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Spielraum vergrößern, Verantwortung teilen

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Die Archive der Universitätsinstitute, der politischen Parteien und der Tageszeitungen sind unter dem Stichwort „Föderalismus" in den vergangenen Wochen um erhebliches Material bereichert worden. Die Abgeordneten des Nationalrates haben ihr Enquetenrecht ausprobiert, und nach längerer Zeit gab es wieder einmal eine verfassungspolitische Diskussion, die einem bei der Lektüre der Zeitungen schrullig vorkommt, wenn sie zwischen Krisenmeldungen, Goldpreisberichten und Energienöten eingebettet ist.

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Die Archive der Universitätsinstitute, der politischen Parteien und der Tageszeitungen sind unter dem Stichwort „Föderalismus" in den vergangenen Wochen um erhebliches Material bereichert worden. Die Abgeordneten des Nationalrates haben ihr Enquetenrecht ausprobiert, und nach längerer Zeit gab es wieder einmal eine verfassungspolitische Diskussion, die einem bei der Lektüre der Zeitungen schrullig vorkommt, wenn sie zwischen Krisenmeldungen, Goldpreisberichten und Energienöten eingebettet ist.

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Dennoch ist diese Diskussion notwendig. Gerade unter dem Aspekt der Bürgernähe hat die Frage, welche politischen Aufgaben in Gemeinden, den Ländern und Bund ausgeübt werden sollen, eine große Bedeutung.

Auch die Uniformität des Lebens verlangt die Betonung der Vielfalt, für die wieder gerade im politischen Leben Österreichs, aber auch in Wirtschaft und Kultur die Bundesländer stehen. Um so größer wird da die Sorge, daß auch bei diesem Anlauf zur Belebung des Föderalismus wieder einmal nichts herauskommt. Taktische Überlegungen dominieren vor allem vor grundsätzlicher Diskussion, und die Verschiebung der Föderalismus-Debatte zur bereits historisch gewordenen Frage, ob man nicht doch die Bezirksverwaltungen „demokratisieren" sollte, zeigt schon das traurige Schicksal an.

Obgleich gerade dieses Thema eine Art von verfassungsrechtlichem Ungeheuer von Loch Ness ist. Die Debatte war und ist von Mißtrauen gekennzeichnet, argwöhnt doch die sozialistische Bundesregierung, daß es in mehrheitlich von der ÖVP gestalteten Ländern darum ginge, durch Verlagerung von Zuständigkeiten vom Bund zu den Ländern der SPÖ Macht'wegzunehmen.

Die niederösterreichische ÖVP argwöhnt wieder mit Recht, daß die sozialistischen Vorschläge zur Bezirksverwaltung nichts anderes bedeuten als eine Verfassungsattacke auf das Landhaus in der Wiener Herrengasse. Mißverständnisse gibt es also sonder Zahl, wobei bedauerlich ist, daß aus taktischer Überlegung ein Faktum unbemerkt bleibt, daß nämlich neun Bundesländer bereit sind, im Rahmen des Staates mehr Verantwortung zu übernehmen.

Nehmen wir uns die nötige Distanz von diesen verfassungsrechtlichen Rangeleien und stellen uns die Frage, was eigentlich das Ziel dieses Hin-und Herschiebens von Kompetenzen und damit von Verantwortung sein soll. Die Föderalismus-Debatte in Österreich kann dynamischer werden, wenn man erkennt, daß ein größerer Spielraum der Länder nicht nur mehr politische Kraft zur Lösung von Problemen aktivieren kann, sondern auch durch das Verteilen von Aufgaben mehr Verantwortungen geschaffen werden. Was kann also das Fernziel sein?

Zunächst braucht die eigene Verantwortung der Länder eine Stärkung ihrer Verfassungsautonomie. Die österreichische Bundesverfassung schreibt zwar kleinlich vor, wie ein Landesgesetz zustande kommt, wann der Bundespräsident Landtage auflösen kann, und was alles nicht Sache der Länder ist.

Meines Erachtens wäre es besser, an Stelle der bisher unfruchtbaren Debatte über die Reform des Bun- \ desrates einen mutigen Schritt zur Neukonstruktion der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern durchzuführen. Es täte dem Bund gut, zu wissen, wen er eigentlich bis jetzt wofür zuständig gemacht hat. Die Länder wieder könnten erkennen, welche Kompetenzen sie zuwenig ausgenützt haben, und die Landtage wieder erhielten ein umfangreicheres Aufgabengebiet, als es die gegenwärtig etwas schmal geratenen Tagesordnungen zeigen.

Ein weiteres Ziel muß eine bessere Institutionalisierung der Kooperation zwischen Bund und Ländern sein. Vielleicht bietet da der Artikel 15 a der Bundesverfassung eine Chance, der es, durch Staatsverträge zwischen Bund und Ländern ermöglicht, eine Konkordanz der Regelungen zu erreichen.

Unverständlich ist die Forderung des Bundeskanzlers, eine Bundeskompetenz für den Umweltschutz zu erhalten, wo gerade diese Probleme in den Ländern äußerst unterschiedlich ' sind, von Gemeinde zu Gemeinde differieren. Es ist einzusehen, daß etwa Grenzwerte von Umweltbelastungen nicht unterschiedlich sein können. Wie aber der Bund das Problem der Verödung der Almen in Tirol und der Emissionen von Wiener Heizwerken gleichzeitig lösen will, kann nicht so ohne weiteres klar gemacht werden.

Höchst unterschiedlich auch sind die Leistungen der Länder auf dem Gebiete des Hochschulwesens. Haben sich etwa jene Bundesländer sehr angestrengt, die Neugründungen von Universitäten in den vergangenen Jahren erhalten haben, so sind andere wieder untätig geblieben, die traditionell Hochschulgebiete auf ihrem Landesgebiet haben.

Auch die Unterschiedlichkeit der Verkehrsprobleme ließe sich so besser lösen. Während Wien infolge der städtischen Situation den Bund immer mehr, durch U-Bahn und Schnellbahn bedingt, zur Lösung seiner Probleme des öffentlichen Verkehrs heranziehen muß, werden in den Bundesländern Straßenprobleme weiter im Vordergrund stehen. Die mangelnde Elastizität der gegenwärtigen Kompetenzregelung erzwingt aber weiteren Hochleistungsstraßenbau im Stadtgebiet und verhindert die Verwendung von Mineralölsteuermitteln für die Schienenwege.

Ähnliche Probleme bestehen auf dem Gebiet der Wohnbauförderung, wo sich die Bundeshauptstadt die Lösung ihrer Stadterneuerungsprobleme und der Gemeindebauten durch das Mietengesetz erwartet -eine Situation, die im kleineren Ausmaß auch Landeshauptstädte haben -, während der Einfamilienhausbau wieder andere Länder mehr interessiert.

Auf der gleichen Ebene schöpferischer Phantasie liegt die Entwicklung neuer föderalistischer Kooperationsformen. Sehr weit ist nämlich die Phantasie unter den Bundesländern auch noch nicht gediehen, Wege zur gemeinsamen Lösung von Problemen zu finden. Der Verkehrsverbund im östlichen Zentralraum ist zwar schon erfunden, aber mangels Finanzierung noch nicht gelöst. Die unterschiedlichen finanziellen Regelungen zwischen den Bundesländern führen zu einem munteren Abwerben von Betrieben und erzwingen damit Konkurrenzverhältnisse, wo keine sein sollten.

Neben dem notwendigen gesteigerten Vertrauen der Länder untereinander müßte auch der Bund den Ländern mehr vertrauen und anvertrauen. Die Mitsprache der Länder bei Personalentscheidungen müssen ebenso verstärkt werden wie in den Bereichen bundesstaatlicher Organisation, etwa beim Gerichtswesen. Der Bund macht etwa durch Auflassung von Bezirksgerichten oder Nebenbahnen mehr Raumordnungspolitik, als es die Länder in eigener Kompetenz können.

Es müßte vielmehr Interesse des Bundes sein, seine Auftragsverwaltung durch die Länder zu verstärken. Ein Ausbau der Strukturen der mittelbaren Bundesverwaltung sowie deren unmittelbare Kontrolle auch durch Landtage würde das Gefühl abbauen, daß Landeshauptleute nur noch Provinzgouverneure oder -Satrapen sind. Wenn man den Spielraum der Länder erhöht, würde sich das gegenwärtige unwürdige Spiel reduzieren, daß Länder durch Vorfinanzierungsangebote den Bund erst zwingen müssen, tätig zu werden, wodurch einmal mehr zum Ausdruck kommt, daß der Bund seinen Aufgabenstellungen nicht mehr gewachsen ist.

Keine politische Gruppe in Österreich möge aus den Augen verlieren, daß unsere Republik Österreich zweimal durch Beschluß der Länder gegründet wurde: Karl Renner hat nach dem Ersten Weltkrieg die Beitrittserklärungen der Bundesländer eingeholt, und 1945 war es eine Länderkonferenz, die dem ehemaligen Staat, „den keiner wollte", wieder Leben einhauchte.

Mir wurde einmal die Geschichte erzählt, daß in der Ersten Republik Ignaz Seipel vom Balkon des Ballhausplatzes einer Gruppe von mit der Bundesregierung unzufriedenen Tirolern zugerufen hat: „Österreich braucht Tirol, Tirol braucht Österreich". Vielleicht könnte diese Episode den jetzigen Herren am Ballhausplatz in Erinnerung rufen, daß nicht nur die Länder den Bund, sondern der Bund die Länder braucht.

Erhard Busek ist Landeshauptmann-Stellvertreter und Vizebürgermeister von Wien sowie Landes-parteiobmann der Wiener ÖVP.

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