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Kreiskys Mann in Wien

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Leopold Gratz, 43, absolvierter Jurist, verheiratet, Familienvater, Wiener. 1969 Zentralsekretär der SPÖ, 1970 Bundesminister für Unterricht, 1971 geschäftsführender Klubobmann der sozialistischen Parlamentsfraktion, 1973 Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien: in dreieinhalb Jahren hat der von Zeitungen oftmals als „Kreiskys Kronprinz“ bezeichnete Politiker vier von einander völlig unabhängige Funktionen von seiner Partei erhalten und ausgeübt. Die einzige Funktion, die dem „gelernten“ Par-

lamentarier Gratz (er war zehn Jahre Klubsekretär des SPÖ-Abge-ordnetenklubs) davon wirklich auf den Leib geschneidert war, war das Amt des geschäftsführenden Klubobmannes, wobei aber zumindest formal der Bundeskanzler und Parteivorsitzende Dr. Kreisky dieses Amt für sich beansprucht.

Kann es einem Politiker — ganz allgemein gesehen — guttun, wenn er in so kurzer Zeit so viele Ämter ausfüllen soll? Wie steht es mit der Glaubwürdigkeit eines solchen Mannes? Wer kann verlangen, daß einer, auch wenn er noch so sehr die Schulung des Parteiapparates hinter sich hat, alle Qualitäten besitzt, die ihn zur Ausfüllung so verschiedener Professionen befähigen, wie es etwa der Posten des Unterrichtsministers gegenüber dem des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien ist?

Die einen sagen, daß Gratz die „Feuerwehr“ sei — und daß man ihn eben auf Grund seines vielfältigen Wissens auf jeden Posten stellen

kann. Die anderen sagen, daß Gratz immer der „Lückenbüßer“ war, gerade unproflliert genug, daß man ihn eben auf jeden Posten stellen kann — ohne daß er negativ auffällt.

Die Wiener Partei war immer ein großes Sorgenkind des Parteivorsitzenden Kreisky. Und seit eh und je sann dieser darüber nach, wie er dem relativ schlechten Image beikommen könnte, das gerade die zahlenmäßig stärkste Landesorganisation noch immer besitzt. Es war ja auch bei den Landesparteitagen der letzten Jahre nicht gelungen, die Meinung

von Beobachtern zu ändern, dde Wiener SPÖ sei versteinert, es gehe noch immer ein Hauch von „Austro-Marxismus“, vom „Karl-Marx-Hof-Sozialismus“, durch ihre Reihen. Und das beschäftigte Kreisky deshalb so besonders, weil ihn diese eine Überlegung bewegte: fällt die Anzahl der SPÖ-Wähler in der Bundeshauptstadt jetzt zurück, dann darf sich die Sozialistische Partei auch keiner Hoffnung mehr hingeben, 1975 wieder den Bundeskanzler zu stellen — oder zumindest nicht den Bundeskanzler einer monocoloren sozialistischen Regierung. Deshalb muß ein starker Besen den bisherigen Augiasstall ausmisten, soll auch in Wien die Kreisky-SPÖ über die Probst-Slavik-SPÖ die Oberhand gewinnen.

Der Rechnungshofbericht

Dies scheint dann für ihn doch den Ausschlag gegeben zu haben, daß er gerade „seinen“ Mann Leopold Gratz für Wien abstellen

wollte. Unterstrichen muß in diesem Zusammenhang die Tatsache werden, daß es gerade Felix Slavik war, der Gratz als seinen Nachfolger vorschlug. Noch Samstag abend, nach seinem spektakulären Rücktritt bei der Wiener Konferenz der SPÖ, ließ Slavik alles offen, als er lediglich sagte, er werde den zuständigen Gremien nur dann einen Vorschlag machen, wenn ihm etwas besonders Gutes einfalle.

Doch scheinen ihm seine Parteifreunde bereits spätestens in der Woche vor der Wiener Konferenz (und nach dem Ergebnis der Volksbefragung über die Verbauung des

Sternwarteparks) bei der Entscheidungsfindung sehr geholfen zu haben. Zunächst sieht ja das Rücktrittsangebot Slaviks höchst honorig aus: 68 Prozent der Delegiertenstimmen sind dem Oberhaupt von mehr als 1,7 Millionen Wienern zuwenig als Vertrauensbasis für eine weitere Tätigkeit als Stadtvater; er will das Vertrauen aller oder fast aller, darunter macht er es nicht. Kann man die Lauterkeit dieser Motive anzweifeln? Ist es nicht völlig korrekt, daß der Wiener Bürgermeister einen massiven Rückhalt der Partei braucht, um in den nächsten Wahlkampf ziehen zu können? Hat er ihn nicht, muß er sich zurückziehen. Tadellos.

Anderseits wissen Beobachter aber, daß der Rechnungshofbericht über die Gebarung der Stadt Wien bereits so gut wie fertig ist und daß dieser Bericht auf die Wiener SPÖ

und vor allem auf Slavik schwere Schlagschatten wirft. Dieser Bericht soll im Herbst veröffentlicht werden. Ein Rücktritt wäre spätestens zu diesem Zeitpunkt unvermeidlich geworden. Dies aber ein halbes Jahr vor der Wiener Wahl — sie soll gegen Ende April 1974 stattfinden — hätte eine große Hypothek für die SPÖ bedeutet. Und so wählte man eben den jetzigen Zeitpunkt, in dem derartige Überlegungen noch keine so entscheidende Rolle spielen.

Diese Umstände scheinen auch dem Bundeskanzler und Parteivorsitzenden die Möglichkeit gegeben zu haben, Slavik sozusagen das Messer anzusetzen: um die Einigkeit der SPÖ zu demonstrieren, machte dann noch Slavik selbst den Vorschlag, Leopold Gratz zu seinem Nachfolger zu küren. Dieser Vorschlag wurde noch gewichtiger, weil Slavik Gratz als einzigen Kandidaten im Wiener Präsidium vorschlug.

Der Parlamentarier Gratz wird aus der Volksvertretung ausscheiden. Mit welchem Gefühl er dies tut, bleibt unbekannt. Es kann jedoch nicht geleugnet werden, daß er innerhalb der SPÖ-Fraktion der wohl beste und routinierteste war — ein echter Exponent bester parlamentarischer Tradition.

In der Wiener Partei hat Gratz so gut wie keine Hausmacht. Ob die Rathausbürokratie und die verästelte Parteiorganisation für ihn ein Labyrinth oder ein offenes Feld sind, werden schon die nächsten Wochen und Monate zeigen.

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