6804082-1971_49_03.jpg
Digital In Arbeit

Alle Macht den Bausündern ?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Regie war perfekt. Die Opposition hat in Sachen Öffentlichkeitsarbeit noch viel von der Regierungspartei zu lernen.

Da legt Bautenminister Moser, ein zwar stilles, aber eher radikales Mitglied des Kreisky-Teams, den Entwurf eines Assa- nierungs- und Bodenbeschaffungsgesetzes mit sehr scharfen Enteignungsbestimmungen vor, sucht diese mit der beruhigenden Leerformel zu verharmlosen, diese seien nur als letztes und äußerstes Mittel gedacht, läßt sich sodann wegen dieser seiner „Eigentumsfreundlichkeit“ auf dem Jungsozialistenkongreß in Salzburg von den Delegierten heftig attackieren und von Fernsehreportern durch die Frage nach Gegensätzen zwischen den marxistischen Jungsozialisten und dem „bürgerlichen Sozialismus“ des Kreisky-Teams in die Enge treiben. Schon steht er als harmloser Reformer da, der ohnehin nur das Allernötigste fordert und eigentlich ein konservatives Gesetz vorgelegt hat. so daß ihn um alles in der Welt nicht auch noch die bürgerliche Opposition angreifen dürfe.

Das ist Meinungsmanipulation mit Pfiff, die sich sehen lassen kann.

Diese sorgfältige Bearbeitung der Öffentlichkeit gerade in diesem Fall hat ihren guten Grund, bedürfen doch die Enteignungsbestimmungen dieses Gesetzes Änderungen in den Artikeln 10 und 11 des Bundesverfassungsgesetzes; sie können daher nur mit Zweidrittelmehrheit, also mit den Stimmen der ÖVP, beschlossen werden. Diese muß daher unter Druck gesetzt werden, um im Parlament das Assanierungsgesetz möglichst ungehindert passieren zu lassen.

Bundeskanzler Kreisky hat daher schon vorsorglich ein Junktim mit einem „ÖVP-Gesetz“ mit Verfassungsklauseln angekündigt, bei dem die Sozialisten immer nur einer kurzfristigen Verlängerung zustimmen und sich die Zustimmung immer aufs neue teuer abkaufen lassen: die landwirtschaftliche Marktordnung.

Wenn, so argumentiert der Kanzler, „die“ Landbevölkerung „ihre“ Marktordnung bekomme, dann habe „die“ Stadtbevölkerung ein Recht darauf, „ihr“ Assanierungsgesetz zu bekommen.

Hier wird Unzusammenhängendes in scheinbare „soziale Symmetrie“ gebracht. Man könnte genausogut verlangen, daß, wenn „die“ Gewerkschaften „ihren“ freien Samstag bei der Post bekommen, dafür „die“ Bauern von „ihrer“ Weinsteuer befreit werden müssen.

Die ÖVP, die sich als Regierungspartei oft genug mit den Agrargesetzen unter Druck hat setzen lassen, täte gut daran, wenigstens als Opposition auf diesen Kuhhandel nicht einzugehen. Schließlich reklamieren die Sozialisten die Bauern als politische Hoffnungsgruppe, für sich und werden sich hüten, diesen die für sie lebenswichtige Marktordnung vorzuenthalten.

Gerade die möglicherweise unpopulären Enteignungsbestimmungen werden jetzt mit viel Geschick systematisch verharmlost. Wenn der Opposition als Gegenargument nichts Besseres einfällt, als sich wie bisher immer nur über die Eigentumsfeindlichkeit der SPÖ zu alterieren, hat diese ein leichtes Spiel, die Volkspartei als Handlanger privater Profitinteressen, sich selbst aber als Schutzengel des Gemeinwohls hinzustellen.

Die meisten kritischen Stellungnahmen zu dem Assanierungsgesetz verharren in Negationen oder verbeißen sich in Details; die fundamentale Problematik des Gesetzes, die auch bei prinzipieller Zustimmung zu diesem bestehen bleibt, und die vor allem verwaltungstechnische, raumordnungsmäßige und gesellschaftspolitische Fragen betrifft, wird kaum berührt. Dabei liegt gerade dort das Problem begraben.

Alle Kompetenzen für die Assanierung sollen unter den Gebietskörperschaften — Gemeinden, Bezirk, Land — aufgeteilt werden, was etwa im Fall Wiens heißt, daß sie in einer Hand vereinigt sind. Die öffentlichen Stellen, insbesondere die Gemeinden erlangen somit die absolute Macht über Grund und Boden. Nun sind es gerade sie, die — entweder in Eigenregie oder durch nahestehende Organisationen — viele der ärgsten Bausünden der letzten Dezennien begangen, sie wohlwollend geduldet oder gefördert haben. Den ärgsten Bau- sündem wird also alle Baugewalt anvertraut.

Abgeschriebener Althausbestand

Die glatte Formel, daß alle Ubel- stände die Konsequenzen privater Profitgier seien und es genüge, alle Entscheidungsmacht den öffentlichen

Instanzen zu überantworten, hat sich nicht bewährt. Ein Assanierungsgesetz müßte daher viel genauer abgefaßt sein als das derzeit vorliegende, viel weniger Angelegenheiten dem Ermessen der Magistrate überlassen, unabhängigen Institutionen des Natur-, Denkmal- und Umweltschutzes ein Mitentscheidungsrecht bei allen Planungen einräumen. Es müßten Vorkehrungen getroffen werden, um die Raumplanung stärker zu objektivieren, um die Gebietskörperschaften daran zu hindern, unter dem Deckmantel des angeblichen Gemeinwohls parteipolitische Interessen zu verfolgen.

Dies aber führt uns zum raum- ordnungsmäßigen Gesichtspunkt.

Das Gesetz sieht zwar auch die Assanierung von Einzelobjekten vor, sein Schwergewicht liegt aber eindeutig auf der Erneuerung ganzer Stadtviertel. Nun hat sich aber diese „Flächensanierung“, wie sie in Amerika im großen Umfang betrieben und auch in Europa kopiert wurde (man denke an das fatale „Märkische Viertel“ in Berlin) als Irrweg erwiesen, als Bau von neueren, komfortableren, aber letzten Endes nicht weniger deprimierenden Slums.

Genau dieses überholte Konzept wird heute in Österreich mit Verbissenheit verfolgt. Sollen unsere Städte künftig tatsächlich zur Gänze so aussehen wie jene neuen monotonen Wohnviertel, die in Österreich heute überall aus dem Boden schießen, brutale in Reih und Glied aufgestellte Betonklötze, deren Wohnqualität häufig zu wünschen übrig läßt?

Die Fläch ensanierimg, die auf einen kompletten Neubau der Städte hinausläuft, ist darüber hinaus auch noch ein finanzieller Wahnsinn. Daß es aber so gemeint ist, geht aus den erläuternden Bemerkungen zum Gesetz eindeutig hervor, in denen der Althausbestand in Bausch und Bogen kurzerhand abgeschrieben wird.

Auch Bautenminister Moser hat kürzlich die gesundheitsschädlichen Althäuser den angeblich so gesunden Neubauwohnungen gegenübergestellt. Hier wird auf unzulässige Weise verallgemeinert und der eigentliche Grund des vorzeitigen Verfalls an sich solider und erneuerungsfähiger Bausubstanz sorgfältig ausgespart.

Der österreichische Althausbestand umfaßt wahrhaftig nicht lauter verfallende „Bassenahäuser“, die in absehbarer Zeit für die Spitzhacke reif werden müssen. Daß die offizielle Wohnungspolitik es generell auf Demolierung anlegt, ist eine unver antwortliche Verschwendung von Volksvermögen.

Viele Althäuser könnten mit einem Bruchteil der Abbruch- und Neubaukosten renoviert und modernisiert, ja sogar ausgebaut werden. Wenn das bis heute unterblieben ist, so deswegen, weil es die bestehende Gesetzgebung nachgerade verhindert.

Das Assanierungsgesetz sollte daher nicht einseitig, wie das im vorliegenden Entwurf der Fall ist, auf den Neubau ausgerichtet sein, sondern analoge Bestimmungen enthalten, die eine Modernisierung des erhaltungswürdigen Althausbestandes zu vernünftigen Konditionen ermöglicht. Das wäre die logische Konsequenz einer Abkehr von dem verfehlten Flächensanierungsideal und und würde per saldo eine enorme Einsparung von Volksvermögen mit sich bringen.

Enteignung als Hauptzweck

Dies alles steht bereits in einem engen Konnex mit dem gesellschaftspolitischen Gesichtspunkt. Es bedarf der Klärung, welchem Ziel die Assanierung und Bodenbeschaffenheit überhaupt dienen soll.

Wenn es wirklich nur um die Beseitigung abgewohnter Viertel und Häuser oder um die optimale Wohn-

raumbeschaffung und Umweltgestaltung ginge, dann wäre auch das Gesetz in seiner jetzigen Fassung nicht so bedenklich wie es tatsächlich ist. Ein Nebenzweck des vorliegenden Assanierungs- und Bodenbeschaffungsgesetzes, der aller Wahrscheinlichkeit nach den insgeheimen Hauptzweck darstellt, ist die Beseitigung des Privateigentums an Grund Boden und Gebäuden, das der moderne Sozialismus als noch vordringlicher denn die Sozialisierung der Produktionsmittel ansieht.

Daran ändert auch nichts die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit für die Bildung privater Bodengenossenschaften, die mehr den Charakter einer jederzeit ohne Änderung des Gesetzes heranziehbaren Alibibestimmung als einer echten Förderung oder auch nur Duldung privater Initiative hat. Erstens sollen solche Genossenschaften einer behördlichen Genehmigung bedürfen, zweitens werden sie zumeist von der Gewährung öffentlicher Förderungsmittel abhängig sein und sind daher manipU’lierbar.

Wie systematisch das Ziel der Zu- rückdrängung des privaten Grund- und Hausbesitzes verfolgt wird, beweist auch die Novelle zum Wohnbauförderungsgesetz, die den Aufteilungsschlüssel bei den Förderungsmitteln zwischen Eigentums wohnungen und Eigenheimen einerseits und dem öffentlichen und genossenschaftlichen Wohnbau anderseits beseitigt, was angesichts der Macht- und Einflußverteilung ein unweigerliches Übergewicht der letzteren Gruppe mit sich bringen wird. Die Austrocknung des Zuflusses von Förderungsmitteln für das private Bauen ist auf diese Weise leicht zu bewerkstelligen, wodurch die Assanierung durch Private so gut wie illusorisch wird.

Neben der Eigentumsfrage spielt aber zweifellos auch jenes Ziel eine Rolle, das in dem bekannten Myrdal- Report über die Gleichheit in Schweden erwähnt wird: Es soll auch die Gleichheit im Wohnen hergestellt werden.

Das Assanierungsgesetz kann daher nur in Kombination mit der Wohnbauförderung, ja dem gesamten Wohnungs- und Wohnbaukomplex gesehen werden. Eine gesellschaftliche Weichenstellung in kollektivistischer Richtung kann aber nur verhindert und das personali- stische Ideal einer breiten Eigentumsstreuung nur verwirklicht werden, wenn die Opposition von heute die gleiche Hartnäckigkeit aufbringt wie sie einst die Sozialisten in für sie gesellschaftspolitisch relevanten

Angelegenheiten an den Tag gelegt haben — und das sowohl als kleinere Regierungspartei wie auch als Opposition.

In diesen Gesamtkomplex ordnet sich aber auch die Enteignungsfrage ein, in deren Details sich die Kritiker des Gesetzes zumeist verbeißen. Hier wäre vor allem das Entschädigungsproblem neu zu überdenken, da die vorgesehene Regel geradezu den Gebietskörperschaften, die hier wohl im allgemeinen an einem Strang ziehen, die Entscheidung nach Gutdünken überläßt; insbesondere die Stadt Wien, die Gemeinde-, Bezirksund Landeskompetenzen in sich vereinigt, würde zum Richter in eigener Sache.

Genauere Direktiven statt einem kurzen Hinweis auf das Eisenbahnentschädigungsgesetz (das von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht), vor allem eine stärkere Be- dachtnahme auf den Nutz- und Ertragswert des zu enteignenden

Objekts und auf die Kosten der Wiederbeschaffung, wären notwendig. Desgleichen ist es sachlich unbegründet — und nur gesellschaftspolitisch motiviert — wenn das Gesetz ausschließlich Geld- und keine Sachentschädigungen zuläßt. Gerade die maßlose Bodenhortung vieler Gemeinden ist ja die eigentliche Ursache der Mißstände auf dem Realitätenmarkt, die ein Bodenbeschaffungsgesetz erst notwendig machen.

Die Assanierungsfrage kann daher vernünftig nicht isoliert, sondern nur im größeren Zusammenhang gelöst werden; da sie an Verfassungsprinzipien rührt, ist es das gute Recht, ja sogar die Pflicht der Opposition, auf eine Gestaltung des gesamten Gesetzeskomplexes zu dringen, die es ausschließt, daß dieser ein Instrument zur Schaffung der sozialistischen Gesellschaft wird. Die Opposition würde damit nur eine staatspolitische Aufgabe erfüllen, denn der Demokratie und der persönlichen Freiheit des Menschen wäre ein schlechter Dienst erwiesen, wenn die Assanierung zum Vehikel der Kollektivierung des Wohnungswesens und damit der totalen Abhängigkeit des einzelnen vom Kollektiv werden würde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung