6822130-1973_43_03.jpg
Digital In Arbeit

Bruno Kreisky hat einen Erfolgserben

19451960198020002020

Die Wahlen sind geschlagen, die Innenpolitik geht weiter. Die zu Testwahlen über die Bundespolitik von den Bundesparteien umfunktionierten Landtagswahlen haben keinen einheitlichen Aufschluß geben können. Und auch die Emotionen in den Wahlkämpfen dürften keinen vordergründig-signifikanten Niederschlag gefunden haben. Die Innenpolitik geht weiter: für die Bundespolitiker sind Schlüsse auf die zweite Halbzeit der Legislaturperiode ziehbar. In ihr gibt es noch mehrere Tests: zwei größere Landtagswahlen und möglicherweise eine Bundespräsidentenwahl — sollte Bundespräsident Franz Jonas tatsächlich seinen Rücktritt erklären.

19451960198020002020

Die Wahlen sind geschlagen, die Innenpolitik geht weiter. Die zu Testwahlen über die Bundespolitik von den Bundesparteien umfunktionierten Landtagswahlen haben keinen einheitlichen Aufschluß geben können. Und auch die Emotionen in den Wahlkämpfen dürften keinen vordergründig-signifikanten Niederschlag gefunden haben. Die Innenpolitik geht weiter: für die Bundespolitiker sind Schlüsse auf die zweite Halbzeit der Legislaturperiode ziehbar. In ihr gibt es noch mehrere Tests: zwei größere Landtagswahlen und möglicherweise eine Bundespräsidentenwahl — sollte Bundespräsident Franz Jonas tatsächlich seinen Rücktritt erklären.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Kommentare zu den Sonntagswahlen zielen in mehrere Richtungen und versuchen die Dimension der Ergebnisse nach bestimmten Gesichtspunkten auszuloten:

• Die Wahlergebnisse in Wien und Oberösterreich zeigen keinen einheitlichen Trend. Ja man könnte sogar zur Feststellung gelangen, die Wähler hätten sich in den nur rund 150 Kilometer auseinanderliegenden Bundesländern gegenüber den beiden Großparteien geradezu spiegel“ verkehrt verhalten.

• Die Wahlergebnisse verraten keinen einheitlichen Bundestrend. Dies mag stimmen, wenngleich die ÖVP vorzurechnen versucht, daß sich der Indexwert der SPÖ in Oberösterreich kontinuierlich an Salzburg Graz und Kärnten anschließt — und daß nur Wien ein Wahlverhalten sui generis zeigt. Freilich: künftige Nationalratswahlen werden in Wien entschieden und ohne der Bundeshauptstadt sind keine ernstzunehmenden Trendberechnungen möglich.

• Die Kommentatoren des Ergebnisses unterstreichen den starken Persönlichkeitsstil, der in den Wahlkämpfen zum Tragen kam und offenbar die Wahlen zu Plebisziten für oder gegen einen Landeshauptmann und einen Bürgermeister umfunktionierte. Das ist jedoch nichts Neues. Nationalratswahlen sind in hohem Maße Bundeskanzlerwahlen, in anderen demokratischen Ländern ist der Trend der Persönlichkeitsbe-zogenheit ähnlich. Man geht nicht fehl, dieser starken Persönlichkeits-orientierang aber aus grundsätzlichen Erwägungen Im Interesse demokratischer Sachentscheidung skeptisch gegenüberzustehen.

• Waren die Sieger die (amtierenden) Starpolitiker, traten gegen sie als Verlierer in beiden Ländern von den Parteiapparaten getragene Per-

sönlichkeiten auf, Josef Fridl war der Mann des sozialistischen Establishments, mit seinem Parted-obmann Hillinger in Querelen verstrickt, Exponent für einen Wechsel („20 Jahre ÖVP sind genug“). Ähnlich Fritz Hahn: seine Wahl war umstritten, ihn trug nur die Organisation der ÖVP, er trat mit dieser für eine „Änderung des Systems“ in Wien ein. In Oberösterreich und Wien haben die .Parteikandidaten“ gegen die Machtträger Niederlagen einstecken müssen. • Die FPÖ hat ihre Züngleinrolle eingebüßt. Meinte man in Oberösterreich einen Schalthebel für eine bun-

despolitische Weichenstellung zu einer kleinen SPÖ-FPÖ-Koalition zu besitzen, so ist diese Möglichkeit dahin. Was nicht heißt, daß Friedrich Peter nicht im Bund nachholt, was Horst Sehender in Oberösterreich verfehlte — weil es die Wähler (wenngleich um ein Haar) nicht zuließen.

Bundespolitik

Damit sind bereits die wesentlichen Konsequenzen für die österreichische Innenpolitik der nächsten Zeit skizziert. Regierungspartei und große Opposition werden ihre Schlüsse ziehen müssen:

1. Der Dundesrat weist ein Patt auf. Wie bereits vor 1970, ist jetzt entscheidend, welche Partei den Bundesratsvorsitzenden stellt, um eine zeitliche Blockade von Gesetzesbeschlüssen zu bewirken — die Bundesregierung muß damit

rechnen, daß die große Opposition im Bundesrat ein interessanter gewordenes Forum ihrer Argumentation findet — und daß Zeitpläne durcheinander geraten.

2. Es gibt nach diesem 21. Oktober keinen Hinweis darauf, daß es der SPÖ so einfach gelingen könnte, bei Nationalratswahlen wieder die absolute Mehrheit zu erhalten. Sie muß sich daher zeitgerecht um einen Partner umsehen: um die FPÖ? Schon jetzt, vor den Wahlen oder spätestens nach dem nächsten Nationalratswahltag? Um die ÖVP? Die Rolle des ÖGB-Präsidenten und sein Einfluß in der Regierungspartei wird

darüber in den nächsten Monaten Aufschluß geben (bekanntlich ist Anton Benya der Befürworter einer großen Koalitionslösung).

3. Es gibt für Bruno Kreisky seit dem 21. Oktober 1973 einen eindeutigen, legitimen und fast selbstverständlichen Erben: Leopold Gratz. Der Mann, der nunmehr die größte Parteiorganisation der SPÖ hinter sich weiß, der der SPÖ in Wien den größten Wahlerfolg seit 1927 bescherte, ist wahrhaftig der ganz ein-

deutige Nachfolger des Bruno Kreisky: gleichgültig ob 1975 oder vielleicht schon früher. Wien wird Gratz nicht lange als Bürgermeister haben.

4. In der ÖVP wird es keine Per-sonalddskussion geben. Die Position des Bundesparteiobmannes ist durch den Erfolg in Oberösterreich mitgefestigt, die Enttäuschung über das Wiener Wahlergebnis wird sich nur auf die Wiener Parteiführung auswirken: und dort gehört sie auch hin.

Der Zuschnitt auf die Spitzenpersönlichkeiten hat dem Wahlkampf in Wien und Oberösterreich den Stempel aufgedrückt.

Die Frage für die Parteistrategen mußte es zu Wahlkampfbeginn sein, zwischen Wahlziel und Zentralaussage einerseits, der Persönlichkeit anderseits eine Deckung herzustellen. Erwin Wenzl war schon Landeshauptmann; er sollte es für weitere sechs Jahre werden; er hatte sein Land „fest im Griff“, wegen seiner Konservativität als Gleißner-Nach-folger und Ersatzlandesvater prägte ihn die Werbung zum „Löwen“, der sich auch nicht scheut, auf eine Honda zu steigen. Kraft und Macht faszinieren; der New Look der ÖVP-Werbung zielte auf die Jungwähler — und die Rechnung ging auf.

Josef Fridl war ein später Kandidat, ganz im Windschatten seines Landesparteiobmannes, des mächtigen Linzer Bürgermeisters Hillinger. Geschwächt von internen Auseinandersetzungen wollte er glaubhaft machen, daß er der Reformer der Zukunft sei und es „besser machen“ würde — vor allem mit Bruno Kreisky im Rücken. Mag sein, daß das Schielen nach Wien in Oberösterreich nicht viele Sympathien weckte — vor allem aber klafften die Wahlaussage der SPÖ und die Präsentation des Spitzenkandidaten auseinander.

Leopold Gratz war Bürgermeister, wenngleich erst kurze Zeit. In dieser Rolle hatte er den eminenten Vorteil, unibelastet von den Versäumnissen und Fehlern seines Vorgängers zu sein — und am glaubwürdigsten einen neuen Rathausstil zu kreieren. Gratz wie Slavik — das war an den gegnerischen Argumentationen offensichtlich unglaubwürdig. Gratz werde, so mag der Wähler gedacht haben, dieses ungeliebte Rathaussystem schon ändern.

Dazu kommt, daß die SPÖ-Wahl-Werbung (wie schon 1970 und 1971 für Kreisky) eindeutig zielgruppen-

orientiert war: auf die Jungwähler und die sozialen Aufsteiger. Leopold Gratz als der sympathische Kandidat mit exzellentem Aussehen, sein Image zwischen Demel-Klub und dem Lieblingsgetränk Orangensekt — das zeigte Stil und einen Hauch von Großstadt-Image, das in Wien schon so lange nicht mehr anzutreffen war. Was Wunder, daß die SPÖ in den traditionellen Bürger- und Beamtenbezirken überproportional gut abschnitt?

Und Fritz Hahn?. Auf den sympathischen Straßenbahnfahrer aus Favoriten fällt nun die ganze Enttäuschung seiner Parteifreunde hernieder. Für den Durchsohnittswähler Wiens quasi aus dem politischen Nichts aufgetaucht, konnte er nach den endlosen Querelen anläßlich seiner Aufstellung noch mehr mit Fleiß Terrain gewinnen. Er unterlag aber vor allem deshalb, weil er offenbar kein glaubwürdiger Sy-stemänderer war — weil man jemanden, der (zusammen mit der hinter ihm stehenden Wiener Parteiorganisation) glaubhaft eine Systemüberwindung in der Wiener Stadtverwaltung anstreben will, eine andere Statur zuordnet. Hahn und die Wiener ÖVP: das sind keine Revolutionäre. Sie sind als Teilhaber der Rathausmacht etabliert und in den Wähleraugen Mitrepräsentanten eines Systems, dessen Änderung sie unerwarteterweise im Wahlkampf plakatierten. Das Auseinanderklaffen von Wahlaussagen und präsentiertem Spitzenkandidaten war offensichtlich.

Dazu kommt, daß die Wiener Volkspartei mit Fritz Hahn das Wiener Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft anpeilte. Gerade in diesen Zielgruppen aber gibt es die geringste Mobilität und besteht die geringste Bereitschaft zum „Swit-chen“. Die „Aufsteiger“, die Jungwähler und das 1969 zu Hause gebliebene „bürgerliche“ Stimmenpotential war nicht für die Wiener ÖVP zu mobilisieren — es wählte

wieder nicht oder ging in das Lager des letztlich persönlich glaubhafteren Reformers, Leopold Gratz, über.

Um die „neuen“ Wähler

Man würde freilich das Ereignis in Wien falsch interpretieren, würde man meinen, daß der Sieg Leopold Gratz' in der Bundeshauptstadt nur auf Wahlkampfstrategien zurückzuführen sei. Vielmehr signalisiert

das Ergebnis einen Umschichtungsprozeß, der bei Nationalratswahlen von der ÖVP bisher als „Siege in der Stadt“ verschleiert wurde — der aber strukturelle. Probleme sichtbar macht, die nicht überkleistert werden sollten. Tatsächlich ist der Schrumpfungsprozeß der Bürgerund Beamtenbezirke (1, 4, 6, 7, 8, 9) — in denen insgesamt die ÖVP eine Mehrheit besitzt, zwischen den beiden letzten Volkszählungen evident. Die strukturelle Uberalterung und der starke Frauenüberschuß geben der ÖVP hier noch eine gewisse Stabilität — wie lange, ist fraglich. In den reinen Arbeiterbezirken hat zwar die SPÖ auch keine Gewinne erzielt, aber dies in den eigentlichen Wachstumszonen Wiens überproportional wettmachen können.

Und das ist die Realität: In jenen

Wohngegenden, wo Wien stark wächst, wo für politische Parteien die Chancen der Zukunft liegen, ist die ÖVP katastrophal abgeschlagen. In den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung Favoritens um 14 Prozent, die Simmerinigs um 19, Florids-dorfs um 30, der Donaustadt um 39 und Liesings sogar um 54 Prozent angewachsen: und gerade dort hat die SPÖ seit 1949 einen ständigen stabilen Wachstumsprozeß durchgemacht (siehe Tabelle).

Bleiben die Cottage-Wohnbezirke mit starken ÖVP-Anteilen. Hier hat am Sonntag die ÖVP im bürgerlichen Bezirk Währing die Mehrheit verloren; und auch in Hietzing und Döbling sank sie auf Werte, die

unter den Ergebnissen von 1949 und 1954 liegen.

Die Randwählerschichten, auf die die Person des ÖVP-Spitzenkandi-daten nicht abgestellt war, haben (und auch dafür sind die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen in den Wiener Bezirken typisch) entweder überhaupt nicht gewählt oder sind zur SPÖ des Leopold Gratz übergewechselt. Die Olah-Wähler

des Jahres 1969 haben sich in den beiden Großparteien verlaufen; sie sind nirgendwo signifikant auszumachen. Bedenkt man aber, daß die DFP 1969 gerade in den ÖVP-starken Bezirken überproportional Stimmen erhielt (auf Kosten der ÖVP), dann muß es (im Falle der „Rückwanderung“ dieser Stimmen) auch eine klare Bewegung von der ÖVP zur SPÖ gegeben haben. *

Der Sieg des Leopold Gratz wird der Innenpolitik noch lange Stoff für Untersuchungen und spekulative Prognostik geben. Weil Leopold Gratz als künftiger Spitzenmann seiner Gesamtpartei so gut wie sicher ist. Ein Gratz-Effekt in ganz Österreich? Das wäre die logische Überlegung der SPÖ-Strategie in den kommenden Jahren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung