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Das Baugesetz des Bundesstaates

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Romano Guardini nennt das Problem der Macht das Kernproblem unserer Zeit, von dessen Lösung alles, nicht nur Wohlfahrt und Not, sondern Leben oder Untergang abhängen wird. Nicht die Steigerung, sondern die Bändigung der Macht, ihr rechter Gebrauch sei das Problem. Der Mensch habe im Laufe der letzten hundert Jahre ein Maß von Macht entwickelt, das über alles vorher zu Ahnende hinausgeht. Diese Macht habe sich weithin objektiviert. Die Sorge fragt, ob der Mensch fähig sei, das alles so zu bewältigen, daß er in Ehren bestehen, fruchtbar sein und Freude haben könne.

In dieser Gefahrenlage, die die Machtzunahme bedeutet, kommt der Frage der gesunden Machtverteilung als Ausgleich und Balance besondere Bedeutung zu.

Vor allem handelt es sich um die D e- Zentralisation der staatlichen Macht, die durch die Entwicklung zum Wohlfahrts- und Wirtschaftsstaat ein früher nicht gekanntes Ausmaß erreicht hat. Die Autonomie der Gemeinden und Länder erscheint in diesem Zusammenhang nur einem mechanistischen Denken überholt, schwerfällig und unmodern, in Wahrheit ist sie ein gesundes und wirksames Gegengewicht gegen den übermäßigen und übermächtigen Zentralismus.

Ebenso wichtig ist die Dezentralisation in der Wirtschaft, also die Stützung der Klein- und Mittelbetriebe, die noch im Bauerntum und Handwerk am meisten den natürlichen Rhythmus bewahren konnten und als tragende Bestandteile eines gesunden Mittelstandes am Leben erhalten werden müssen. Wo die Größe des Industriebetriebes die organischen Bindungen zu sprengen droht, verdienen diejenigen Lebensformen bzw. Einrichtungen wirksamste Unterstützung, die der Auflösung entgegenwirken: die Familie als wichtigste, natürliche Gemeinschaft, das Eigentum, das das Korrelat der Freiheit ist, und die innere und fachliche Beteiligung des Arbeiters an der Produktionsaufgabe, die erst seine wahre Gleichberechtigung schafft.

So ist es vorerst einmal ein w e 11- anschaulicher Aspekt, der der Frage der Machtverteilung und damit unserer Frage des richtigen föderalistischen Aufbaues zugrunde liegt.

Der Schweizer Professor Röpke drückt diese Zusammenhänge sehr anschaulich aus:

„Das föderative Prinzip“ — so sagt er — „kennt keine bloße Verwaltungstechnik, sondern wurzelt in einer bestimmten Lebensanschauung. Es bedeutet Traditions- und Heimatgefühl, aber doch auch das genaue Gegenteil von Provinzialismus, da es ja gerade das AEsinken der Gebietsteile zu bloßen Provinzen verhindert und damit das Gegenteil des Zentralismus bewirkt. Es bedeutet einen Zusammenhang des Ganzen, das seinen natürlichen Weg über die Teile nimmt, eine innere Verbundenheit mit denen, in deren Mitte und mit deren Sprache und Gebräuchen wir aufgewachsen sind, bei gleichzeitiger Achtung vor den anderen, mit denen wir uns auf der jeweils höheren Ebene der uns gemeinsam zu lösenden Aufgaben verbunden wissen. Föderalismus kann nur eine Stufenleiter von Gemeinschaften sein, von denen die kleine und daher auch menschlichere die höhere und daher gebrechlichere und einer solchen Stütze von unten her bedürfende Gemeinschaft trägt: Familie, Beruf, Kirche und Nachbarschaft die Gemeinde, die Gemeinde den Gliedstaat, der Gliedstaat den Bund, die Nationalstaaten die internationale Gemeinschaft.“

Wer die eigenen Lebenserfahrungen überdenkt und aus ihnen lernt und dabei weder vor eigenen noch vor fremden Fehlern die Augen schließt, weiß, daß Föderalismus auch aus einem weiteren Gesichtspunkt heraus wichtig ist; weil er nämlich die Voraussetzung jeder echten Demokratie ist. Zentralismus dirigiert das Gemeinschaftsleben mit Weisungen von oben, macht alle Untergliederungen zu mechanischen Befehlsempfängern und erstickt Eigenleben und Selbstverantwortung. Nur durch die Erhaltung von eigenverantwortlichen, natürlichen Untergliederungen bleibt das Gesetz der Selbstverwaltung als lebendiges Prinzip bestehen. Seipel sagt hierzu mit Recht: „Ohne wahre Selbstverwaltung oder wenigstens ohne beharrliches Streben nach ihr wird es niemals und nirgends eine Demokratie geben, die diesen Namen verdient.“

Nach diesen allgemeinen grundsätzlichen Ueberlegungen wollen wir nun ein Teilgebiet herausgreifen und prüfen, inwieweit und wo das föderalistische Baugesetz unseres Staates zuungunsten der Länder verändert wurde und auf welche Weise die wünschenswerte Korrektur erreicht werden könnte.

Die Verfassung regelt Umfang und Abgrenzung der Aufgaben von Bund, Ländern und Gemeinden, der Finanzausgleich schafft den gesetzlichen Anspruch, daß die Gebietskörperschaften das bekommen, was sie zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben benötigen.

Diese Regelung erscheint auf den ersten Blick hin lückenlos; sie ist es aber nicht. Denn was Aufgabe des Bundes einerseits und der Länder anderseits ist, ist nur für den Bereich der Staatshoheit in der Verfassung mehr oder minder deutlich — wenn auch nicht inhaltlich immer glücklich — abgegrenzt. In der Verfassung wird also gesagt, in welchen Angelegenheiten dem Bund und in welchen den Ländern die Gesetzgebung obliegt sowie in welchen Angelegenheiten der Bund die Gesetze vollzieht und in welchen die Länder die Gesetze vollziehen.

Welche Aufgaben aber der Bund einerseits und die Länder anderseits auf dem Gebiet der sogenannten Privatrechtsverwaltung Wohlfahrts- und Wirtschafts Verwaltung haben, ist in der Verfassung nicht gesagt. Diese Aufgaben gewinnen um so größere Bedeutung, je mehr der Gesetzesstaat zum Wohlfahrtsstaat wird, je mehr der Staat seine Politik nicht nur mit dem Gewicht der Gesetze, also mit dem Gewicht seiner Staatshoheit, sondern in steigendem Maße mit dem Gewicht seiner finanziellen Macht durchsetzt. Das ist nicht nur in Oesterreich so. In Oesterreich besteht aber „Der Staat“ aus dem Bund und den Ländern. Die Staatsgewalt, und zwar sowohl die gesetzgebende als auch die vollziehende, ist auf Bund und Länder verteilt. Nicht verteilt aber ist die Zuständigkeit zur Besorgung jener öffentlichen Aufgaben, zu deren Durchführung das Mittel der Staatsgewalt nicht gebraucht wird. Ohne Rücksicht auf die hoheitliche Kompetenzabgrenzung werden diese Angelegenheiten im Bereiche der Hoheitsverwaltung sowohl vom Bund als auch von den Ländern und von den öffentlich-rechtlichen Körperschaften je nach der Situation miteinander, nebeneinander oder aber vielleicht auch gar nicht wahrgenommen.

Der Finanzausgleich hat daher bei näherem Hinsehen nicht nur weiche Stellen, er hat ein riesiges Loch. Dieses Loch kann vom Bund kraft seiner die Länder weit überragenden zusammengefaßten finanziellen Macht nach seinem Bedarf so placiert werden, daß dadurch verwundbare Stellen nicht beim Bund, sondern bei den Ländern entstehen. Der Bund macht einfach auf dem kalten Wege des Budgets jene öffentlichen Aufgaben, in denen er seine Politik machen will, zu Bundesaufgaben und sichert sich zu ihrer Durchführung den entsprechenden Anteil am Kuchen des Finanzausgleiches. Er nimmt dann die so beanspruchten Aufgaben dadurch wahr, daß er Gnaden in Form von Subventionen aller und weitester Art austeilt und damit Abhängigkeiten schafft, die ihm das Durchsetzen seiner Politik ermöglichen. Die Länder können auf diesem Wege auch in jenen Angelegenheiten in ein vollständiges Abhängigkeitsverhältnis zum Bund gebracht werden, in denen ihnen eine Kompetenz zur Gesetzgebung und Vollziehung im eigenen Wirkungskreis zusteht. Der Bund kann z. B. mit dem Zudrehen der Subventionen für den Fremdenverkehr, für die Theater, für das Volksbildungswesen, für den Sport, für die landwirtschaftlichen Meliorationen, für die sozialen Einrichtungen der Landarbeiter und dergleichen drohen alles Angelegenheiten, in denen dem Land die Gesetzgebung und die Vollziehung zusteht, wenn es das Land wagen sollte, etwa eine Politik zu verfolgen, die dem Bund nicht genehm ist.

Umgekehrt verlangt der Bund aber auch in Angelegenheiten, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind, eine finanzielle Beteiligung der Länder, d. h. er nimmt den Ländern von dem, was er ihnen im Zuge des Finanzausgleiches zukommen ließ, wieder etwas weg. Mittelschulangelegenheiten z. B. sind in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Trotzdem verlangt der Bund, daß das Land und auch die in Frage kommende Gemeinde enorme Baukostenzuschüsse zum Neubau von Mittelschulgebäuden leisten, und weist auf das Land und die Gemeinde als Sündenböcke hin, wenn ein Gebäude nicht gebaut wird, weil Land bzw. Gemeinde nicht zahlen können.

Andere Ministerien drohen mit der Verlegung einer Dienststelle, wenn nicht gewisse „freiwillige“ Leistungen des Landes zugestanden werden.

Nicht nur aus den umschriebenen Gründen, sondern auch wegen der unökonomischen Kompliziertheit dieser Situation — manche Subventionsprojekte werden von zwei oder drei Gebietskörperschaften, Bund, Land und Gemeinde gleichzeitig behandelt — hat der oberösterreichische Landtag schon im Dezember 1952 in einer Resolution die Abgrenzung dieser Zuständigkeiten im Sinne der Verwaltungsvereinfachung verlangt. Die Bundesregierung hat leider bisher auf diese Forderung des oberösterreichischen Landtages, der sich auch die Landtage mehrerer Bundesländer angeschlossen haben, noch nichts verlauten lassen.

Föderalismus ist nicht Parti- kularismus. Die Länder sind gerne bereit, auch auf dem Gebiet der Hoheitsverwaltung dem Bund jene Kompetenzen einzuräumen, die notwendigerweise nur zentral wahrgenommen werden können. Es ist selbstverständlich, daß ein extremer Föderalismus, der übersähe, daß die moderne Entwicklung von Wissenschaft und Technik gewisse Probleme aufstellt, die nur durch Zusammenarbeit gelöst werden können, kein Heil bedeuten würde. Hier wäre wohl in erster Linie an alle jene Angelegenheiten zu denken, die Wirtschaftsplanung oder -lenkung zum Inhalt haben. Umgekehrt soll der Bund nicht an Zuständigkeiten festhalten, und er soll auch nicht zentrale Zuständigkeiten neu schaffen in jenen Angelegenheiten, die ihrer Natur nach besser dezentralisiert geregelt und durchgeführt werden können. Um nur eines aus einer Reihe von aktuellen Beispielen zu nennen: Es ist nicht einzusehen, warum das Volksbildungswesen zur Bundessache gemacht werden soll. Gerade die vielfältigen Bestrebungen zur Hebung des Bildungsniveaus der Erwachsenen und zur Vermittlung einwandfreien Kulturgutes sind natürlich auf die Verhältnisse des betreffenden Landes zugeschnitten. Der Bund soll überhaupt in allen kulturellen Angelegenheiten der Ländervielfalt Rechnung tragen, daß z. B. der Rundfunk mehr eine technische als eine kulturelle Einrichtung ist, kann man doch nicht im Ernst behaupten. Daher ist mit Recht die Zuständigkeit der Länder hinsichtlich der Programmgestaltung gegeben. Natürlich muß die technische Planung einheitlich nach einem gemeinsamen Konzept vorgenommen werden, deshalb muß aber nicht die gesamte Kultureinrichtung zentral dirigiert werden.

Nur einige wenige Beispiele wurden aus einer Fülle von Tatsachen herausgegriffen, die die große Sorge rechtfertigen, daß das Eigenleben der Länder zusehends und in zunehmendem Tempo zum Verdorren gebracht wird. Die Lage ist deshalb besonders bedrohlich, weil auf den verschiedensten Lebensgebieten die Zeritralverwaltungsmaschine in sehen aber auch die Möglichkeiten, sie zu beheben. Es wäre dabei ein großes Mißverständnis, zu glauben, die Verteidigung des Föderalismus wäre die Angelegenheit einer Partei. Sie ist das Anliegen aller Parteien, und soweit sie in den Landesregierungen ihre Vertreter haben, müssen wir feststellen, daß dort die Verteidigung der Länderrechte immer gemeinsam vorgenommen wird. Es wäre auch ein Irrtum, zu glauben, daß die Wahrnehmung der Länderrechte eine Frontstellung gegen den Bund bedeutet. Die Länder wissen sehr wohl, daß weder Bund noch Länder einzeln den Staat bedeuten, sondern daß nur beide zusammen die politische und geistige Einheit des österreichischen Staates tragen und erhalten können. Allerdings bildet die wichtigste Voraussetzung für diese Einheit die Erhaltung des rechten Gleichgewichtes im Verhältnis zwischen dem Bundesstaat und seinen einzelnen Ländern. Darum soll das Eigenleben der Bundesländer aus Gründen des Rechtes, der Vernunft und des Herzens nicht unnötig beengt werden, damit der gesunde Boden erhalten bleibt, in dem letzten Endes der gesamte Staat und seine Führung wurzeln.

der Zweiten Republik gegenüber der Ersten apifityladn und Einfluß zugenommen hat.

Welche Abhängigkeiten bewirken z. B. die vierstaatlichten Betriebe nicht nur als Arbeitgeber auf die dort Beschäftigten, sondern auch als Auftrag geber mit dem übermächtigen staatlichen Schwergewicht im Hintergrund.

.Welche Abhängigkeiten ergeben sich aus der Zentralisierung unserer Energiewirtschaft, dįe über den Vertretbaren Rahmen ihrer zweckmäßigen Aufgaben hinaus eine Monopolstellung in der Energieerzeugung anstrebt und den Landesgesellschaften die Rolle von bloßen Verkaufsfilialen zuweisen möchte mit der schwerwiegenden Folge der Ausschaltung des im Interesse der Abnehmer so notwendigen Wettbewerbes.

Welche Abhängigkeiten ergeben sich aus einer Wohnbaupolitik, bei der die öffentliche Hand in zunehmendem. Maße Hauseigentümer und Wöhnungs'vermieter wird.

Welche Abhängigkeiten schafft für Versicherte und Aerzte eine Sozialversicherung, wenn sie sich nicht so sehr als Dienerin am großen Werk der Gesunderhaltung des Volkes, sondern mehr als Beherrscherin der in ihrem Dienst stehenden Fachleute aufspielt, deren medizinische Rezepte sozusagen durch bürokratische Verordnungen des Apparats ersetzt werden.

In diesem beängstigenden Rahmen, in dem sich die zunehmende Abhängigkeit des Menschen in allen seinen Lebensbeziehungen spiegelt, gewinnt der Kampf um die Erhaltung der kleineren Gemeinschaften seine besondere Bedeutung. Aus diesem Grund können wir nur davor warnen, daß der Bund immer wieder ein Stüde von der ohnehin schon recht schmalen Kompetenz der Länder wegnimmt. Einige Lücken in der Verfassung bieten ihřn hierzu leider die Mög-, lichkeit. Der Bund kann z. B. nach der jetzigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes jede Angelegenheit, in der die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt, durch Bundesgesetz regeln, wenn er nur die Vollziehung des Gesetzes einem Gericht ■— statt einer Verwaltungsbehörde — überträgt. Er kann aber auch einfach durch Bundesgesetz einen Fonds schaffen und diesem Fonds Aufgaben übertragen, die nach der Verfassung Landesaufgaben sind. Dieser letztere Vorgang ist zwar nach Ansicht des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes ein Mißbrauch der einschlägigen Verfassüngs-bestimmung, der aber — infolge der üblichen bloß formalen Auslegung der Verfassung — durch den Verfassungsgerichtshof nicht behoben, werden kann. Daß diese Löcher in der Verfassung, die eine weitere Schmälerung der Länderkompefenzen durch einfaches Bundesgesetz ermöglichen, geschlossen werden und daß der Bund nicht immer wieder darüber hinaus die Verfassung zuungunsten der Länder ändert, ist eine berechtigte Forderung.

So sehen wir also eine Reihe von Gefahren, die nicht leichtgenommen werden sollen, wir

sehen aber auch die Möglichkeiten, sie zu beheben. Es wäre dabei ein großes Mißverständnis, zu glauben, die Verteidigung des Föderalismus wäre die Angelegenheit einer Partei. Sie ist das Anliegen aller Parteien, und soweit sie in den Landesregierungen ihre Vertreter haben, müssen wir feststellen, daß dort die Verteidigung der Länderrechte immer gemeinsam vorgenommen wird. Es

wäre auch ein Irrtum, zu glauben, daß die Wahrnehmung der Länderrechte eine Frontstellung gegen den Bund bedeutet. Die Länder wissen sehr wohl, daß weder Bund noch Länder einzeln den Staat bedeuten, sondern daß nur beide zusammen die politische und geistige Einheit des österreichischen Staates tragen und erhalten können. Allerdings bildet die wichtigste Voraussetzung für

diese Einheit die Erhaltung des rechten Gleichgewichtes im Verhältnis zwischen dem Bundesstaat und seinen einzelnen Ländern. Darum soll das Eigenleben der Bundesländer aus Gründen des Rechtes, der Vernunft und des Herzens nicht unnötig beengt werden, damit der gesunde Boden erhalten bleibt, in dem letzten Endes der gesamte Staat und seine Führung wurzeln.

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