich schon vor zehn Jahren, unmittelbar nach der kommunistischen Machtübernahme, damals allerdings auf sozialpolitischem Gebiet, erlebt: das Gesetz über die Volksversicherung, eines der am meisten gerühmten Gesetze, das eine Zusammenlegung aller vorhandenen Versicherungsgesellschaften brachte, mußte sehr bald in wesentlichen Bestimmungen geändert werden: die Krankenversicherung wurde nach allen Regeln der Kunst ausgenützt, für längst Verstorbene wurden Rentenanträge gemacht — Prag mit seinen Zentralinstituten war ja so weit!

Der Zentralismus in der Verwaltung schmerzte wohl die „kleinen Leute“, störte aber die Führung wenig, so daß sich hier am wenigsten änderte. Lediglich auf einem Teilgebiet hakte man ein: aus den aufgeblähten Ministerien und Behördenzentralen suchte man soviel als möglich Menschen „auszukämmen“ — immer wieder wiederholte, im großen und ganzen aber gescheiterte Experimente, da die Angestellten der Zentralstellen genügend Erfahrungen und Beziehungen hatten, um zumindest in einer niedrigeren Verwaltungsstelle, keinesfalls aber in der „Produktion“, zu landen.

Dort aber, wo man einhaken mußte, um eine Katastrophe zu vermeiden, in der Wirtschaft, machte man auf dem Wege der Dezentralisierung gleich mehrere Schritte - allerdings auch hier offen erklärend, wie dies etwa kürzlich der tschechische Ministerpräsident Siroky tat, daß man „noch immer bei der ersten Stufe der Dezentralisierung stehengeblieben sei, daß es zu keiner Oekonomisierung des Staatsapparates, aber auch nicht zu einer Ueberführung vo Administrativkräften in die Produktion gekommen sei“.

Immerhin schlug der tschechische Ministerpräsident sehr einschneidende, oft allerdings auch Maßnahmen vor, die nur den einstigen Zustand wiederherstellten, so etwa den Umbau der (sehr zahlreichen) Ministerien in kleine, aber tatsächliche Führungsorgane. Die Arbeit und Entscheidungsbefugnis der einzelnen Abteilungen der Ministerien soll soweit als möglich auf die Kreis- und Bezirksnationalausschüsse übergehen, dabei soll der Schwerpunkt immer mehr auf die mittleren und unteren Verwaltungsstellen übergeleitet werden. Erfolge seien vorerst nur beim Energieministerium, Brennstoffministerium und beim Ministerium für Lebensmittelindustrie festzustellen. Vor allem habe auch eine Ausweitung der Machtvollkommenheit der Stellvertretenden Minister, der Abteilungsleiter — verbunden natürlich mit einer erhöhten Verantwortung —, schließlich aber das Abrücken vom System, daß alles der Minister unterschreiben müsse, die ersten Erfolge gezeigt.

Die neuen Beschlüsse des Zentralkomitees vom Februar, die am 1. April 195 8 in Kraft treten, grenzen ' tfbch 'Wehr die Atffgähen'r Ministerien“ und' der einzelnen Industriebetriebe ab: die Perspektivpläne für die Entfaltung der Volkswirtschaft, die sich auf 10 bis 15 Jahre erstrecken, aber auch die Gestaltung der Fünfjahrespläne, daneben die Festlegung der langfristigen Anteile an Gewinn und Abschreibungen, die Genehmigung außerbetrieblicher Mittel für Investitionen, schließlich die grundsätzlichen Fragen der Lohnpolitik werden nach wie vor Aufgabe der Ministerien bleiben; die Jahrespläne aber, die die Fünfjahrpläne konkretisieren, werden nun Aufgabe der Betriebe. Das Entscheidende aber ist nicht, daß die Betriebe gewisse, wenn auch eng begrenzte Planungsaufgaben erhalten, man gibt ihnen auch auf finanziellem Gebiet zum Teil freie Hand. Ministerpräsident Siroky formuliert dies wohl zurückhaltend, doch so, daß man deutlich ersieht, daß auf die Privatinitiative nicht mehr verzichtet werden kann: „Auf finanziellem Gebiet sichern die neuen Maßnahmen vor allem den Grundsatz, daß die Unternehmen ihre eigene finanzielle Grundlage, und zwar aus dem Anteil von Gewinn und den Abschreibungen erhalten werden, die es ihnen ermöglichen wird, über einen Teil der Investitionen des Unternehmens, über den Umfang der Generalreparaturen, über den Umfang der eigenen Umlaufmittel usw. selbständig zu entscheiden. Das wird den Unternehmen die Sicherheit geben, daß, je besser sie die erhöhte Selbständigkeit und Verantwortung nutzen, um so höher der Umfang der eigenen Finanzquellen ihres Unternehmens, um so größer die Möglichkeit, weiter zu investieren, die Produktion zu erweitern, die Produktivität zu erhöhen sein wird. Um so rascher werden auch die Einkünfte der Werktätigen wachsen.“

Noch immer klammert man sich an die Doktrin des „demokratischen Zentralismus“ (auch die neueste Ausgabe der Großen Sowjet-Enzyklopädie spricht von ihm als der „von Lenin und Stalin ausgearbeiteten organisatorischen Grundlage“ und dem „Leitprinzip des organisatorischen Aufbaues der KP, der Organe der Staatsmacht und der gesellschaftlichen Organisation der Werktätigen“), beschwört, daß er erst jetzt so ganz richtig verwirklicht werde; wie unübersehbar zeigen sich uns aber heute die Parallelen zum naturrechtlichen Begriff der Subsidiarität, nicht zuletzt etwa in der grundsätzlichen Erklärung der gesamtstaatlichen Konferenz der tschechoslowakischen KP vom Vorjahr, in der es heißt: „Die Konferenz hat die t, Tatsachen unterstrichen, daß, die Yerla8eruJ1S jder Kompetenz auf untergeordnete Orgähe verstanden wird als ein System, das die VorausSetzungen schafft für eine grundlegende Aende-rung des Stils und der Methoden der Arbeit des ganzen Staats- und Wirtjchaftsapparates als grundsätzliche Voraussetzung für die Entfaltung von Initiative und Selbständigkeit, aber auch einer neuen, höheren Verantwortung für die unteren Instanzen und Organe als dauernder Weg zur Ausweitung von Erfahrungen und Be-ga\g*.jftf&$Uen der arbeitenden., Bevölkerung im Interesse .des sozialistischen lAufhaues.“

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