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Zu viele verließen ihr Land

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Gewiß, Niederösterreich hat Anteil am allgemeinen Wohlstand. Auch bei uns wurden in den vergangenen Jahren die Kriegsschäden beseitigt, neue Einrichtungen geschaffen und neue Produktionsstätten gegründet. Doch herrscht als Folge grundverschiedener Arbeitsbedingungen in den unbillige Relativität des Wohlstandes, um deren ersten zehn Jahren nach 1945 in Österreich eine Beseitigung wir uns bemühen. Dies liegt nicht nur im Interesse Niederösterreichs, sondern im Interesse des Gesamtstaates. Auf die Dauer kann es sich nämlich kein Staat leisten, daß an einem Ende seines Staatsgebietes die Bewohner, die mit gleichem Fleiß und mit dem gleichen Opfermut ihre Arbeit verrichten, um die Hälfte schlechter leben müssen als am anderen Ende.

Die Situation Niederösterreichs erhellt am besten das Ergebnis der Volkszählung des Jahres 1961. Das Bundesland Niederösterreich hat zwischen 1951 und 1961 mehr als 27.000 Einwohner durch Abwanderung verloren; dies, obwohl die Bevölkerung im Gesamtstaat im gleichen Zeitraum um insgesamt 133.500 zugenommen hat, so daß die Bewohnerschaft Österreichs zum erstenmal in der Geschichte der Republik die Siebenmillionengrenze überschritten hat. Nicht zuletzt ist die Abwanderung eine Folge des Wirtschaftsgefälles von West nach Ost. In an-

deren Ländern lockten bessere Lebensbedingungen, wartete besserer Verdienst. Es ist daher verständlich, wenn junge Leute aus Gebieten, wo es kaum Arbeitsmöglichkeiten gibt oder wo die Anfahrt zu den Arbeitsplätzen Dutzende Kilometer ausmacht, in die Städte abwandern.

Die Erfolge unserer Landesausstellung zeigen zwar alle zwei Jahre, daß es mit der niederösterreichischen Wirtschaft aufwärts geht, sie zeigen aber auch, daß sich dieses Nachholen der niederösterreichischen Wirtschaft leider in einem langsameren Tempo vollzielt, als wir 1955 beim Abzug der Besatzungstruppen hofften. Die Tatsache, daß unser Land in Ost und Nord an Stacheldrahtzäune grenzt, bedeutet für unsere Wirtschaft eine Hypothek, deren Zinsen ausschließlich Niederösterreich und das Burgenland zu begleichen haben. Niederösterreich hat aus eigener Kraft in den vergangenen Jahren sehr viel erreicht. Mehr konnte gar nicht geschehen, weil die Landesverwaltung finanziell gebundene Hände hat und der Bund nicht in jenem Ausmaß helfen konnte, wie wir es 1955 erhofften.

Das Hauptproblem der Landesverwaltung liegt nämlich auf dem finanziellen Sektor. Die Länder haben so gut wie keine Steuerhoheit, der Anteil an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben bildet die Grundlage für das Landesbudget, und diese

Anteile werden nach dem Steueraufkommen in den Ländern berechnet. Es ist klar, daß in Bundesländern, die sich nach 1945 sehr bald in geordneten Bahnen wirtschaftlich entwickeln konnten, dieses Steueraufkommen pro Kopf der Bevölkerung wesentlich größer ist als in einem Bundesland, dessen Wirtschaft an allen Ecken und

Enden durch die besonderen Verhältnisse der Besatzungszeit gehemmt war. Vergessen wir auch nicht, daß 71 Prozent aller in Österreich registrierten Kriegsschäden an Industrieanlagen in Niederösterreich zu beklagen waren, und daß das Land östlich der Enns aus Gründen, die weltpolitisch wohl verständlich, innenpolitisch aber kaum vertretbar sind, an den reichen Hilfsquellen, die für den Wiederaufbau zur Verfügung standen, kaum Anteil hatte. Es ist daher begreiflich, daß heute, 18 Jahre nach Kriegsende, in Bundesländern, deren Wirtschaft sich kontinuierlich und ohne Schwierigkeiten entwickeln konnte, die wirtschaftliche Basis immer noch günstiger

liegt als in einem Bundesland, das zehn Jahre russisch besetzt war und das obendrein, das sei besonders betont, den Wiederaufbau fast ausschließlich aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe zu leisten hatte.

Niederösterreich hat sich vor allem in den letzten zwei Jahren nach einer gründlichen Analyse der Volkszählungsergebnisse bemüht, in den sogenannten unterentwickelten Landesteilen die industrielle Neugründung zu forcieren. So hat der Landtag die Übernahme der Landeshaftung für Kommunalkredite beschlossen, die von den

Gemeinden für die Aufschließung von Industriegelände aufgenommen werden. Außerdem soll eine Kreditaktion industrielle Neugründungen fördern. Besonders aufgeschlossen zeigen sich bei der Ansiedlung neuer Industriebetriebe unsere Gemeinden, die oft sehr große finanzielle Opfer bringen, um einen größeren Betrieb in ihre Gemarkung zu bringen. Neue Industriebetriebe bedeuten für viele niederösterreichische Gemeinden zusätzliche Steuereinnahmen; sie schaffen Arbeitsplätze am Wohnort zahlreicher Arbeitnehmer, die bisher gezwungen waren, weite Strecken mit der Bahn oder mit dem Autobus zu ihrer Arbeitsstätte zurückzulegen. Sehr oft

lagert diese Arbeitsstätten gar nicht auf nieder-österreichischem Boden, sondern in Wien oder in einem anderen Bundesland. Unsere Bemühungen um eine Stärkung des Industriepotentials unseres Bundeslandes haben Erfolg. Das beweisen auch die Statistiken recht deutlich. So ist von 1961 auf 1962 der Anteil Niederösterreichs an den in ganz Österreich geleisteten Arbeitsstunden von 19,7 auf 20 Prozent gestiegen. Ähnliches gilt auch für die Bruttoproduktionswerte der Industriezweige. Der niederösterreichische Anteil erhöhte sich von 20 auf 20,4 Prozent. Auf dem industriellen Sektor können wir also mit der Entwicklung einigermaßen zufrieden sein.

Einige Sorgen bereitet uns die Entwicklung des Fremdenverkehrs (hierüber auf Seite 15 ein eigener Beitrag. Anm. d. Red.). Zwar ist es im vergangenen Jahr Österreich gelungen, unter allen europäischen Fremdenverkehrsländern die Spitze zu gewinnen. Als österreichische Patrioten haben wir uns darüber gefreut, als Niederösterreicher sind wir nicht ganz zufrieden, denn der Anteil unseres Bundeslandes an dieser imposanten Entwicklung hat noch nicht jenen Prozentsatz erreicht, der Niederösterreich auf Grund seiner Größe und vor allem auf Grund seiner abwechslungsreichen landschaftlichen Schönheit zukommt.

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