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Wiener Gschiditen

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Mit einem „no-na”-Ausspruch wirbt in diesen Tagen die Rathausinformation für die Kommunalpolitik der sozialistischen Partei und ihres Herrn und (Bürger-)Meisters Leopold Gratz: „Jeder Wiener hat das Recht, zu erfahren, was in seiner Stadt geschieht”.

Wer nähere Einzelheiten wissen will, kann sich aus einer Propagandaschrift, die frei Wiener Haushalt geliefert wurde, informieren: Diese „Bilanz für Wien” soll so etwas wie eine Bilanz des ersten Jahres Wiener Kommunalpolitik unter Bürgermeister Leopold Gratz sein. Sie ist großzügig in ihrer Aufmachung und dürftig im Inhalt, also tatsächlich ein Spiegelbild der Zustände.

Mit viel Vorschußlorbeeren bedacht, trat Leopold Gratz Anfang Juni 1973 die Nachfolge von Felix Slavik an. Er hofierte die Großen dieser Stadt, streute unverbindliche Aperęus, distanzierte sich recht elegant von den zahlreichen Apparatschicks seiner Partei-Crew, ließ alle kommunale Arbeit sein und gewann für die SPÖ am 21. Oktober in Wien eine haushohe Mehrheit, nämlich 63 von 100 Mandaten; ein wenig mehr, und die Wiener SPÖ hätte zwei Drittel aller Landtagsmandate in Wien besetzt.

Wer nun hofft, daß dies für Gratz Ansporn zu einem kommunalpolitischen Neubeginn sein werde, sah sich bald enttäuscht. Leopold Gratz hatte anderes im Sinn: den Ausbau seiner parteipolitischen Karriere. Im Mai 1974 beerbte er Otto Probst als Wiener Parteivorsitzpenden, wenig später gelang ihm auch der Einzug in Bruno Kreiskys Stellvertreterriege. In dieser Funktion geht es offensichtlich darum,- so wenig wie möglich Parteifreunde zu verärgern, bundesländerweit von Veranstaltung zu Veranstaltung zu rasen, eine geeignete Plattform für die Nachfolge als Par teivorsitzender der SPÖ zu zimmern. Wie es heißt, hat er in Parteikreisen bereits einen respektablen Vorsprung vor seinem Rivalen Hannes Androsch. „Kronprinz”, hat Leopold Gratz einmal gesagt, sei für ihn „nur eine Apfelsorte”. Es scheint, als sei die Wiener Kommunalpolitik schon seit einiger Zeit auf „Kron- prinz”-Diät gesetzt.

Niemand hat von Leopold Gratz kommunalpolitische - Wunderdinge erwartet, dazu ist ihm die Materie zu fremd. In seiner Antrittsrede vor einem Jahr wurde Leopold Gratz nicht müde, ein Versprechen nach dem anderen aufzuzählen. Nun, auf den weiten Bereichen der Stadtplanung, der Verkehrspolitik, der Energiepolitik, des Gesundheitswesens, der öffentlichen Fürsorge und insbesondere der städtischen Verwaltung fehlt es selbst an Ansätzen zu reformatorischen Maßnahmen. Allein in der „Bauring”-Affaire, dem vielleicht größten kommunalpolitischen Skandal der Geschichte Wiens, hatte er, ohne viel zu tun übrigens, Glück. Diese Angelegenheit reichte in die Zeit eines Felix Slavik und einiger seiner Stadträte zurück, die auch heute noch gleichwertige Positionen bekleiden. Leopold Gratz hat niemanden in seiner beruflichen Laufbahn gestört, auch einen Josef Machtl nicht, der in* einer mysteriösen Tep- pich-Affaire seine Hand im Spiel gehabt haben soll und heute im Vorstand der kommunalen Holding-Gesellschaft sitzt. Gratz ist aus dem „Bauring-Skandal” als Mister Superman herausgestiegen, dabei hat er nichts anderes getan, als den Dingen ihren Lauf gelassen und abgewartet, wohin sie treiben. Die oppositionelle ÖVP hat ihm die Bewältigung der fatalen Angelegenheit nur erleichtert: erst hat sie auf gedeckt, was es aufzudecken gab, dann hat sie probate Lösungsvorschläge ausge arbeitet. Gratz hat exekutiert und allen Saubermacher-Ruhm eingestreift. Im Taktieren erinnert er heute bereits an Bruno Kreisky, den er freilich weniger schätzt, als das aus der Sicht des Bundeskanzlers einem „Sonnenkönig” zukäme. Auch das verrät Gefühl für Langzeit-Strategie. Sollten in der SPÖ nach Bruno Kreiskys Abgang innerparteilich die Fetzen fliegen, Leopold Gratz wird unangreifbar sein, Finanzminister Dr. Androsch sicherlich nicht.

Es fragt sich bloß, wie lange Leopold Gratz in der Wiener Kommunalpolitik noch die ihm geradezu maßgeschneiderte Rolle des distanzierten Betrachters noch wird spielen kön nen, ohne daß innerparteiliches Murren an die Oberfläche dringt. Im Funktionärskader nimmt man ihm bereits einiges übel; an mancher Kritik ist er tatsächlich schuldlos, etwa daran, daß man in Wien nun endlich darangeht, auch auf Gemeindewohnblocks den Paragraphen 7 des Mietengesetzes (Reparaturen aus der Mietzinsreserve bei Anhebung des Mietzinses bis auf das Fünffache) anzuwenden: Löwenmut war dabei freilich nicht im Spiel, bloß das Diktat der leeren Kassen angesichts verfallender Gemeindehäuser. Problematischer ist schon, daß sich Gratz vor einem Jahr dafür verbürgte, 1974 keine Tarife für städtische Leistungen anzuheben, heute, aber- beispielsweise die Wiener E-Werke bei der Preisbehörde einen Antrag auf Er- Erhöhung des Grundstrompreises zwischen 300 und 600 Prozent liegen haben. Auch andere greise wackeln in Wien, der für Gas ebenso wie der für die Straßenbahnbeförderung.

Kurzfristig dürfte Leopold Gratz diese parteiinterne Kritik parieren. Seine Rolle in Wien ist mit der des Bundeskanzlers in der Bundes-SPÖ vergleichbar. Er ragt aus der Mittelmäßigkeit seiner politischen Umgebung überlebensgroß heraus. Seine Grundsatzreferate vor ‘Wiener SPÖ- Konferenzen werden derart kritiklos akklamiert, daß ihm selbst soviel Diskussionsmüdigkeit nicht, passen will. Mittelfristig aber hat Leopold Gratz ohnedies anderes im Sinn, als Wiener Kommunalgeschichte zu machen. In der Bundeshauptstadt gibt er sich mit G’schichten zufrieden und späht dabei nach Höherem. Gerade weil Leopold Gratz so begabt ist, ist sein absehbares Wiener Interregnum nicht gut für die Bundeshauptstadt. Er hat zuviel Hoffnungen genährt, hat wenig getan und die Wiener Kommunalpolitik hat viel Zeit versäumt.

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