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Eine Antwort auf den überforderten Staat,

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Das Subsidiaritätsprinzip, nach dem der Staat nur jene Aufgaben übernehmen soll, welche nicht besser von den kleineren Gemeinschaften und den einzelnen besorgt werden können, wird heute für eine Gesellschaftspolitik immer entscheidender, die Grenzen gegenüber einer immer weiteren Staatsexpansion setzen will. Johannes Messner hat drei Kriterien herausgestellt, um zu beurteilen, wieweit der Zustand einer Gesellschaft dem Subsidiaritätsprinzip entspricht: Einmal sei ein Sozialsystem um so vollkommener, je ungehinderter die einzelnen Menschen die Verfolgung ihrer eigenen Interessen durchführen können, aber gleichzeitig durch geeignete Institutionen gehalten sind, dabei auch dem Gemeinwohl zu dienen. Ein zweites Kriterium bestehe im Ausmaß der Dezentralisierung und der tatsächlichen Selbstverwaltung der kleineren Gemeinschaften. Schließlich käme es drittens auf die Sparsamkeit des unmittelbaren staatlichen Eingriffes an.

Für eine Gesellschaftspolitik, die sich an diesen drei Kriterien orientiert, lassen sich etwa folgende Schwerpunkte herausstellen: Zunächst die Eigentumspolitik. Auch heute noch - und vielleicht heute in besonderem Ausmaß - ist das Privateigentum eine wichtige institutionelle Garantie gegen eine immer weiter reichende Kompetenz des Staates. Eine Eigentumspolitik, die sich um eine Erweiterung des effektiven Freiheitsbereiches der einzelnen und der Familien bemüht, wird vor allem beim Eigentum in der Wohnungswirtschaft ansetzen müssen. Es gibt bestimmte Stufen der Eigentumspolitik: Der gegenwärtige Entwicklungsstand unserer Volkswirtschaft und unserer sozialen Verhältnisse rückt das Eigentum in der Wohnungswirtschaft, insbesondere von Eigenheimen und Eigentumswohnungen, besonders in den Vordergrund; es steht außer Zweifel, daß das Interesse an solchen Eigentumsformen immer weiter vordringt.

In einer weiteren Phase wird die Eigentumspolitik sicher in der Förderung neuer Eigentumsformen größere Aufgaben bekommen. Im übrigen gilt gerade für das Produktionsmitteleigentum, daß neben der Funktion der Substanzerhaltung immer wichtiger eine Funktion der Verantwortungszurechnung im Unternehmen wird, die dem Privateigentum zukommt. An sich vermittelt heute schon in Österreich die überwiegend klein- und mittelbetriebliche Produktionsstruktur eine breite Eigentumsstreuung im Produktionmittelsektor; sicher kann diese noch mit der Zeit verstärkt werden.

Mit der Eigentumspolitik eng zusammen hängt die Investitionsförderung. Soll sie nach den Grundsätzen des Subsidiaritätsprinzipes gestaltet werden, muß die Hilfe zur Selbsthilfe im Vordergrund stehen: Weiters geht es um eine möglichst homogene, wettbewerbsneutrale Investitionsförderung, um die Kontinuität der Förderungspolitik anstelle eines ständigen Hin und Her im Ausmaß einer Förderung, wodurch langfristige Planungen im Investitionsbereich erschwert werden. Im übrigen sollen längerfristig gesehen Förderungsformen zurücktreten, die eine allzu starke Staatsabhängigkeit schaffen, wie das vor allem für Haftungshilfen des Staates gilt. Ganz entscheidend ist die Bildung und Zuführung des notwendigen Eigenkapitals; leider ist der Eigenkapitalanteil in den letzten Jahren ständig zurückgegangen.

Auch der längerfristigen Budgetpolitik kommt für eine Gesell- schaftspolitik, die sich am Subsidiaritätsprinzip orientieren will, entscheidende Bedeutung zu. Hier geht es vor allem zunächst um die

Erarbeitung mehrjähriger Budgetvorschauen, dann aber auch um eine mehrjährige Budgetkonzeption, die sinnvoller Weise am Beginn einer Legislaturperiode stehen sollte. Durch eine solche Budgetpolitik müßte es möglich sein, allmählich zu einer besseren Rangordnung der Staatsaufgaben zu kommen, eine gewisse Konzentration auf die wichtigsten Aufgaben vorzunehmen und schließlich einen längst überforderten Staat auf jene Grenzen zurückzuführen, die seine Leistungsfähigkeit garantieren.

Weiters geht es um eine Raumordnungspolitik, die sich des Vorranges der kleineren Gemeinschaften, also insbesondere der Gemeinden bewußt ist. Nach unserer Bundesverfassung sollen die höheren Gemeinschaften wie Bund und Land grundsätzlich nur subsidiär in Erscheinung treten, und zwar dann, wenn die kleinere Gemeinschaft Aufgaben zu besorgen hätte, die ihre Leistungsfähigkeit übersteigen, wie die Erläuternden Bemerkungen zu den Artikeln 116 bis 119 der österreichischen Bundesverfassung ausführen. Dabei steht es außer Zweifel, daß die Gemeinden jene Größenordnung haben müssen, die eine Durchführung moderner Verwal- tungsaufgaben notwendig macht.

Es lassen sich aber dafür keine eindeutigen Mindestgrößen festsetzen, sondern diese werden vor allem durch regionale Gegebenheiten bestimmt.

Es ist entscheidend, daß der Staat auch den kleineren Gemeinden die notwendigen Mittel zur Bewältigung ihrer Aufgaben zukömmen läßt; die derzeitige Regelung des Finanzausgleiches benachteiligt mit einem abgestuften Bevölkerung s- Schlüsel gerąde d,ie bevölkerungs- armen Gemeinden, denen aber oft auf Grund ausgedehnter Gemeindeflächen große Aufgaben im Bereich der Infrastrukturpolitik zukommen.

In der Kommunalpolitik geht es aber auch um die Abgrenzung der Gemeindeaufgaben gegenüber den wirtschaftlichen Unternehmungen. Die Erfahrungen zeigen, daß viele Versorgungsaufgaben der Gemeinden besser durch selbständige Unternehmungen erbracht werden. In den letzten Jahren wurde etwa die Müllabfuhr in einer Reihe von Gemeinden an gewerbliche Unternehmungen übertragen.

Für eine am Subsidiaritätsprinzip orientierte Gesellschaftspolitik geht es aber nicht nur um eine Dezentralisation möglichst vieler Aufgaben im Bereich der Wirtschaft, sondern mehr oder minder in der gesamten Gesellschaft. Besondere Bedeutung kommt der Sicherstellung der Vielfalt der Meinungsbildung bei den Massenmedien zu.:

Wir stehen am Beginn einer Entwicklung neuer Informationstechniken. Zukunftsforscher sind der Meinung, daß uns gerade mit der Entwicklung neuer Informationssysteme wie der Informationsbank und dem informellen Verbundnetz insofern# neue Gefahren drohen, als sich die Möglichkeiten der Filterung und Manipulation an den Zentralschaltstellen der Informationssammlung verstärken. Die Gesellschaftspolitik muß also sicherstellen, daß die Vielfalt der Informationsträger erhalten bleibt und möglichst noch verbreitert wird.

Renė Marcic hat darauf hingewiesen, daß Dezentralisation einen integrierenden Bestandteil der Grundstruktur der Demokratie bilde. Föderalismus, Gemeindeautonomie und Vielfalt der Meinungsträger sind ebenso wie eine Form der Sozialpartnerschaft, die auf Machtausgleich zwischen autonomen Entscheidungsträgem ausgerichtet ist, Grundelemente einer Gesellschaftsordnung, die nach dem Subsidiaritätsprinzip gestaltet ist.

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