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Land in vierzig Tahren

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Das Land beginnt interessant zu werden, meinte einer der Besucher anläßlich unserer Feiern, die die vierzigjährige Zugehörigkeit des Burgenlandes zu Österreich dokumentieren sollten. Der Ausspruch zeigt deutlich, daß es nicht immer so war, beinhaltet aber auch das Zugeständnis, das, wenn auch spät, irgendwie beglückt.

Vor vierzig Jahren, endgültig durch das am 13. Oktober 1921 unterzeichnete Venediger Protokoll, wurde das Burgenland Österreich angeschlossen. Damit begann für das Volk von rund 290.000 Menschen und das Land von 4000 Quadratkilometern eine neue Zeit. Heute ist das nur noch einem kleinen Teil richtig bewußt, weil es denen, die nach 1915 geboren wurden, kein Erlebnis mehr war.

Ein Volk, das überwiegend deutsch sprach, doch auch 40.000 Kroaten und einige tausend Ungarn vereinigte, war aus einem Staate gelöst worden, dem es immerhin rund 300 Jahre angehört hatte. Diese Zeit war nicht spurlos an seiner Entwicklung vorübergegangen. Und doch war das Bekenntnis zu Österreich, zuerst von einer Gruppe, die im ganzen Land tätig war, sehr bewußt zum Ausdruck gebracht, ein beglückendes. Schon vorher waren die Verbindungen mit Wien und Graz, den beiden großen Zentren, sehr innig gewesen. Es fiel daher nicht schwer, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und rasch heimisch zu werden.

Ein langgestrecktes Land, von Kittsee bis Neuhaus am Klausenbach, an seiner engsten Stelle, der Wespentaille bei Sieggraben, kaum vier Kilometer breit, besaß es kein wirtschaftliches, kein kulturelles, kein politisches Zentrum. Leider konnte Ödenburg, der wirkliche Mittelpunkt des Landes, infolge einer Abstimmung nicht zu Österreich kommen.

Es war ein Agrarland ohne Industrie. Die wenigen Ziegeleien, etwas Textilindustrie fielen nicht ins Gewicht. Eine ungesunde Bodenstruktur, viel Klein-, ja sogar Zwergbesitz, zwang viele Menschen des Landes, ihr Brot in der Welt zu suchen. Viele gingen nach Amerika, schon in den siebziger Jahren, und dürften derzeit hunderttausend erreicht haben. Besonders in der Nähe von New York und Chikago siedeln sie. Viele wurden Maurer und Zimmerleute, die in ganz Europa auf Saisonarbeit ngen. Andere wieder verdienten als landwirtschaftliche Hilfsarbeiter ihr Brot.

Das Land hatte keine Nord-Süd-Verbindung,

weder Bahn noch Straße. Aus diesem Grund gab es in der ersten Zeit gewisse Schwierigkeiten, weil die neugewählte Landeshauptstadt Eisenstadt geographisch nicht günstig gelegen war. Es war daher naheliegend, daß schon in der Ersten Republik der Plan einer Nord-Süd-Verbindung auftauchte. Zu einer Verwirklichung kam es infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse nicht, erst nach 1945 konnte an die Verwirklichung geschritten werden. Nur noch wenige Teilstücke sind derzeit nicht ausgebaut. In wenigen Jahren wird sie vollendet sein und damit die Lebensader einer modernen Wirtschaft voll zur Verfügung stehen.

Im Osten entstand eine Grenze in einer Länge von mehr als 180 Kilometern, die in der Zweiten Republik zur toten Grenze wurde. Jedes Leben ist praktisch abgeschnitten, geht mitten durch ein Gebiet, das vor vierzig Jahren die Menschen verband. Noch heute leben die Verwandten der Anrainer in Ungarn, noch heute liegen Grundstücke unserer Bauern auf ungarischem Staatsgebiet und können derzeit in keiner Art und Weise beansprucht werden. Nicht wenige Existenzen sind durch diese Vorgangsweise schwer-stens geschädigt worden. Die bisherigen Verhandlungen mit Ungarn haben noch zu keinem praktischen Ergebnis geführt.

Der Großgrundbesitz hatte einen Großteil des Bodens in seiner Hand. Allein Esterhazy verfügte über mehr als 60.000 Hektar. Von einer Grundaufstockung war nach dem Anschluß noch keine Rede. Das Gebiet des Neusiedler Sees, Seefläche und Ufergrund, ist heute noch in seinem Besitz.

Nach 1921 begann das Hineinwachsen in das neue Österreich, das ebenfalls nach neuen Wegen suchte. War es doch von einem Großstaat ein Kleinstaat, von einer Monarchie eine Republik geworden. Wirtschaftskrisen erschütterten die Welt, Österreich nicht ausgenommen. Parteikämpfe ließen eine konstruktive Arbeit nur langsam aufkommen. Das Burgenland hatte nur geringe Möglichkeiten, war doch die Finanzkraft, damals hatten die Länder die Finanzhoheit, infolge der ungünstigen Wirtschaftsstruktur sehr gering, und nur die allernotwendigsten Dinge konnten gemacht werden. Das gilt für kulturelle, wirtschaftliche und soziale Fragen, die wohl gesehen, erkannt, aber doch nicht gelöst werden konnten.

Dem Lande fehlten alle Einrichtungen, die für die anderen Bundesländer in irgendeiner Form

längst Selbstverständlichkeit geworden waren. Die Kammern gab es nicht, das Land war mit Wien oder Niederösterreich gekoppelt, kein Landesgericht, keine Post- und Telegraphendirektion, keine Landeshypothekenanstalt und dergleichen mehr.

Das Schulwesen unentwickelt, bestand doch in Ungarn die Schulpflicht bis zum zwölften, in Österreich bereits bis zum vierzehnten Lebensjahr. Die Umstellung ging nicht ohne Schwierigkeiten vor sich. An Fachschulen mangelte es überhaupt. Es gab keine Bauernschulen, keine gewerblichen Fortbildungsschulen. Eine einzige Mittelschule und eine Lehrerbildungsanstalt hatte das Land in Oberschützen, Trägerin war die evangelische Kirchengemeinde. Daneben gab es eine geringe Anzahl von Bürgerschulen, wie unsere heutigen Hauptschulen damals .genannt wurden.

Eine große Anzahl von Arbeitslosen, im Verhältnis größer als in allen anderen Bundesländern mit Ausnahme Wiens, trug nicht zur Konsolidierung bei. Der Lebensstandard unseres Volkes war der niedrigste in ganz Österreich. Die Preise der landwirtschaftlichen Produkte lagen oft weit unter den Gestehungskosten und nahmen die Lust an der landwirtschaftlichen Arbeit.

Als nach den Sanierungen der österreichischen Währung Licht am Horizont aufstrahlte, das eine bessere Zeit erahnen ließ, begannen die Umtriebe jener, die im Nationalsozialismus die Rettung sahen. Das Jahr 1938 machte viele günstige Ansätze zunichte, löschte Österreich von der Landkarte und teilte das Burgenland in zwei Teile; der Norden kam zu Niederdonau, der Süden zur Steiermark. Das Land war geteilt, nicht aber der gemeinsame Lebenswille eines Volkes, das in nicht ganz zwei Jahrzehnten ein gemeinsames geworden war.

Das Jahr 1945 bedeutete einen neuen Beginn. Die Wiedererrichtung des Burgenlandes stieß vorerst auf Widerstand, der aber dank des Einsatzes bewußter Burgenländer, an erster Stelle des nachmaligen Landeshauptmannes Dr. Karall, bald überwunden werden konnte.

Das Burgenland war in seiner Gesamtheit Kriegsgebiet gewesen. Zerstörung auf allen Gebieten in einem Ausmaß wie in keinem anderen Bundesland.

Die Aufbauarbeit begann trotz der Besatzungsmacht, die es den Behörden oft sehr schwer machte. Es konnte bei 1934 beziehungsweise 1938 angeknüpft werden. Ein demokratisches Leben entwickelte sich in einer Form, wie es in der Ersten Republik nicht oft möglich war. Man hatte aus der Vergangenheit gelernt. Auch die Anwesenheit der Besatzungsmacht trug dazu bei, daß die beiden großen Parteien zueinander fanden und gemeinsame Wege beschritten, um die Fülle der Probleme einer Lösung zuzuführen.

Das Volk ging an die Arbeit, mit zusammengebissenen Zähnen. Zuerst mußte das tägliche Brot herbeigeschafft werden. Eine große Hilfe waren die Sendungen der Verwandten aus Amerika. Sie kamen in einer derartigen Menge, so daß viele Menschen unseres Landes Jahre hindurch mit amerikanischen Erzeugnissen bekleidet waren.

Landtag und Regierung arbeiteten sehr zielbewußt. Die Budgetmittel wurden auf die dringendsten Fälle verteilt, um diese rasch aus der Welt zu schaffen. Straßen und Brücken waren zerstört und mußten raschest instandgesetzt werden, um den notwendigen Verkehr zu ermöglichen. Der Bund stellte Beträge für die Bundesstraßen zur Verfügung. Heute ist die bereits erwähnte Nord-Süd-Verbindung zum Großteil fertiggestellt, andere Straßenstücke ebenfalls, und man rühmt dem Lande nach, daß es gute Straßen habe. Brücken wurden gebaut, Güterwege neu ausgeführt. Sie waren für die Zubringung der Waren an das Hauptstraßennetz dringend notwendig. Die Elektrifizierung wurde in Angriff genommen und ist heute praktisch

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