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Gott straft die Sünden der Väter

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Natürlich dürfen sich in alldem die Wic’ner nicht nur auf widrige Umstände und widrige Verhaltensweisen anderer ausreden. Unseren Vorvätern hat es nun einmal gefallen, einen Reim auf Linz zu bringen, der den Oberösterreichern bei weitem nicht so gut gefallen hat wie den Besuchern Wiener Lustspieltheater. Das Pensionopolis Altösterreichs im Süden, in der steirischen Landeshauptstadt, ist heute ein wichtiges und energiegeladenes Zentrum unserer Republik geworden; Salzburg ist längst »licht mehr so geruhsam wie zu Zeiten, da Hofmannsthal und andere nach dorthin entfliehen wollten, um den hektischen Kulturalismus der Metropole vom Hals zu bekommen; und Tirol erlebt sein neues Schicksal nicht im Umkreis der alten Hauptstadt Meran, sondern nördlich des Brenners, in einem erbitterten Ringen um die Wahrung der Einheit Tirols. Vorarlberg und Burgenland sind neu im Katalog der österreichischen Lä»ider, aber erfolgreich und selbstbewußt irj der Behauptung einer eigenen Art, sei es in der Gunst der Verhältnisse rund um den Bodensee, sei es in der Bewährung während und nach schweren Zeiten fremder Besatzung.

Es ist eine bekannte Tatsache, daß ein guter Witz leichter von dem vergessen wird, der ihn später noch einmal erzählen möchte, als von dem, auf dessen Kosten er gemacht worden ist. Der innere Zusammenhalt der Österreicher und der österreichischen Lä»ider ist heute nicht der Balanceakt der Reichshaupt- und Residenzstadt über abgeschichteten niederen Rängen, sondern ein Integrationsvorgang neuer Elemente eines neuen österreichischen Gesamtbewußtseins. Nicht die Dominanz der Hauptstadt macht den selbstverständlichen Vorrang aus, sondern der Ertrag aus der Leistungskonkurrenz der neuen Bundesländer, unter dene'n allerdings Wien zugleich die Bundeshauptstadt ist.

Der Zentralismus der Wiener

Wie gesagt, wenn vom Zentralismus in Österreich die Rede ist, dann fällt nicht dieses Wort, sondern das Wort Wien. Wie viel die alte Stadt von Akkumulationen von früher abgegeben hat, ist soeben erörtert worden. Es bleibt noch ein Wort zu sagen über die Zertrümmerung der politischen Vorrangstellung.

Der letzte Bundeskanzler aus Wien ist (wenn man von einem kurzlebige»! Ubergangskabinett Carl Vau- goins absieht) seit 36 Jahren tot. Er hieß Ignaz Seipel. Der Niederösterreichische Bauernbund, einmal, zusammen mit den Austromarxisten im Wiener Rathaus, der Generalbaß der österreichischen Innenpolitik, hat seine Vorrangstellung an Salzburg, Steiermark und andere Länder abgeben müssen. Aber auch die Epigonen des Austromarxismus haben in dem Gespräch der Ideologien des Neumarxismus, des linken Sozialismus im Osten und der radikalen

Linksintellektuellen nur noch eftie bescheidene Stimme.

Die Christlich-Soziale Volkspartei wurde von dem Wiener Karl Lueger gegründet, die Sozialdemokratische Arbeiterpartei von dem Wiener Victor Adler. Die Nachfolgeorganisationen nach 1945 haben ganz anderen Ursprung. Und wenn auch der österreichische Sozialismus noch in Wien seinen Schwerpunkt hat, so gerät diese politische Rolle der Stadt eher zum Nachteil, da sie die Verschiedenheit der politischen Struktur der Bundeshauptstadt zu der der Bundesländer unterstreicht.

In den letzten 100 Jahren hat nur efrimal im Wiener Rathaus und im Ministerratspräsidium dasselbe System geherrscht: in der liberalen Zeit. Als nachher die Christlich- Sozialen ins Rathaus kamen, mußte sich Lueger mit liberalen Restgrößen vom Range des niederösterreichischen Statthalters Graf Kielmanns- egg auseinandersetzen; und die letzten 50 Jahre der sozialdemokratischen Vorherrschaft in Wien standen in der Ersten Republik im Gegensatz zu den bürgerlichen Mehrheitsregierungen im Bund, dann in dem inneren Span»iungsverhältnis der Koalition, und neuerdings im Gegensatz zur monokoloren Bundesregierung.

Versuch eines Resümees

Auf Anhieb scheint es, als wären in diesem Thema die Divergenzen größer als die Konkordanzen. Zunächst einmal beschäftigen sich aber diese Ausführungen mit der fraglichen Akkumulationstheorie, die Wien eine Anhäufung zu Lasten Restösterreichs vorwirft. Diese Theorie ist vom geschichtlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Standpu»ikt aus nicht haltbar; sie kann höchstens in der Absicht aufrechterhalten werden, dieser Stadt einen Diminutiv aufzudrängen; etwa aus der Anschauung, daß dann, wenn die Schweizer mit Bern und die Bundesdeutschen mit Bonn auskommen, die Österreicher ihrerseits an einer bedeutend kleineren Hauptstadt genug haben könnten.

Angesichts der 48er-Revolution meinte Metternich, es sei kei»i Unglück, wenn in einem Lande zuweilen eine Revolution stattfindet; gefährlich sei es, ein großes Reich zu zerstören. Diese Gefährlichkeit haben die Europäer im letzten Jahrhundert zu spüren bekommen. Was für das große Reich gilt, gilt auch für die Großstadt, die aus einer Weltbedeutung entstanden ist. Man wende nicht ein, daß die Weltstadt zum Weltstaat und die Großstadt zur Großmacht gehöre; mag sein, daß einzelne Weltstädte und Großstädte nach dem Ende der dazugehörenden Welt- und Großmacht zugrunde gegangen sind. In unserer Zeit erleben wir es aber auch, daß Kleinstaaten nach Verlust ihres überseeischen Besitzes und des Restes ihrer Großmachtstellung ihren Zentren eine neue Weltbedeutung geben konnten: ich nenne nur Belgien im Falle Brüssel und die Niederlande im Falle des Kombinats Amsterdam-Rotterdam.

In Fällen dieser Art wird die Tatsache sichtbar, daß die heutige überregionale Bedeutung einer Großstadt nicht allein darin zu suchen ist, daß sie Vorort eines Landes von überregionaler Bedeutung ist, scfti- dern auch darin, daß sie auf Grund einer bestimmten kontinentalen und Weltkonstellation überregionale Bedeutung besitzt. Diese Bedeutung Wiens ist in der Tatsache zu erblik- ken, daß die österreichische Bundeshauptstadt an dem einzigen Punkt der Erdoberfläche existiert, an dem die monolytischen Blöcke in Ost und West nach 1945 freiwillig zurückgewichen sind und dazwischen so viel Raum gegeben haben, daß wenigstens eitaes der durch den Eisernen Vorhang zweigeteilten Länder wieder ungeteilt und unabhängig entstehen konnte.

Diese Vorschußleistung der Großen auf die Zeit nach dem kalten Krieg gewinnt in unseren Tagen mehr Bedeutung als damals bei Abschluß des Staatsvertrages, als viele Österreicher darin nichts anderes erblik- ken wollten als den Preis der Neutralität für die Wiedererlangung des eigenen Staates. Vielleicht haben wir zu lange gezögert und auf alte Wunden geschaut, die etwa die Franzosen im Regime de Gaulle längst vergessen haben, um zu erreichen, daß sich die Amerikaner und ihre Gegner in Vietnam in Paris und nicht in Wien treffen. Die Bedeutung in der Besorgung internationaler Geschäfte ist nicht allein Ausfluß des Machtpotentials, sondern zugleich Ertrag eines politischen Klimas; im Falle Österreich jenes wohltemperierten Klimas, das bei uns in guten Tagen herrscht.

Nach der Ansiedluhg der Internationalen Atomenergiekommission und der UNIDO ist Wien eine der UNO-Städte geworden. Das ist ein guter Anfang auf dem Wege zu neuen Ufern. Vor allem mögen unsere Landsleute in den Bundesländern erkennen, daß wir zwar vom Bund verlangen, daß er für seine Bundeshauptstadt mehr tue als für jede andere Stadt des Landes (wie das die Funktion der Hauptstadt verlangt), daß wir aber im übrigen unsere ! Vorrang in Europa und in der Welt nicht einfach auf materielle Kosten der übrigen Österreicher herauswirtschaften wollen, sondern daß wir dabei das Einmalige an der geschichtlichen Funktion Wiens in Anschlag bringen wollen:

• Wien ereignet sich im Schnittpunkt germanischer, slawischer und romanischer Welt und angesichts der vielen fremdartigen Nachbarschaft des Magyarischen, und

• Wien, das ist Anteil an der Landschaft der Alpen, an der europäischen Stromlahdschaft der Donau und an den weiten Ebenen des Ostens.

Wien ist vor allem Mittelpunkt eines Kommunikationsraumes, dessen innere Zusammenhänge nationalistische und kommunistische Theorien in den letzten Jahrzehnten verdunkeln, aber nicht vollends zerreißen konnten. Das alte Österreich ist auf dem Höhepunkt der nationa- leh und sozialen Revolutionen zerbrochen; das neue Österreich findet sich nach dem Ende dieser Revolutionen in neue Nachbarschaften ungleich besser, als es zuweilen unsere Vorväter vermochten.

Es geht den Wienern nicht darum, einen neuen Nordbahnhof oder einen neuen Ostbahnhof zu bauen. Was sie aufrecht erhalten wollen, das ist das Heimgehrecht der Europäer in dieser Stadt. Es geht nämlich um die Heimkehrer der Europäer nach Europa. Denn dieser Kontinent kahn nicht in den Brückenköpfen der Flankenmächte existieren; er bedarf einer europäischen Mitte. Und inmitten dieser Mitte liegt Wien. Das aber ist eine Funktion, die nicht vertan oder vergessen werden dürfte.

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