6796467-1971_13_04.jpg
Digital In Arbeit

Kein Stadtvaterflitter

19451960198020002020

Anläßlich der Wähl des neuen Wiener Bürgermeisters, Slavik, hatten die Rathaus-Auguren zwei für Wien ungewohnte Entwicklungen vorhergesagt.

19451960198020002020

Anläßlich der Wähl des neuen Wiener Bürgermeisters, Slavik, hatten die Rathaus-Auguren zwei für Wien ungewohnte Entwicklungen vorhergesagt.

Werbung
Werbung
Werbung

Prognose 1: Der neue Bürgermeister werde trotz Repräsentationspflichten die Rathauspolitik lest in der Hand behalten.

Prognose 2: Der neue Finanzstadtrat Schweda habe sich mit einer Marionettenrolle abzufinden.

Doch schon nach den ersten 75 Tagen der Slavik-Herrschaft haben beide Prognosen weniger Bestätigung gefunden als die tägliche Wettervorhersage.

Sosehr die Wiener Stadtverfassung auf den Bürgermeister als Zentral- ftgur zugeschnitten ist und ihm in allen Entscheidungen eigentlich fast unbeschränkte Macht zugesteht, so wenig konnte sich Slavik bisher von den ebenso allgewaltigen Fesseln des Repräsentationsprotokolls freimachen. Auch scheint es dem Meldekopf am Sitz des neuen Bürgermeisters an den notwendigen Informationen zu fehlen, die Slavik früher als Finanzstadtrat in allen Fragen der Rathauspolitik das sichere und wohlüberlegte Eingreifen ermöglichten:

• Als kürzlich die Tageszeitungen von großzügigen Angeboten des Landes Niederösterreich für eine Verlegung der Wiener Hochschule für Welthandel berichteten, erklärte Slavik in einem Pressegespräch, er wisse nichts von den Abwanderungsabsichten der einzigen wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildungsstätte

Österreichs, obwohl die „Welthandel” bereits seit Wochen mit der Gemeinde über die notwendigen Ausbauflächen verhandelt und wegen des mangelhaften Erfolges auch die Möglichkeit eines Exodus aus Wien angedeutet hatte.

• Im Zusammenhang mit der Sperre des Wiener Ratbausplatzes als Verkehrsfläche ließ Slavik auch seinen sicheren Instinkt vermissen, indem er zuerst selbstherrlich diese Entscheidung traf und erst nachträglich die Rathausbürokratie dafür eine Rechtsgrundlage suchen hieß, die dann mehrmals geändert wurde und bis heute so umstritten ist, daß die Bundespolizeidirektion Wien prozeßfreudige Parkprovokateure des ÖAMTC zu deren großen Bedauern ungeschoren ließ.

Schwedas eigener Weg

Während Slavik nun Ehrenzeichen und Medizinalratstitel überreicht, neue Verkehrswege freigibt oder im Ausland Wien-Ausstellungen eröffnet, scheint sich die Kluft zwischen ihm und den Schalthebeln der Rathauspolitik noch zu vergrößern:

• Finanzstadtrat Schweda, bisher Wiener SP-Bundesrat und weiterhin Städtebund-Generalsekretär, scheint seine Chance zu erkennen und sein Image als Slavik-Satellit zerstören zu wollen.

• Nach kurzer Eingewöhnungszeit kündigte er bereits die von Slavik seit vielen Jahren abgelehnte, von der VP-Fraktion beantragte Ausarbeitung mittelfristiger Investi- tionsprognamme für Wien an.

• Gleichzeitig gab er grobe „Ungereimtheiten” im Zusammenhang mit der von Slavik gegründeten Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H. zu und trat unverblümt für die seinerzeit von Slavik abgelehnte Eingliederung dieser Gesellschaft in die Wiener

Stadtwerke ein, weil dadurch endlich „statt einer Konkurrenzierung die Koordinierung von Gas, Strom und Fernwärme erfolgversprechend durchgeführt werden könnte.” Magistratsintern hat Schweda die von Slavik eingeführte „Gruppenleitung” der vier Magistratsabteilungen seines Ressorts als „unzweckmäßig” aufgelassen. Dadurch wurde die beamtete Informationszentrale zerschlagen, so daß Slavik nun ganz auf den früheren Leiter dieser „Finanzgruppe”, Qbersenatsrat Doktor Machtl, setzen muß, den er zum stellvertretenden Magistratsdirektor gemacht hat. Diese Kohtrollposi- tion erweist sich jedoch für den Informationsbedarf Slaviks als unzureichend.

Ohne Hausmacht?

Ein großes Handikap für Slavik als „Aktionsbürgermeister” ist auch die Aufgabe der Position als Wiener SPÖ-Obmann. Diese Gewaltentrennung wurde in Wien erst für den väterlichen Repräsentationsbürgermeister Marek eingeführt. Sogar Franz Jonas, der übrigens im Gegensatz zu den früheren aus Wien stammenden Bundespräsidenten SPÖ- Mitglied blieb und auch heute noch an Veranstaltungen seiner Partei teilnimmt, war nicht zum Verzicht auf das Amt des Wiener Barteivor- sitzenden zu bewegen. Da gerade Slavik, der noch weniger repräsentieren und noch mehr politisch tätig sein will, dazu die wichtigste Parteiposition brauchen würde, scheinen jene Gerüchte bestätigt zu werden, die darin ein Turmopfer Slaviks für seine Wahl zum Bürgermeister sehen.

Gegen seinen Willen dürfte Slavik jetzt mehr und mehr in die Repräsentationsrolle gedrängt werden, die ihm nicht liegt und für die er auch nicht die Voraussetzungen mitbringt. Er ist nicht — wie Marek — ein fescher „Wiener Opatyp”, dem die Volksherzen zufliegen. Er ist auch nicht — wie ebenfalls Marek — der seriöse „Kommerzialrat”, der auch in bürgerlichen Kreisen vielfach Anerkennung fand. Er hatte zwar keine andere Wahl, als „Aktionsbürgermeister” werden zu wollen. Doch damit wurde das Amt des Wiener Bürgermeisters vom Stadtvaterflitter befreit und Slavik ist der politischen Diskussion ausgesetzt, für die ihm immer mehr die Basis zu entschwinden droht.

Und während einer der unpopulärsten SP-Minister der Koalitionszeit, Otto Probst, als Wiener SPÖ-Obmann wörtlich die „Tradition vom roten Wien” proklamiert, sehen die wenigen jungen Kräfte in der Wiener SP und im Wiener Stadtsenat die Zukunft nicht gerade rosarot — eher grau…

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung