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„Der Klub bekommt keine Order!“

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FURCHE: Wie sehen Sie, Herr Klubobmann, das Verhältnis der SPÖ-Fraktion zur Bundesregierung? Ist Ihr Klub nur ein Erfüllungsgehilfe der Bundesregierung oder wird er Aktionen setzen, die nicht in das Konzept der Regierung passen?

GRATZ: Ich glaube, daß die Frage von der Konstruktion so nicht zu beantworten ist. Die Kooperation Klub-Regierung bedeutet ein Verhältnis, das auf gegenseitigem Geben und Nehmen beruht. Wesentlich dabei ist, daß der Klub nicht nur formal die Regierung unterstützt, sondern gemeinsam mit der Regierung zwar nicht die Details, wohl aber die großen Linien der Politik bestimmt. Das bedeutet, daß die einzelnen Mitglieder der Bundesregierung, was sie auch gern tun, mit den Abgeordneten der entsprechenden Ausschüsse über die Projekte, die Regierungsvorlagen, sprechen und das gemeinsam durchdiskutieren. Es geht ja nicht darum, daß eine Formalinstanz mit einer anderen Formalinstanz verkehrt, sondern daß das Ganze eine Einheit ist. Nicht eine Einheit, wo es keinen Widerspruch gibt, sondern eine Gemeinschaft, die die politische Tätigkeit erarbeitet.

FURCHE: Bleibt der zweite Teil der Frage bestehen, nämlich: der nach den Aktionen des Klubs, wenn der Interessenausgleich zwischen Klub und Regierung zu keiner Klärung führt.

GRATZ: Ich meine, der Wille der Regierung ist ja auch nicht etwas, was plötzlich aus dem Hut eines Zauberers auftaucht, sondern er entsteht daraus, daß verschiedene Minister Ideen haben und diese entweder setzen oder nicht. Die wesentliche Funktion des Klubs im Parlament ist ja nun eben, diese Ideen zu einem gemeinsamen politischen Willen zusammenzubringen.

FURCHE: Ein konkretes Beispiel für die divergierenden Interessen: wie ist das mit dem Komplex der Politikerbesteuerung ?

GRATZ: Dieses Beispiel ist deswegen extrem, weil eben hier diejenigen, das ist ja das Dilemma dabei, um die es geht, über sich selbst entscheiden. Ich glaube aber nicht, daß es um Widersprüche gehen wird, weil alle einsehen, daß die Frage der Besteuerung gelöst werden muß.

FURCHE: Abseits des Ihrer Meinung nach extremen Beispiels der Politikerbesteuerung wird es doch immer einen Teil des Klubs geben, der gewisse Interessen, die die Gefahr der Kollision mit der Bundesregierung beinhalten, zu vertreten hat. Wird es immer zu einem harmonischen Interessenausgleich kommen, oder glauben Sie, daß der Klub, als politisches Instrument verstanden, die Grenzen der Bundesregierung aufzuzeigen geeignet sein könnte?

GRATZ: Die reine Existenz des Klubs ist bereits eine Begrenzung der Bundesregierung. Die Notwendigkeit — ich rede jetzt nicht von den vielen Verwaltungsgesetzen, die auf Grund des Art. 18 BVG durch das Parlament laufen —, politische Vorlagen mit den Abgeordneten durchzusprechen und sie zu überzeugen, sie unter Umständen gemeinsam zu erarbeiten, ist implizite eine Begrenzung der Regierung, ohne daß es eine Formalbegrenzung ist. Freilich ist es nicht so, daß die Regierung etwas beschließt und der Klub die Order bekommt, es durchzuführen.

FURCHE: Der SPÖ-Klub ist heute eine Machtposition …

GRATZ: Ich glaube, daß von der staatsrechtlichen Konstruktion her heutzutage der Klub institutionell, also vom Grundsatz her, nicht als das Kontrollorgan der Regierung gedacht werden kann. Natürlich mag er im Einzelfall der Regierung in der Klubsitzung sagen, die Vorlage akzeptieren wir nicht. Das ist durchaus möglich. Aber grundsätzlich, ich habe das ja Gott sei Dank schon als Oppositionsabgeordneter gesagt, ist die Fraktion der Mehrheitspartei im Parlament nicht das geeignete Kontroll- instrument. Ohne entweder der ÖVP

oder jetzt uns bösen Willen zu unterschieben: es ist einfach zuviel verlangt, daß dieselbe Mehrheit, die garantiert, daß es eine Regierung überhaupt geben kann, jetzt die ist, die die Regierung in Schranken hält und kontrolliert. Deswegen machte ich als Mehrheitssprecher den Vorschlag, Kontrollrechte an die Minderheit zu geben.

FURCHE: Es gibt von Ihnen und Minister Broda sehr konkrete Vorschläge zur Parlamentsreform. So haben Sie zur Zeit der Opposition der SPÖ unter dem Titel „Erweiterung der parlamentarischen Kontrolle“ die Untersuchung der Verwaltungstätigkeit, die Erzwingung der Beantwortung von Anfragen durch eine qualifizierte Minderheit, den Ausbau der Fragestunde sowie die Abschaffung der Frühjahrs- und Herbstsession gefordert, um nur einiges zu nennen. Auch der Vorschlag, man möge einem Drittel plus einem Abgeordneten die Möglichkeit geben, an den Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde wegen Verfassungswidrigkeit von Gesetzen zu richten, stammt von Gratz-Broda. Wird das nun verwirklicht?

GRATZ: Ich glaube ja. Ich will mich nicht im Interview rühmen, aber ich habe durchaus absichtlich in meiner ersten Rede als Klubobmann überhaupt auf diese Dinge Bezug genommen, weil Ich für Ehrlichkeit in der Politik bin und weil ich beweisen wollte, daß wir das, was wir in der Opposition gesagt haben, ernst meinen, auch wenn wir jetzt die Re gierungspartei sind. Auf lange Sicht gesehen, können nur das Parlament und die Demokratie davon profitieren. Wir haben uns mit den Klub- obmännern der anderen Parteien geeinigt, kein Wettrennen zu veranstalten, wer den ersten Geschäftsordnungsänderungsantrag einbringt. Wir werden uns zusammensetzen und gemeinsam einen Antrag ausarbeiten. Da ich mir nicht vorstellen kann, daß die Opposition gegen diese Voschläge sein wird, glaube ich, daß diese Vorschläge in kürzester Zeit Bestandteil der Geschäftsordnung, beziehungsweise der Bundesverfassung, was die Verfassungsbeschwerde betrifft, sein werden.

FURCHE: Obwohl die SPÖ über die absolute Mehrheit im Parlament verfügt, benötigt sie für die große Zahl der Gesetze mit Verfassungsbestimmungen eine Zweidrittelmehrheit, anders gesagt: die ÖVP. Wird es zu einer Politik der Junkti- mierung kommen? Pointiert formuliert: tausche Schulorganisation gegen Strafrecht, tausche Assanierungsgesetz gegen die landwirtschaftliche Marktordnung.

GRATZ: Wenn man nein sagt, wer ein Gesetz kauft, muß auch ein anderes kaufen, so ist das schlecht. Das ist ja einer der vielen Gründe,

warum seinerzeit die Große Koalition in Mißkredit geraten ist. Es ist aber gerechtfertigt, wenn es einfach darum geht, die Interessen großer Gruppen der österreichischen Bevölkerung gleichmäßig zu vertreten. Ein Junktim ist in der Politik moralisch gerechtfertigt, wenn es nicht Prestige oder Lobby ist. Ein Beispiel: wir haben uns in der Opposition immer dagegen gewehrt, daß man alles tun muß, um zu vermeiden, daß auch nur ein einziger Bauer seinen Hof verlassen muß. Das haben wir akzeptiert, weil wir meinten, daß man nicht kaltschnäuzig sagen kann, ihr seid unrentabel, das Getreide ist in Kanada billiger, zieht weg. Aber genauso gibt es tausende oder zehntausende Bergarbeiter, an die man nach dem Krieg appelliert hat, Kohlen zu fördern, damit die Schulen geheizt werden können. Denen kann man auch nicht einfach sagen: verkauft eure Familienhäuser und zieht weg; das ist nicht unsere Sorge.

FURCHE: Man kann Ihre Aussage in die Formel raffen: Wir machen Politik für alle Österreicher?

GRATZ: Natürlich.

FURCHE: Grenzen Sie also Ihr Angebot an die Opposition, mit dieser zu sprechen und zu arbeiten, ein und ziehen Sie für Ihre Fraktion eine Toleranzgrenze einerseits Junktim und anderseits die absolute Mehrheit?

GRATZ: Natürlich, wenn man von der Seriosität und Bedeutung des eigenen Wahl- oder Regierungspro gramms für Österreich überzeugt ist. Man muß — und dazu ist man ja gewählt worden — eben die Mehrheit entscheiden lassen, wenn lange Verhandlungen zeigen, daß es keinen Kompromiß gibt.

FURCHE: Wie ordnen Sie unter dem Aspekt der absoluten SPÖ- Mehrheit die Oppositionsparteien ins parlamentarische Machtspek- trum ein?

GRATZ: Aus parlamentarischer

Sicht kann man eigentlich für beide Oppositionsparteien gleiches sagen. Die ÖVP weiß: Verfassungsgesetze können nur mit ihrer Zustimmung beschlossen werden. Das ist real gesprochen, wenn es um Dinge geht, die die Opposition an sich nicht will oder ablehnt und die Regierungspartei durchsetzen möchte, eines der wenigen Faustpfänder der Opposition. Beide Oppositionsparteien können sich zwar gegen die Regierung vereinigen, aber damit können sie nichts durchsetzen. Durchsetzen kann man etwas, wenn man sich mit der vorhandenen absoluten Mehrheit c}er SPÖ einigt. So ist die parlamentarische Situation.

FURCHE: Der FPÖ kommt also im Kräftespiel des Parlaments eine sehr geringe Rolle zu.

GRATZ: Formal gesehen brauchen wir für einfache Gesetze, um es brutal zu sagen, beide Oppositionsparteien nicht. Die ÖVP jedoch für Verfassungsgesetze, also hie und da, und die FPÖ formal überhaupt nicht. Aber ich würde sie trotzdem nicht so abwerten, weil es natürlich für die Regierung sehr interessant ist, Gesetze nicht nur mit ihrer Mehrheit, sondern mit einer größeren Mehr heit durchzusetzen. Die Mehrheit ist sehr viel größer, wenn die ÖVP dafür stimmt, sie ist immerhin wesentlich größer als 93, wennn die FPÖ dafür stimmt.

FURCHE: Wie sind Sie eigentlich mit der Zusammensetzung Ihres Klubs zufrieden? Sie haben in Ihrem Klub keinen Arzt, keinen Hochschulprofessor, überhaupt scheinen die Freiberuflichen unterrepräsentiert.

GRATZ: Das wäre ein Nachteil, wenn man das Parlament als eine Expertenversammlung betrachtete. Es ist — ohne jetzt zu sagen, ein Arzt mehr oder weniger wäre gut oder schlecht — kein Nachteil für die parlamentarische Arbeit. Ein Abgeordneter soll nicht Sachverständiger sein, er soll nicht der Gesetzesfor- mulierer sein; er ist der, der die politischen Konsequenzen will.

FURCHE: Anderseits ist das Parlament aber doch keine Abstimmungsmaschine.

GRATZ: Sicher. Deshalb möchte ich auch wirklich beweisen, daß es im Wesen der Demokratie liegt, zuzugeben, daß auch andere Leute gescheite Ideen haben. Das heißt: ich möchte beweisen, daß — natürlich mit einem gewissen Endpunkt, den ich vorher erwähnt habe — im Parlament echte, sachliche Kooperation möglich ist. Und ich glaube, daß mir der Beweis gelingt.

FURCHE: Werden Sie sich als Klubobmann für eine Änderung der personellen Zusammensetzung Ihrer Fraktion einsetzen?

GRATZ: Nein. Ich glaube, das wäre eine Anmaßung. Von der Konstruktion des Wahlrechtes und unserer Partei her wäre es eine Anmaßung, zu sagen, entweder grundsätzlich der eine oder andere ist schlecht, er sollte nicht kandidieren oder nicht gewählt werden. Das ist keine Ausrede, ich meine das ganz ernst.

FURCHE: Der Klubobmann wünscht keine Entwicklung, die von den Kammerfunktionären und Gewerkschaftssekretären wegführt?

GRATZ: Ich glaube, daß man das überschätzt, denn die Leute sind ja nicht als Funktionäre oder Sekretäre gewählt worden. Sie sind gewählt worden, weil sie in irgendeiner Organisation mitarbeiten, weil sie etwas leisten oder weil man das Gefühl hat — natürlich gibt es die sogenannten zentralen Notwendigkeiten —, daß sie hier in der Gesetzgebung notwendig sind. Ich fühla mich wirklich moralisch nicht befugt, jetzt irgendwelche Qualitätsanalysen des Klubs abzugeben.

FURCHE: Sie haben die Frage formal beantwortet, wenn Sie sagen, daß man nicht Kammerfunktionäre und Gewerkschaftssekretäre wählt. Nur meritorisch heißt das, daß jeder dieser Abgeordneten ja bei Abstimmungen im Parlament erst nach einer Bewußtseinsspaltung votieren könnte …

GRATZ: Interessanterweise findet diese Bewußtseinsspaltung, wie Sie sagen, doch statt. Es tut mir manchmal leid, daß man keine öffentliche Klubsitzung in dem Sinn machen kann, daß die Leute nicht wissen,

daß sie öffentlich ist. Dann könnte man der Öffentlichkeit beweisen, daß es nicht darum geht, daß einer das Kammergutachten und ein anderer das Gewerkschaftsgutachten vertritt, sondern daß die Männer und Frauen das Ganze als eine politische Aufgabe, unabhängig von ihrer beruflichen Funktion, betrathten …

Mit SPÖ-Klubobmann Leopold Gratz sprach Franz F. Wolf.

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