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Wien: Ende eines Traumas

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Die Wiener Volksparted, die im Zuge des „Westrucks“ der Bundespartei in den letzten Jahren beachtliche interne Prestigeabstriche machen mußte, gewinnt wieder an Gewlicht. Bereits Monate bevor die Wahlergebnisse von der Krdsen-anfäÄgkeit auch westösterreichi-sdher Bezirks- und Laodesorganisa-tionen kündeten, zeigten sich erste Momente einer Aufwertung der jahrelang ins zweite Glied gestellten und vernachlässigten Wiener Organisation.

In den Jahren der „föderalistischen Revolte“ schien in fast allen Bundesländern Einigkeit darüber zu bestehen, daß man bis dahin Wien zuviel Gewicht eingeräumt habe: in der staatlichen Verwaltung, innerhalb der Bundesregierung und selbstverständlich auch innerhalb der ÖVP. In kräftigen Farben wurde der Kontrast zwischen einer lendenlahm gewordenen Hauptstadt einerseits und den von urwüchsig-kräftigem Leben erfüllten Bundesländern anderseits gemalt. Es wurde zur großen Mode, Wien das Recht auf die Repräsentation Österreichs streitig zu machen. Die inneren Mehrhdtsverhältndsse Wiens, die jenen in den meisten anderen Bundesländern diametral entgegengesetzt sind, dürften dabei zwar stimulierend, nicht aber ursächlich mitgewirkt haben. Das wurde nicht zuletzt im Vohrjahr von den Bundesländersozialisten bewiesen, die — ähnlich einem späten Echo der ÖVP-Entwicklung — spätestens im Vorjahr auch für sich den Leder-hosenpatriotismus entdeckten.

Revolutionäre werden Realisten

Ist die „Revolte der Föderalisten“ nun zu Ende? Nein, aber viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die einstigen Revolutionäre aus den Bundesländern nun — nach einigen Jahren Inhaberschaft zahlreicher Spitzenpositionen — die Situation Österreichs und damit auch die Stellung Wiens realistischer sehen als noch vor einigen Jahren.

Das mag nicht zuletzt daran liegen, daß die siegreich gewesenen Föderalisten nun unter gleichen Bedingungen die gleichen Probleme zu lösen haben wie ihre „verwienerten“ Vorgänger. Die Eigengesetzlich-keit der Entwicklung, die sich auch durch Wachablösen nicht aufheben läßt, wurde noch deutlicher, seit der Auszug der Sozialisten aus der Bundesregierung jener Illusion den Boden entzogen hat, daß „nur die anderen“ positive Lösungen unmöglich gemacht hätten.

Die Erwartung, daß es nur eines kräftigen westösterreichischen Ruk-kes bedürfe, um an die EWG assoziiert zu werden und gleichzeitig Extraprämien an Milch und Honig zu erhalten (wobei der Begriff „Milch“ nicht allzu wörtlich genommen werden sollte), hat sich als unrealistisch bewiesen. In der Außenpolitik, in der Handelsbilanz, im Budget — überall zeigen sich Schönheitsfehler ähnlichen und mitunter noch größeren Ausmaßes, wie man sie zuerst den zuwenig föderalistischen Vertretern der Volksparteä zusammen mit jenen der Sozialisten und wie man sie später den Sozialisten allein angekreidet hatte.

Plötzliche Entdeckungen

Das Einsetzen der Besinnung zwingt geradezu automatisch dazu, auch die Lage in den einzelnen Bundesländern und in Gesamtösterreich realistischer als bisher einzuschätzen.

Wiens Industrie ist — im Gegensatz zu jener etwa in Oberösterreich — vielfach veraltet? Plötzlich entdeckt man in der Steiermark noch weitaus gravierendere strukturelle Schäden, als man sie vorher an Wien festzustellen glaubte. Wien ist — wegen seines Geburtendefizits — eine sterbende Stadt, die noch dazu Jahr für Jahr tausende aktive junge Menschen durch Übersiedlung an den vitalen Westen verliert? Ja, aber Niederösterreich und das Burgenland und sogar Kärnten leiden ebenso unter dem Verlust vitaler Teile der Bevölkerung: Kärnten, weil der Sog aus Tirol und Salzburg immer stärker wird; Niederösterreich und das Burgenland, weil die „alte, kranke Bundeshauptstadt“ immer noch attraktiv genug ist, um beachtlichen Teilen der jüngeren Bevölkerung

mehr für die Gegenwart und für die Zukunft zu bieten, als dies ihre Heimatgebiete könnten.

Mehr noch — im gleichen Maße, in dem sich Österreichs Bemühung um ein Arrangement mit der EWG als lebensfüllende Aufgabe wahrscheinlich nicht nur der gegenwärtigen Politikergeneration erweist, besinnt man sich auch der Chancen Österreichs gegenüber seinen alten Kultur- und Handelspartnern im Donauraum. Eine Politik der „europäischen Mittlerstellung“ jedoch kämm in Österreich nicht betrieben werden, ohne gleichzeitig dem historischen Zentrum dieses Mittlergedankens, ohne Wien das ihm zustehende Recht einzuräumen.

Kontakte, Gespräche, Erfolge

Soweit dies die Volkspartei betrifft, haben es ihre prominentesten Vertreter in Wien mit Dr. Drimmel an der Spitze zweifellos verstanden, diese Situation auszunützen. Daß es vielfach auch steirischen „Anti-wienern“ bewußt geworden ist, daß

sie — so wie auch die Niederösterreicher und die Burgemländer — unter ähnlichen wirtschaftlichen Sorgen zu leiden haben wie die Wiener, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Wortführer für Wien vorübergehend zwar leiser geworden sind, niemals aber geschwiegen haben. Bessere Kontakte der Wiener zu einigen Bundesländern sind ebenso Ausdruck einer neuen Entwicklung Wie das kürzlich in Rathausnähe abgehaltene Gespräch zwischen Wiener ÖVP-Mandataren und sämtlichen Landessekretären der Volkspartei.

Noch wesentlicher erscheint es, daß Wien nach einer jahrelang geradezu demütigenden Behandlung durch den Bund endlich das Recht zugestanden erhält, so wie andere Bundesländer beträchtliche Mittel aus dem Bundesbudget für Autobahnbauten und für andere wichtige Aufgaben auszugeben. Nicht, daß Vorbereitungsgespräche darüber zwischen Dr. Drimmel und Bundesminister Dr. Kotzina stattfanden,

sondern daß sie erfolgreich verlaufen sind, ist überraschend und erfreulich. Spätestens mit der entsprechenden Zusage Dr. Kotzinas an die offiziellen Vertreter der Wiener Landesregierung scheint dieser Erfolg zementiert: Das Wort des Ministers kann nicht mehr durch andere Minister rückgängig gemacht werden, will man nicht die Regierung als Ganzes diskriminieren — und zwar nicht nur vor den Wienern.

Das in den vergangenen Jahren vielgelästerte Wien scheint langsam auch in den Augen einstiger Wien-Stürmer jener Schwerpunkt zu werden, der es de facto immer gewesen ist. Die Tatsache, daß nicht zuletzt dadurch Dr. Drimmel und andere Vertreter der Wiener ÖVP erste zählbare Erfolge zugunsten Wiens in ihrer eigenen Bundespartei vorbereiten konnten, spricht eindeutig dafür. Das Trauma mancher Westösterreicher gegenüber Wien scheint, wenn schon nicht überwunden, so doch im Schwinden. Für Österreich kann dies nur von Vorteil sein.

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