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Der muhsame Balanceakt

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Das „kleine Wahljahr“ ist über die erste Hürde gegangen. In Salzburg wurde ein neuer Landtag bestellt, Wien folgt Ende April, Vorarlberg und Niederösterreich im Herbst. Zu Ende des Jahres werden an 60 Prozent der wahlberechtigten Österreicher ihr jeweiliges Landesparlament neu gewählt haben. Landtagswahlen rufen ins Gedächtnis, daß Osterreich ein Bundesstaat ist. — Und jenseits des Semmerings und des Wienerwalds verweist man mit Stolz auf die Leistungen, die in den Landesregierungen erbracht werden.

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Das „kleine Wahljahr“ ist über die erste Hürde gegangen. In Salzburg wurde ein neuer Landtag bestellt, Wien folgt Ende April, Vorarlberg und Niederösterreich im Herbst. Zu Ende des Jahres werden an 60 Prozent der wahlberechtigten Österreicher ihr jeweiliges Landesparlament neu gewählt haben. Landtagswahlen rufen ins Gedächtnis, daß Osterreich ein Bundesstaat ist. — Und jenseits des Semmerings und des Wienerwalds verweist man mit Stolz auf die Leistungen, die in den Landesregierungen erbracht werden.

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Als 1918 die einzelnen Länder beschlossen hatten, sich der neuzugründenden Republik anzuschließen, war die Konstruktionsformel ein Balanceakt zwischen der Zentralordnung mit einer aus der Monarchie übernommenen Verwaltung und dem Föderalismus der Länder, die aus unterschiedlichen Motiven weitgehende Eigenverwaltung anstrebten.

So war die Bundesverfassung schließlich auch ein Kompromiß, der sich bewährt hat, in dem jedoch die Kompetenzen des Bundes nach den Vorstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit des ersten Weltkrieges festgelegt sind — und alle Zuständigkeiten, die sich seither herausgebildet haben, nach Artikel 15, ausschließlich Ländersache sind.

Einiges, ja sehr vieles hat sich gewandelt. Der Wiener „Wasserkopf“ ist zu einem „armen Vetter“ gegen die reichen westlichen Bundesländer geworden, fast jedes Bundesland hat einen Landsmann in der Bundesregierung sitzen. „Hie Zentralismus“ und „Hie Bundesland“ sind also abgeschmackte, nicht sehr glaubhafte Rufe geworden.Seit dem Entstehen unserer Republik als Bund von neun Ländern hat sich eine völlige Umstellung unserer Volkswirtschaft ergeben, ein Strukturwandel in der Landwirtschaft; das Verkehrswesen hat zu einer 1918 oder 1920 unvorstellbaren Mobilität von Waren und Personen geführt, die Auslandsverflechtungen sind stärker denn je, unsere Energieversorgung als Blutstrom der Wirtschaft hat sich radikal gewandelt. Vor allem aber hat unsere binnen-österreichisehe Geographie gewechselt. Ostösterreicih ist von einem Eisernen Vorhang seit mehr als zwanzig Jahren umschnürt, der töte Grenzen, Abwanderung und Kontaktarmut bedeutet. Westösterreich zeigt Anzeichen, stärker am dynamischen München Maßstab zu nehmen als am von Kinderarmut gezeichneten Wien.

An Stelle historischer Bundesländer sind eigentlich bereits Großregionen getreten, die nicht einmal neu sind: denn die Begriffe von den „Kernlanden“, von „Innerösterreich“ und „Vorderösterreich“ waren nicht nur dynastische Erfolgstitel der Habsburgerlinien, sondern Wirtschaftsund Verwaltungsräume.So fordert auch die FPÖ in ihrem Wahlprogramm für Wien die Änderung der Wiener Landesgrenzen (was nur ein winziger Schritt ist), während sieh Raumplaner der SPÖ und die der ÖVP nahestehende „Aktion 20“ über Regionskonzepte für Wien, Niederösterreich und das nördliche Burgenland den Kopf zerbrechen. Imme stärker wächst sich auch eine Großregion aus dem südlichen Burgenland, der Steiermark, Kärnten und Osttirol zusammen, während der Zentralraum zwischen Enns und Salzach allein schon durch die Autobahn immer mehr verschmilzt So stellt sich auch die Frage nach der Brauchbarkeit der Verwaltungseinheit, wie sie österreichische Bundesländer aufweisen. Einige deutsche Bundesländer sind größer als ganz Österreich und ein Wiener Gemeindebezirk ist größer als ganz Vorarlberg.

Während man immer mehr kleine Gemeinden zusammenlegt, zeigen sich ähnliche Tendenzen noch kaum bei kleineren Bundesländern. Jedenfalls: die größere Einheit hat in zunehmendem Maße praktische Bedeutung, wenngleich man historische, ethnische und in Österreich auch ganz schlicht geographische Tatsachen nicht ableugnen darf. Aber der Sinn der Verfassung ist sicherlich auch ein System vernünftiger Subsidiarität. Was die Gemeinde in ihrem Rahmen erfüllen kann, braucht nicht das Land zu tun. Was das Land nicht mehr bewältigen kann, muß dem Bund zugeordnet werden.

Aber diese Subsidiarität ist durch ias von der Wirklichkeit überholte Verfassungswort ebenso durchbrochen wie durch ein vereinzelt aufgetretenes Prestigedenken in manchen Landeshauptstädten. Man schiebt nur alllzu gerne dem Bund die Kosten der Großvorhaben zu und drückt sich von der Übernahme von Verpflichtungen. Man sieht im Nachbarbundesland nur zu gerne einen Konkurrenten und setzt Prestigedenken vor Vernunft. Hoch-schulgründungen, Vergabe von Autobahnmittel, eigene Flugplätze und der Kampf bei Einstellung von Eisenbahnlinien kennzeichnen ein recht unerfreuliches Denken. Mag es da nicht wünschenswert sein, wenn man die Problematik und Zeiit-gemäßheit unseres Ausgleichs zwischen den Gebietskörperschaften untereinander und dem Bund neu überdenkt? Die Frage nach besser funktionierenden Einheiten, Regionen stellt?

Immerhin, Überlegungen werden schon da und dort angestellt. Das Institut für Raumplanung wird nicht müde, neue Größen zur Diskussion zu stellen, Fachleute aller politiseheii Richtungen bieten neue Beispiele an Und deshalb müßte auch eine sich mühsam den Bundesländerproporä erhaltende Regierungspartei die Kraft aufbringen, wandelnde Entwicklungen wenigstens zu überdenken.

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