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Schlechter „Kommunalphilosoph“

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Vor zweieinhalb Jahren erreichte die Wiener SPÖ unter ihrem Jung-Bürgermeister Leopold Gratz ihr bisher bestes Wahlergebnis in Wien Sie kam damals, stimmen- wie mandatsmäßig, der Zweidrittelmehrheit in der österreichischen Metropole sehr nahe. Damit wurde ihr von den Wiener Wählern ein klarer Auftrag zur Lösung der zahlreichen offenen kommunalpolitischen Fragen (Stadt-

ÖVP-Spitzenkandidat Hahn: Vorverlegte Wahlen?

Photo: Archiv

erneuerung, Wohnungs-, Gesund-heits-, Verkehrs-, Sozial- und Kulturwesen) erteilt. Die Rathaus-Koalition wurde aufgelöst, eine völlig neue Ressorteinteilung getroffen, die alte Mannschaft weitgehend durch neue Gesichter ersetzt. Leopold Gratz folgte Otto Probst als Wiener SP-Obmann und rückte überdies als einer der Kreisky-Stellvertreter in das SP-Bundespräsidium ein. Stärker können weder eine Partei noch der von ihr gestellte Bürgermeister sein.

Dieser Tage legten die beiden Oppositionsparteien im Wiener Rathaus, ÖVP und FPÖ, ihre „Halbzeit-Bilanzen“ vor. FPÖ-Fraktionsführer Erwin Hirnschall reduzierte seine Kritik auf die Formel, daß die SPÖ und Gratz „langjährige und berechtigte Forderungen der FPÖ nicht berücksichtigt haben“ — etwa die Forderung nach mehr FPÖ-Lehrern im Wiener Schuldienst —, und versprach im übrigen, auch 1978, also in zweieinhalb Jahren und dann schon zum drittenmal, FPÖ-Spitzenkandidat bei den Wiener Landtagswahlen zu sein.

Bei der Präsentation der ÖVP-„Halbzeitbilanz“ agierte VP-Frak-tionschef und Dritter Landtagspräsident Fritz Hahn wesentlich aggressiver. Erstens behagt ihm diese

Rolle, zweitens steht er unter Erfolgszwang. Der biedere Wahrheitsfanatiker und Wohnungsspezialist ist in den eigenen Reihen nicht unumstritten. Das hängt weniger mit seiner Person als mit der Situation der Wiener ÖVP zusammen. In der Partei wirft man ihm mangelnde Integrationsfähigkeit vor, was sich auf das Erscheinungsbild seiner Partei in der Weise auswirkte, daß man ihr keine rechte Durchschlagskraft zutraue. Dies haben aber auch die Vorgänger von Hahn immer wieder hören müssen. Hahn wirft Gratz vor, keines seiner zahlreichen Versprechen eingehalten zu haben, sich selbst als „Kommunalphilosoph“ ohne Auftrag zur kommunalpolitischen Tat mißzuverstehen. Am Bauring-Skandal sei Gratz heute im gleichen Ausmaß wie seine Vorgänger und Mitarbeiter beteiligt. Er hätte zur Aufdeckung dieses größten Skandals in der österreichischen Innenpolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer nur gerade so viel beigetragen, wie unbedingt notwendig schien, um den Schein des Politikers mit der sauberen Weste zu wahren. Als unaufschiebbare personelle Konsequenzen fordert Hahn die Abberufung des Bauring-Aufsichtsratsvorsitzenden Reinhold Suttner, des SP-Gemeinderates Walter Hofstetter (der sich des Baurings für private Zwecke bedient hat) und des Generaldirektors der Wiener Holdinggesellschaft, Josef Machtl, der offensichtlich von der ganzen Affäre so viel weiß, daß ihn keiner seiner Parteifreunde im Wiener Rathaus an den Pranger zu stellen wagt. In letzter Konsequenz aber fordert VP-Hahn Neuwahlen in Wien und verspricht sich davon einen Gewinn von zehn Prozent Stimmen und Mandaten. Übrigens gerade so viel, wie für einen.Vizebürgermeister in Wien notwendig wäre. Zur eindrucksvollen Demonstration der Seriosität seiner Forderungen präsentiert Hahn Vorschläge zur Lösung kommunalpolitischer Fragen, die in ihrer Geschlossenheit, formal und inhaltlich, den Eindruck eines Wahlprogramms vermitteln.

Weil er die Chancen seiner Partei bei einem vorverlegten Wahlgang (auch aus bundespolitischen Gründen) realistisch einschätzt, braucht er erst gar nicht zu hoffen, daß die Wiener SPÖ darauf einsteigen wird. Denn nur zu genau weiß Leopold Gratz, daß es im Augenblick für seine Partei nichts zu gewinnen gibt. Hahn wiederum braucht dem möglichen Erfolg, den er sich von Neuwahlen erhoffen könnte, nicht lange nachzutrauern. Immerhin weist ihn diese Forderung als einen „starken Mann“ aus, der seine Partei und die Wiener Kommunalpolitik wieder in Bewegung bringen will. Er sollte

seine Forderung nach Neuwahlen in Wien ständig wiederholen. Seine Partei hätte dabei nur zu gewinnen.

Hahn muß sich freilich darüber klar sein, was solche Neuwahlen maximal bewirken könnten, da sie doch das Kräfteverhältnis der Parteien im Wiener Gemeinderat schwerlich grundsätzlich ändern könnten. Möglicherweise eine Wiedergeburt der Rathaus-Koalition unter landesverfassungsgesetzlich geänderten Bedingungen. Nämlich mit der Chance für den kleinen Koalitionspartner, in die Wiener Rathaus-Politik mehr Einsicht zu nehmen. Daraus müßten sich eine Reihe von Konsequenzen für die Kontrolle und für die Verbesserung der Wiener Kommunalpolitik ergeben können. Denn derzeit funktioniert diese Kontrolle angesichts der Übermacht der SPÖ schlecht bis kaum und die Wiener Kommunalpolitik aus möglicherweise den gleichen Gründen überhaupt nicht.

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